Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

macht ihn in den nicht-russischen Provinzen der ehemaligen Republik populär.
Aber sehr häufig bedeutet das schwarze Kleid der Krakauer oder Lemberger
Edelfrau mehr als die Trauer um das todte Vaterland und die erstorbenen
Hoffnungen von 1863. Obgleich der größte Theil des galizischen Adels sich
niemals über die Hoffnungslosigkeit des unglücklichen Aufstandes getäuscht
hat, welcher in unbegreiflicher Thorheit den Sturz des Wielopolski'schen
Systems und den Terrorismus der Murawjew und Kaufmann verschuldete,
hat der Patriotismus der Galizier es nicht über sich gewinnen können, die
Brüder am nördlichen und östlichen Weichselufer wehrlos verbluten zu lassen
und selbst Männer, welche aus ihrer Abneigung gegen die Thorheit der Emeute
niemals ein Hehl gemacht haben, brachten der verlorenen Sache ihrer Lands¬
leute bereitwillige Opfer an Gut und Blut. Die Beisteuer an Menschen
und Geld, welche Galizien zu dem unglücklichen Aufstande leistete, hat mancher
Familie Trauer, manchem Vermögen drückende Passiva eingetragen. Mit
aus diesem Grunde schlägt das gesellschaftliche Leben der vornehmen Polen¬
familien schon seit Jahren nicht mehr so glänzende Wellen, wie früher; in
den Straßen Krakaus sieht man nur wenig elegante Equipagen und selbst
diese sind nicht nach der neuesten Mode.

Wenn man die Grodzkastraße durchschritten hat, wird man zur Rechten
plötzlich einer Anhöhe gewahr, auf deren Schultern sich ein mächtiger Bau er¬
hebt, der schon dem ersten Blick sein hohes Alter verräth und -- abgesehen
von seinen großartigeren Proportionen -- an das Altenburger Schloß er¬
innert. Wir stehen vor dem stolzen Königsbau, an welchem von Kasimir
dem Großen bis zu August dem Starken sämmtliche Herrscher der großen
Republik des Ostens gebaut haben und dessen prächtige Zinnen jeden
Gedanken daran ausschließen, daß er heute zu einer Kaserne sammt
Spital herabgewürdigt worden ist. Die hohen Mauern, welche die
Stadt beherrschen und bis zu den in der Ferne dämmernden Karpathen
hinübersehen, sind Jahrhunderte lang die Zeugen aller polnischen Königs¬
krönungen, all' der glänzenden Feste gewesen, zu denen sich die Blüthe der
Ritterschaft des Ostens versammelte, denen die Gesandten Preußens und
Rußlands lang genug staunend zugesehen haben, von den Magnaten und
Kirchenfürsten der Republik als Vertreter abhängiger Vasallenstaaten über
die Achsel angesehen. Aus den drohenden Schießscharten, durch welche heute
gelangweilte k. k. Soldaten in die Stadt hinabsehen, ist mancher verderbende
Blitz auf den Feind niedergefallen, der sich rühmen konnte, bis an das Herz
des polnischen Staats vorgedrungen zu sein und die sarmatische Tripolis


(Our Tripolis? triplex <mia vult äiLtiuotio? uemxe
Nie dominos, Kie rex, die KMtlwt pus veas)

bedroht zu haben.


macht ihn in den nicht-russischen Provinzen der ehemaligen Republik populär.
Aber sehr häufig bedeutet das schwarze Kleid der Krakauer oder Lemberger
Edelfrau mehr als die Trauer um das todte Vaterland und die erstorbenen
Hoffnungen von 1863. Obgleich der größte Theil des galizischen Adels sich
niemals über die Hoffnungslosigkeit des unglücklichen Aufstandes getäuscht
hat, welcher in unbegreiflicher Thorheit den Sturz des Wielopolski'schen
Systems und den Terrorismus der Murawjew und Kaufmann verschuldete,
hat der Patriotismus der Galizier es nicht über sich gewinnen können, die
Brüder am nördlichen und östlichen Weichselufer wehrlos verbluten zu lassen
und selbst Männer, welche aus ihrer Abneigung gegen die Thorheit der Emeute
niemals ein Hehl gemacht haben, brachten der verlorenen Sache ihrer Lands¬
leute bereitwillige Opfer an Gut und Blut. Die Beisteuer an Menschen
und Geld, welche Galizien zu dem unglücklichen Aufstande leistete, hat mancher
Familie Trauer, manchem Vermögen drückende Passiva eingetragen. Mit
aus diesem Grunde schlägt das gesellschaftliche Leben der vornehmen Polen¬
familien schon seit Jahren nicht mehr so glänzende Wellen, wie früher; in
den Straßen Krakaus sieht man nur wenig elegante Equipagen und selbst
diese sind nicht nach der neuesten Mode.

