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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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in welchen das Tageslicht nur mühsam bricht, weil seine Fenster mit alten,
zum Theil höchst werthvollen Glasmalereien geschmückt sind, ist dicht Mit
Gläubigen gefüllt, die ringsum knieend ihr Gebet verrichten und deren fromme
Andacht der Schritt des Besuchers nicht zu stören wagt. Hier findet man
noch die ächte, ungebrochene Katholicität des Mittelalters, nicht den mit
modern-ultramontaner Flitterkrone aufgeputzten Fanatismus der Reflexion,
der sich für relgiösen Eifer ausgibt, im Grunde aber nichts weiter als ge¬
spreizte Partheileidenschaft repräsentirt. Männer im Schnurrock und im
bäuerlichen Pelz, Damen in eleganten pariser Trauerkleidern und Bettlerinnen,
deren Lumpen mit Koth bedeckt waren, knieten neben- und durcheinander
und auf allen Gesichtern derselbe melancholisch sinnige Ausdruck, dieselbe
Versenkung in die innere Welt, die Nichts von dem weiß, was rings um¬
her vorgeht. Hier sind kirchliche und politische Traditionen von Alters her so
untrennbar miteinander verschmolzen, daß Niemand weiß, wo die einen auf¬
hören und die andern beginnen und das Märtyrerthum, das der katholische
Clerus in den nahe benachbarten russischen Provinzen für seine nationale und
confessionelle Treue zu leiden hat, mußte dazu beitragen, den katholischen
Eifer gerade in der gegenwärtig lebenden Generation über sein gewöhnliches
Maß hinaus zu steigern. Wohl hatte der Pöbel Krakau's erst vor wenigen
Wochen bei Gelegenheit der Barbara-Ubryk-Historia mit Steinwürfen gegen
den Unfug protestirt, der hinter den Mauern der zahlreichen Klöster des Orts
getrieben wird -- aber katholisch ist diese Stadt wie nur eine in Europa.
Obgleich die polnischen Städte sammt und sonders als ultramontane Partei¬
gängerinnen bekannt sind, gilt Kraknu auch bei ihnen als die kirchlichste und
der polnische Liberalismus klagt wohl gelegentlich darüber, daß hier den
lebendigsten Forderungen der Zeit kein Gehör geschenkt und das nationale
Interesse hinter dem kirchlichen zurückgesetzt werde. -- Es gibt aber auch
keine zweite polnische Stadt, in welcher der Katholicismus so reiche Denk¬
mäler seiner einstigen künstlerischen Schöpferkraft und selner Leistungen für
die nationale Sache hinterlassen hätte. Die Marienkirche, die unter den
Krakauer Gotteshäusern bei Weitem nicht die erste Stelle einnimmt, hat diese
künstlerische Weihe in dreifacher Weise erhalten. Obgleich ihr Stil nicht
rein ist, gibt es keine deutsche Stadt, der sie nicht zum beneidenswerthen
Schmuck gereichen würde, auch wenn sie die prächtigen alten Glasfenster und
den Hochaltar nicht besäße, durch den Veit Stoß's Meisterhand sich hier un¬
sterblich gemacht hat.

Leider gebrach es an Zeit, dieses Kunstwerk, vor dem der Priester eben
die Messe celebrirte. aus der Nähe und mit Muße in Augenschein zu
nehmen. Die Grodzkastraße hinab, vorüber an der Dominikanerkirche,
dem Se. Andreaskloster und der im 16. Jahrhundert erbauten, Statuen-


in welchen das Tageslicht nur mühsam bricht, weil seine Fenster mit alten,
zum Theil höchst werthvollen Glasmalereien geschmückt sind, ist dicht Mit
Gläubigen gefüllt, die ringsum knieend ihr Gebet verrichten und deren fromme
Andacht der Schritt des Besuchers nicht zu stören wagt. Hier findet man
noch die ächte, ungebrochene Katholicität des Mittelalters, nicht den mit
modern-ultramontaner Flitterkrone aufgeputzten Fanatismus der Reflexion,
der sich für relgiösen Eifer ausgibt, im Grunde aber nichts weiter als ge¬
spreizte Partheileidenschaft repräsentirt. Männer im Schnurrock und im
bäuerlichen Pelz, Damen in eleganten pariser Trauerkleidern und Bettlerinnen,
deren Lumpen mit Koth bedeckt waren, knieten neben- und durcheinander
und auf allen Gesichtern derselbe melancholisch sinnige Ausdruck, dieselbe
Versenkung in die innere Welt, die Nichts von dem weiß, was rings um¬
her vorgeht. Hier sind kirchliche und politische Traditionen von Alters her so
untrennbar miteinander verschmolzen, daß Niemand weiß, wo die einen auf¬
hören und die andern beginnen und das Märtyrerthum, das der katholische
Clerus in den nahe benachbarten russischen Provinzen für seine nationale und
confessionelle Treue zu leiden hat, mußte dazu beitragen, den katholischen
Eifer gerade in der gegenwärtig lebenden Generation über sein gewöhnliches
Maß hinaus zu steigern. Wohl hatte der Pöbel Krakau's erst vor wenigen
Wochen bei Gelegenheit der Barbara-Ubryk-Historia mit Steinwürfen gegen
den Unfug protestirt, der hinter den Mauern der zahlreichen Klöster des Orts
getrieben wird — aber katholisch ist diese Stadt wie nur eine in Europa.
Obgleich die polnischen Städte sammt und sonders als ultramontane Partei¬
gängerinnen bekannt sind, gilt Kraknu auch bei ihnen als die kirchlichste und
der polnische Liberalismus klagt wohl gelegentlich darüber, daß hier den
lebendigsten Forderungen der Zeit kein Gehör geschenkt und das nationale
Interesse hinter dem kirchlichen zurückgesetzt werde. — Es gibt aber auch
keine zweite polnische Stadt, in welcher der Katholicismus so reiche Denk¬
mäler seiner einstigen künstlerischen Schöpferkraft und selner Leistungen für
die nationale Sache hinterlassen hätte. Die Marienkirche, die unter den
Krakauer Gotteshäusern bei Weitem nicht die erste Stelle einnimmt, hat diese
künstlerische Weihe in dreifacher Weise erhalten. Obgleich ihr Stil nicht
rein ist, gibt es keine deutsche Stadt, der sie nicht zum beneidenswerthen
Schmuck gereichen würde, auch wenn sie die prächtigen alten Glasfenster und
den Hochaltar nicht besäße, durch den Veit Stoß's Meisterhand sich hier un¬
sterblich gemacht hat.

Leider gebrach es an Zeit, dieses Kunstwerk, vor dem der Priester eben
die Messe celebrirte. aus der Nähe und mit Muße in Augenschein zu
nehmen. Die Grodzkastraße hinab, vorüber an der Dominikanerkirche,
dem Se. Andreaskloster und der im 16. Jahrhundert erbauten, Statuen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/114>, abgerufen am 26.06.2024.