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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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geschmückten Peterskirche (einer Miniaturnachahmung des großea römischen
Petersbaues, die beweist, daß die Quantität sehr leicht in die Qualität um¬
schlägt) suchte ich den Weg zu der alten Königsburg auf der Wawel-Höhe,
deren Mauern die Westminsterabtei der königlichen Republik, die berühmte
Krakauer Kathedrale umfassen. -- Obgleich (die k. ?. Tabaktrafiks ausgenom¬
men) alle ansehnlicheren und nicht specifisch jüdischen Läden geschlossen waren,
erschienen die Straßen leidlich belebt. Daß man sich in einer alt-polnischen
Stadt befinde, konnte keinen Augenblick zweifelhaft sein. Schon das Auf¬
treten der zahlreichen, in den langen orientalischen Rock gekleideten Juden
schloß in dieser Beziehung jeden Zweifel aus, denn nur auf polnischer Erde
macht der Jude den Eindruck, wirklich zu Hause und heimatsberechtigt zu
sein, beträgt er sich wie ein Mann, der nicht Flüchtling und nicht Wanderer
ist. In Galizien und namentlich in Krakau tritt er überdies ungleich statt¬
licher und anständiger auf, als in den russisch-polnischen Ländern; nicht nur,
daß die bartumflosfenen Gesichter behäbiger und ruhiger dreinsehen, die Röcke
reinlicher, die Bärte besser gepflegt sind -- dem galizischen Juden fehlt die
schachernde Zudringlichkeit seiner lithauischen Landsleute, und wenn er auch
nicht umhin kann, gelegentlich ungebeten seine Dienste zur Disposition zu
stellen, so geschieht es doch in der Regel mit einer gewissen Zurückhaltung
und ohne daß er sich wegwirft. Daß der galizische Jude sich als Pole fühlt
oder zu fühlen vorgibt, liegt in der Natur der Sache und thut sich u. A.
schon dadurch kund, daß seine Ladenschilder neben den ebräischen immer nur
polnische Inschriften führen; der deutsche Handelsmann ist diesem Beispiel
natürlich bereitwillig gefolgt und die Schilder an den Trafik-Läden aus¬
genommen, begegnet man in den Straßen Krakau's fast nirgend deutschen
Inschriften. Selbst von den öffentlichen Gebäuden sind sie während der letzten
Jahre zum größten Theil verschwunden und der polnische Patriotismus hat
die Genugthuung, sich alleinberechtigt zu fühlen und nirgend durch fremde
Schriftzeichen daran erinnert zu werden, daß er ohne staatliches Substrat ist.

Die jüngeren Männer, namentlich die Studenten, trafen mit Vorliebe
den mit Schnüren besetzten nationalen Rock, die pelzverbrämte Confederatka
und hohe Stiefel, wie sie den Pflasterverhältnissen (Krakau ist wirklich ge¬
pflastert) entsprechen. Oben, wo der Rock schließt, ist sehr häufig der Brust¬
nadelknopf zu sehen, der auf schwarzem Emaillegrunde den weißen Adler
zeigt, und die östreichische Regierung ist klug genug, diesen symbolisirten
Glauben an das "?602s?ol8l:a, ni ü'gwetg/' nicht zu bemerken. Die Frauen
der höheren Stände find mit Vorliebe schwarz gekleidet -- sehr häufig zeigt
das schwarze Seiden- oder Wollengewand einen breiten weißen Trauerrand.
Schon daß dieser Anzug in dem verhaßten Rußland bei Strafe verboten und
als classischer Zeuge für "schlechte Gesinnung" angesehen und bestraft wird,


geschmückten Peterskirche (einer Miniaturnachahmung des großea römischen
Petersbaues, die beweist, daß die Quantität sehr leicht in die Qualität um¬
schlägt) suchte ich den Weg zu der alten Königsburg auf der Wawel-Höhe,
deren Mauern die Westminsterabtei der königlichen Republik, die berühmte
Krakauer Kathedrale umfassen. — Obgleich (die k. ?. Tabaktrafiks ausgenom¬
men) alle ansehnlicheren und nicht specifisch jüdischen Läden geschlossen waren,
erschienen die Straßen leidlich belebt. Daß man sich in einer alt-polnischen
Stadt befinde, konnte keinen Augenblick zweifelhaft sein. Schon das Auf¬
treten der zahlreichen, in den langen orientalischen Rock gekleideten Juden
schloß in dieser Beziehung jeden Zweifel aus, denn nur auf polnischer Erde
macht der Jude den Eindruck, wirklich zu Hause und heimatsberechtigt zu
sein, beträgt er sich wie ein Mann, der nicht Flüchtling und nicht Wanderer
ist. In Galizien und namentlich in Krakau tritt er überdies ungleich statt¬
licher und anständiger auf, als in den russisch-polnischen Ländern; nicht nur,
daß die bartumflosfenen Gesichter behäbiger und ruhiger dreinsehen, die Röcke
reinlicher, die Bärte besser gepflegt sind — dem galizischen Juden fehlt die
schachernde Zudringlichkeit seiner lithauischen Landsleute, und wenn er auch
nicht umhin kann, gelegentlich ungebeten seine Dienste zur Disposition zu
stellen, so geschieht es doch in der Regel mit einer gewissen Zurückhaltung
und ohne daß er sich wegwirft. Daß der galizische Jude sich als Pole fühlt
oder zu fühlen vorgibt, liegt in der Natur der Sache und thut sich u. A.
schon dadurch kund, daß seine Ladenschilder neben den ebräischen immer nur
polnische Inschriften führen; der deutsche Handelsmann ist diesem Beispiel
natürlich bereitwillig gefolgt und die Schilder an den Trafik-Läden aus¬
genommen, begegnet man in den Straßen Krakau's fast nirgend deutschen
Inschriften. Selbst von den öffentlichen Gebäuden sind sie während der letzten
Jahre zum größten Theil verschwunden und der polnische Patriotismus hat
die Genugthuung, sich alleinberechtigt zu fühlen und nirgend durch fremde
Schriftzeichen daran erinnert zu werden, daß er ohne staatliches Substrat ist.