Wenn man die Grodzkastraße durchschritten hat, wird man zur Rechten
plötzlich einer Anhöhe gewahr, auf deren Schultern sich ein mächtiger Bau er¬
hebt, der schon dem ersten Blick sein hohes Alter verräth und — abgesehen
von seinen großartigeren Proportionen — an das Altenburger Schloß er¬
innert. Wir stehen vor dem stolzen Königsbau, an welchem von Kasimir
dem Großen bis zu August dem Starken sämmtliche Herrscher der großen
Republik des Ostens gebaut haben und dessen prächtige Zinnen jeden
Gedanken daran ausschließen, daß er heute zu einer Kaserne sammt
Spital herabgewürdigt worden ist. Die hohen Mauern, welche die
Stadt beherrschen und bis zu den in der Ferne dämmernden Karpathen
hinübersehen, sind Jahrhunderte lang die Zeugen aller polnischen Königs¬
krönungen, all' der glänzenden Feste gewesen, zu denen sich die Blüthe der
Ritterschaft des Ostens versammelte, denen die Gesandten Preußens und
Rußlands lang genug staunend zugesehen haben, von den Magnaten und
Kirchenfürsten der Republik als Vertreter abhängiger Vasallenstaaten über
die Achsel angesehen. Aus den drohenden Schießscharten, durch welche heute
gelangweilte k. k. Soldaten in die Stadt hinabsehen, ist mancher verderbende
Blitz auf den Feind niedergefallen, der sich rühmen konnte, bis an das Herz
des polnischen Staats vorgedrungen zu sein und die sarmatische Tripolis


(Our Tripolis? triplex <mia vult äiLtiuotio? uemxe
Nie dominos, Kie rex, die KMtlwt pus veas)

