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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Man kann sich nicht entschließen, auf die Bedeutung zur See zu verzichten
und die Wehrkraft auf Vertheidigung der Küsten zu beschränken. Der gute
Spießbürger läßt sich nicht nehmen, daß wir eine Flotte zur Vertheidigung
unserer Handelsschiffe und Colonien nöthig haben, und vergißt dabei, daß
unsere wenigen tüchtigen Schiffe bei einem etwaigen Kampfe mit einer wirk¬
lichen Seemacht nicht die geringsten Dienste leisten könnten, da der größte
Theil unserer Flotte -- nach dem Zeugniß aller Seeofsiciere -- gradezu un¬
brauchbar ist. Zu der luxuriösen Gewohnheit, eine Marine besitzen zu wollen,
kommt noch die Nothwendigkeit, eine Landarmee unterhalten zu müssen. Wir
geben jährlich über 14 Millionen Gulden für unsere Soldaten aus, was mit
den Marinegeldern 24 Millionen und ein Drittel unseres gesammten gewöhn¬
lichen Budgets macht.

Es läßt sich nicht leugnen, daß wir unter den Militärausgaben noch
mehr leiden als andere Nationen; in Preußen steht's damit aber schon deshalb
besser, weil man mit seinem Gelde etwas Tüchtiges erzielt, was bei uns leider
absolut nicht der Fall ist. Liest man die Militärdebatten in der zweiten
Kammer, die hauptsächlich durch sachverständige Officiere geführt werden, so
erhält man immer wieder den Eindruck, daß an unseren Vertheidigungs¬
mitteln das Meiste nicht in gehöriger Ordnung ist. Vor dem deutschen
Kriege belief sich unser Budget für die Landarmee aus durchschnittlich eilf
Millionen, seitdem wurde dasselbe auf 16 Millionen gebracht, weil die vorige
Regierung mit dem Geständniß hervortrat, daß die Vertheidigung des Landes
seit Jahren total vernachlässigt sei. Gegen das Versprechen, Alles in den
gehörigen Zustand zu bringen, bewilligten die Kammern größere Summen
und jetzt, wo die Regierung die bewilligten Gelder schon seit einigen Jahren
erhoben und verausgabt hat, steht die Sache grade so wie im Jahre 1866.
Der Hauptmann de Roo van Alderwerelt z. B. verlangte eine vollständige
und natürlich neue Opfer heischende Reorganisation des bisherigen Systems.
Andere stellen ähnliche Forderungen und es bleibt Jahr aus und Jahr ein
beim Erperimentiren; man wirft große Summen weg und muß doch ge¬
stehen, daß wir einem wirklichen Feinde gegenüber ohnmächtig bleiben müssen.
Sollen noch höhere Summen für Militärzwecke aufgebracht werden, so geht
der Staat seinem Ruin mit Sicherheit entgegen, denn ein irgend ausreichendes
Defensivsystem kann das heutige Holland nicht bezahlen. Beschränken wir
uns auf das "Allernothwendigste", so geht schon das über die Kräfte und
es wird nichts geleistet.

Es ist deshalb unverantwortlich von unserer Kammer, daß sie diesem
Zustande nicht ein Ende macht. Was hilft es, dem Volke Mangel an Na-
tionalitätsgefühl vorzuwerfen? Man muß sich nach der Decke strecken und


Man kann sich nicht entschließen, auf die Bedeutung zur See zu verzichten
und die Wehrkraft auf Vertheidigung der Küsten zu beschränken. Der gute
Spießbürger läßt sich nicht nehmen, daß wir eine Flotte zur Vertheidigung
unserer Handelsschiffe und Colonien nöthig haben, und vergißt dabei, daß
unsere wenigen tüchtigen Schiffe bei einem etwaigen Kampfe mit einer wirk¬
lichen Seemacht nicht die geringsten Dienste leisten könnten, da der größte
Theil unserer Flotte — nach dem Zeugniß aller Seeofsiciere — gradezu un¬
brauchbar ist. Zu der luxuriösen Gewohnheit, eine Marine besitzen zu wollen,
kommt noch die Nothwendigkeit, eine Landarmee unterhalten zu müssen. Wir
geben jährlich über 14 Millionen Gulden für unsere Soldaten aus, was mit
den Marinegeldern 24 Millionen und ein Drittel unseres gesammten gewöhn¬
lichen Budgets macht.

Es läßt sich nicht leugnen, daß wir unter den Militärausgaben noch
mehr leiden als andere Nationen; in Preußen steht's damit aber schon deshalb
besser, weil man mit seinem Gelde etwas Tüchtiges erzielt, was bei uns leider
absolut nicht der Fall ist. Liest man die Militärdebatten in der zweiten
Kammer, die hauptsächlich durch sachverständige Officiere geführt werden, so
erhält man immer wieder den Eindruck, daß an unseren Vertheidigungs¬
mitteln das Meiste nicht in gehöriger Ordnung ist. Vor dem deutschen
Kriege belief sich unser Budget für die Landarmee aus durchschnittlich eilf
Millionen, seitdem wurde dasselbe auf 16 Millionen gebracht, weil die vorige
Regierung mit dem Geständniß hervortrat, daß die Vertheidigung des Landes
seit Jahren total vernachlässigt sei. Gegen das Versprechen, Alles in den
gehörigen Zustand zu bringen, bewilligten die Kammern größere Summen
und jetzt, wo die Regierung die bewilligten Gelder schon seit einigen Jahren
erhoben und verausgabt hat, steht die Sache grade so wie im Jahre 1866.
Der Hauptmann de Roo van Alderwerelt z. B. verlangte eine vollständige
und natürlich neue Opfer heischende Reorganisation des bisherigen Systems.
Andere stellen ähnliche Forderungen und es bleibt Jahr aus und Jahr ein
beim Erperimentiren; man wirft große Summen weg und muß doch ge¬
stehen, daß wir einem wirklichen Feinde gegenüber ohnmächtig bleiben müssen.
Sollen noch höhere Summen für Militärzwecke aufgebracht werden, so geht
der Staat seinem Ruin mit Sicherheit entgegen, denn ein irgend ausreichendes
Defensivsystem kann das heutige Holland nicht bezahlen. Beschränken wir
uns auf das „Allernothwendigste", so geht schon das über die Kräfte und
es wird nichts geleistet.

Es ist deshalb unverantwortlich von unserer Kammer, daß sie diesem
Zustande nicht ein Ende macht. Was hilft es, dem Volke Mangel an Na-
tionalitätsgefühl vorzuwerfen? Man muß sich nach der Decke strecken und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/108>, abgerufen am 26.06.2024.