Die jüngeren Männer, namentlich die Studenten, trafen mit Vorliebe
den mit Schnüren besetzten nationalen Rock, die pelzverbrämte Confederatka
und hohe Stiefel, wie sie den Pflasterverhältnissen (Krakau ist wirklich ge¬
pflastert) entsprechen. Oben, wo der Rock schließt, ist sehr häufig der Brust¬
nadelknopf zu sehen, der auf schwarzem Emaillegrunde den weißen Adler
zeigt, und die östreichische Regierung ist klug genug, diesen symbolisirten
Glauben an das „?602s?ol8l:a, ni ü'gwetg/' nicht zu bemerken. Die Frauen
der höheren Stände find mit Vorliebe schwarz gekleidet — sehr häufig zeigt
das schwarze Seiden- oder Wollengewand einen breiten weißen Trauerrand.
Schon daß dieser Anzug in dem verhaßten Rußland bei Strafe verboten und
als classischer Zeuge für „schlechte Gesinnung" angesehen und bestraft wird,


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[0115] geschmückten Peterskirche (einer Miniaturnachahmung des großea römischen Petersbaues, die beweist, daß die Quantität sehr leicht in die Qualität um¬ schlägt) suchte ich den Weg zu der alten Königsburg auf der Wawel-Höhe, deren Mauern die Westminsterabtei der königlichen Republik, die berühmte Krakauer Kathedrale umfassen. — Obgleich (die k. ?. Tabaktrafiks ausgenom¬ men) alle ansehnlicheren und nicht specifisch jüdischen Läden geschlossen waren, erschienen die Straßen leidlich belebt. Daß man sich in einer alt-polnischen Stadt befinde, konnte keinen Augenblick zweifelhaft sein. Schon das Auf¬ treten der zahlreichen, in den langen orientalischen Rock gekleideten Juden schloß in dieser Beziehung jeden Zweifel aus, denn nur auf polnischer Erde macht der Jude den Eindruck, wirklich zu Hause und heimatsberechtigt zu sein, beträgt er sich wie ein Mann, der nicht Flüchtling und nicht Wanderer ist. In Galizien und namentlich in Krakau tritt er überdies ungleich statt¬ licher und anständiger auf, als in den russisch-polnischen Ländern; nicht nur, daß die bartumflosfenen Gesichter behäbiger und ruhiger dreinsehen, die Röcke reinlicher, die Bärte besser gepflegt sind — dem galizischen Juden fehlt die schachernde Zudringlichkeit seiner lithauischen Landsleute, und wenn er auch nicht umhin kann, gelegentlich ungebeten seine Dienste zur Disposition zu stellen, so geschieht es doch in der Regel mit einer gewissen Zurückhaltung und ohne daß er sich wegwirft. Daß der galizische Jude sich als Pole fühlt oder zu fühlen vorgibt, liegt in der Natur der Sache und thut sich u. A. schon dadurch kund, daß seine Ladenschilder neben den ebräischen immer nur polnische Inschriften führen; der deutsche Handelsmann ist diesem Beispiel natürlich bereitwillig gefolgt und die Schilder an den Trafik-Läden aus¬ genommen, begegnet man in den Straßen Krakau's fast nirgend deutschen Inschriften. Selbst von den öffentlichen Gebäuden sind sie während der letzten Jahre zum größten Theil verschwunden und der polnische Patriotismus hat die Genugthuung, sich alleinberechtigt zu fühlen und nirgend durch fremde Schriftzeichen daran erinnert zu werden, daß er ohne staatliches Substrat ist. Die jüngeren Männer, namentlich die Studenten, trafen mit Vorliebe den mit Schnüren besetzten nationalen Rock, die pelzverbrämte Confederatka und hohe Stiefel, wie sie den Pflasterverhältnissen (Krakau ist wirklich ge¬ pflastert) entsprechen. Oben, wo der Rock schließt, ist sehr häufig der Brust¬ nadelknopf zu sehen, der auf schwarzem Emaillegrunde den weißen Adler zeigt, und die östreichische Regierung ist klug genug, diesen symbolisirten Glauben an das „?602s?ol8l:a, ni ü'gwetg/' nicht zu bemerken. Die Frauen der höheren Stände find mit Vorliebe schwarz gekleidet — sehr häufig zeigt das schwarze Seiden- oder Wollengewand einen breiten weißen Trauerrand. Schon daß dieser Anzug in dem verhaßten Rußland bei Strafe verboten und als classischer Zeuge für „schlechte Gesinnung" angesehen und bestraft wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/115>, abgerufen am 26.06.2024.