bedroht zu haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0116" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123204"/>
            <p xml:id="ID_314" prev="#ID_313"> macht ihn in den nicht-russischen Provinzen der ehemaligen Republik populär.<lb/>
Aber sehr häufig bedeutet das schwarze Kleid der Krakauer oder Lemberger<lb/>
Edelfrau mehr als die Trauer um das todte Vaterland und die erstorbenen<lb/>
Hoffnungen von 1863. Obgleich der größte Theil des galizischen Adels sich<lb/>
niemals über die Hoffnungslosigkeit des unglücklichen Aufstandes getäuscht<lb/>
hat, welcher in unbegreiflicher Thorheit den Sturz des Wielopolski'schen<lb/>
Systems und den Terrorismus der Murawjew und Kaufmann verschuldete,<lb/>
hat der Patriotismus der Galizier es nicht über sich gewinnen können, die<lb/>
Brüder am nördlichen und östlichen Weichselufer wehrlos verbluten zu lassen<lb/>
und selbst Männer, welche aus ihrer Abneigung gegen die Thorheit der Emeute<lb/>
niemals ein Hehl gemacht haben, brachten der verlorenen Sache ihrer Lands¬<lb/>
leute bereitwillige Opfer an Gut und Blut. Die Beisteuer an Menschen<lb/>
und Geld, welche Galizien zu dem unglücklichen Aufstande leistete, hat mancher<lb/>
Familie Trauer, manchem Vermögen drückende Passiva eingetragen. Mit<lb/>
aus diesem Grunde schlägt das gesellschaftliche Leben der vornehmen Polen¬<lb/>
familien schon seit Jahren nicht mehr so glänzende Wellen, wie früher; in<lb/>
den Straßen Krakaus sieht man nur wenig elegante Equipagen und selbst<lb/>
diese sind nicht nach der neuesten Mode.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_315"> Wenn man die Grodzkastraße durchschritten hat, wird man zur Rechten<lb/>
plötzlich einer Anhöhe gewahr, auf deren Schultern sich ein mächtiger Bau er¬<lb/>
hebt, der schon dem ersten Blick sein hohes Alter verräth und &#x2014; abgesehen<lb/>
von seinen großartigeren Proportionen &#x2014; an das Altenburger Schloß er¬<lb/>
innert. Wir stehen vor dem stolzen Königsbau, an welchem von Kasimir<lb/>
dem Großen bis zu August dem Starken sämmtliche Herrscher der großen<lb/>
Republik des Ostens gebaut haben und dessen prächtige Zinnen jeden<lb/>
Gedanken daran ausschließen, daß er heute zu einer Kaserne sammt<lb/>
Spital herabgewürdigt worden ist. Die hohen Mauern, welche die<lb/>
Stadt beherrschen und bis zu den in der Ferne dämmernden Karpathen<lb/>
hinübersehen, sind Jahrhunderte lang die Zeugen aller polnischen Königs¬<lb/>
krönungen, all' der glänzenden Feste gewesen, zu denen sich die Blüthe der<lb/>
Ritterschaft des Ostens versammelte, denen die Gesandten Preußens und<lb/>
Rußlands lang genug staunend zugesehen haben, von den Magnaten und<lb/>
Kirchenfürsten der Republik als Vertreter abhängiger Vasallenstaaten über<lb/>
die Achsel angesehen. Aus den drohenden Schießscharten, durch welche heute<lb/>
gelangweilte k. k. Soldaten in die Stadt hinabsehen, ist mancher verderbende<lb/>
Blitz auf den Feind niedergefallen, der sich rühmen konnte, bis an das Herz<lb/>
des polnischen Staats vorgedrungen zu sein und die sarmatische Tripolis</p><lb/>
            <quote> (Our Tripolis? triplex &lt;mia vult äiLtiuotio? uemxe<lb/>
Nie dominos, Kie rex, die KMtlwt pus veas)</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_316"> bedroht zu haben.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0116] macht ihn in den nicht-russischen Provinzen der ehemaligen Republik populär. Aber sehr häufig bedeutet das schwarze Kleid der Krakauer oder Lemberger Edelfrau mehr als die Trauer um das todte Vaterland und die erstorbenen Hoffnungen von 1863. Obgleich der größte Theil des galizischen Adels sich niemals über die Hoffnungslosigkeit des unglücklichen Aufstandes getäuscht hat, welcher in unbegreiflicher Thorheit den Sturz des Wielopolski'schen Systems und den Terrorismus der Murawjew und Kaufmann verschuldete, hat der Patriotismus der Galizier es nicht über sich gewinnen können, die Brüder am nördlichen und östlichen Weichselufer wehrlos verbluten zu lassen und selbst Männer, welche aus ihrer Abneigung gegen die Thorheit der Emeute niemals ein Hehl gemacht haben, brachten der verlorenen Sache ihrer Lands¬ leute bereitwillige Opfer an Gut und Blut. Die Beisteuer an Menschen und Geld, welche Galizien zu dem unglücklichen Aufstande leistete, hat mancher Familie Trauer, manchem Vermögen drückende Passiva eingetragen. Mit aus diesem Grunde schlägt das gesellschaftliche Leben der vornehmen Polen¬ familien schon seit Jahren nicht mehr so glänzende Wellen, wie früher; in den Straßen Krakaus sieht man nur wenig elegante Equipagen und selbst diese sind nicht nach der neuesten Mode. Wenn man die Grodzkastraße durchschritten hat, wird man zur Rechten plötzlich einer Anhöhe gewahr, auf deren Schultern sich ein mächtiger Bau er¬ hebt, der schon dem ersten Blick sein hohes Alter verräth und — abgesehen von seinen großartigeren Proportionen — an das Altenburger Schloß er¬ innert. Wir stehen vor dem stolzen Königsbau, an welchem von Kasimir dem Großen bis zu August dem Starken sämmtliche Herrscher der großen Republik des Ostens gebaut haben und dessen prächtige Zinnen jeden Gedanken daran ausschließen, daß er heute zu einer Kaserne sammt Spital herabgewürdigt worden ist. Die hohen Mauern, welche die Stadt beherrschen und bis zu den in der Ferne dämmernden Karpathen hinübersehen, sind Jahrhunderte lang die Zeugen aller polnischen Königs¬ krönungen, all' der glänzenden Feste gewesen, zu denen sich die Blüthe der Ritterschaft des Ostens versammelte, denen die Gesandten Preußens und Rußlands lang genug staunend zugesehen haben, von den Magnaten und Kirchenfürsten der Republik als Vertreter abhängiger Vasallenstaaten über die Achsel angesehen. Aus den drohenden Schießscharten, durch welche heute gelangweilte k. k. Soldaten in die Stadt hinabsehen, ist mancher verderbende Blitz auf den Feind niedergefallen, der sich rühmen konnte, bis an das Herz des polnischen Staats vorgedrungen zu sein und die sarmatische Tripolis (Our Tripolis? triplex <mia vult äiLtiuotio? uemxe Nie dominos, Kie rex, die KMtlwt pus veas) bedroht zu haben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/116
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/116>, abgerufen am 26.06.2024.