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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Kammer ist erst kurz vor Weihnachten mit den bezüglichen Berathungen fertig
geworden, und die erste Kammer kann bei der jetzt noch schwebenden Be¬
handlung das Budget verwerfen, wozu indessen sehr wenig Wahrscheinlich¬
keit besteht. Die Annahme durch die erste Kammer würde eigentlich gar
keine Frage sein, hätte nicht die zweite Kammer einige tausend Gulden
für kirchliche Zwecke gestrichen. Diese Streichung hat auf gewisser Seite viel
Entrüstung und einige Adressen an die andere Kammer hervorgerufen; der
betreffende Posten ist seit dem Jahre 1814 jährlich bewilligt worden und die
Kirche glaubte dadurch ein Recht auf diese Gelder erworben zu haben. Es
bleibt möglich, daß das Budget des betreffenden Ministers verworfen wird,
mehr aber wird in keinem Fall geschehen. Die Sache selbst ist rein ökono¬
mischer Natur und deshalb von keiner Bedeutung für den NichtHolländer.
Der Gang der Debatten in der zweiten Kammer bot überhaupt wenig In¬
teresse für den Ausländer, da wir, wie seit Jahren, Heuer hauptsächlich mit
unsern häuslichen Angelegenheiten beschäftigt sind. Nur einzelne Punkte
dürften auch weitere Kreise berühren. Zuerst muß ich eines Versuches unserer
sog. "Antirevolutionären" und der Ultramontanen, an dem Zustande unserer
neutralen Schule zu rütteln, gedenken. Ein zu diesem Zwecke von Herrn
van Wassenaar van Catwyk gestelltes Amendement wurde jedoch mit großer
Stimmenmehrheit verworfen. Seit dem verflossenen Sommer bemerkt man
bei den Gegnern unserer Schulgesetze überhaupt nicht mehr die frühere Rührig¬
keit; es scheint, daß sich auch hier bei den Katholiken langsam ein Zwiespalt
bildet und daß der Einfluß der Ultramontanen nicht mehr so groß ist, als
man nach dem frühern kühnen Auftreten dieser Richtung annehmen mochte.
Dem ganzen Angriff fehlte es an Einheit und Energie und es wurde dadurch
dem Minister Font ein leichter Sieg zu Theil.

Bei der Berathung über die Militär - und Marineausgaben kamen natür¬
licherweise die Beschaffenheit unserer Vertheidigungsmittel und unser Verhält¬
niß zu Preußen wieder zur Sprache. Seit einigen Monaten wurden zahl¬
reiche Adressen an den König gerichtet, in denen man auf Ermäßigung dieser
Ausgaben drang.

Zieht man in Betracht, daß unsere Steuern mit einer Steuerlast von
sechs und einem halben Gulden pro Kopf auf das Volk drücken, so muß
man ein solches Verlangen durchaus gerechtfertigt nennen. Der alte Lieb¬
lingsspruch: "Wir Holländer sind reich genug!" ist zur hohlen Phrase ge¬
worden, das Volk seufzt unter dem Steuerdruck und dennoch schließt jedes
Jahr mit einem Deficit von wenigstens zehn Millionen, das durch die Arbeit
der Javanen gedeckt werden muß.

Alter Ruhm ist eine schwer zu tragende Bürde. Wir Holländer können
uns noch nicht von der Tradition lossagen, daß wir eine Seemacht seien.


Kammer ist erst kurz vor Weihnachten mit den bezüglichen Berathungen fertig
geworden, und die erste Kammer kann bei der jetzt noch schwebenden Be¬
handlung das Budget verwerfen, wozu indessen sehr wenig Wahrscheinlich¬
keit besteht. Die Annahme durch die erste Kammer würde eigentlich gar
keine Frage sein, hätte nicht die zweite Kammer einige tausend Gulden
für kirchliche Zwecke gestrichen. Diese Streichung hat auf gewisser Seite viel
Entrüstung und einige Adressen an die andere Kammer hervorgerufen; der
betreffende Posten ist seit dem Jahre 1814 jährlich bewilligt worden und die
Kirche glaubte dadurch ein Recht auf diese Gelder erworben zu haben. Es
bleibt möglich, daß das Budget des betreffenden Ministers verworfen wird,
mehr aber wird in keinem Fall geschehen. Die Sache selbst ist rein ökono¬
mischer Natur und deshalb von keiner Bedeutung für den NichtHolländer.
Der Gang der Debatten in der zweiten Kammer bot überhaupt wenig In¬
teresse für den Ausländer, da wir, wie seit Jahren, Heuer hauptsächlich mit
unsern häuslichen Angelegenheiten beschäftigt sind. Nur einzelne Punkte
dürften auch weitere Kreise berühren. Zuerst muß ich eines Versuches unserer
sog. „Antirevolutionären" und der Ultramontanen, an dem Zustande unserer
neutralen Schule zu rütteln, gedenken. Ein zu diesem Zwecke von Herrn
van Wassenaar van Catwyk gestelltes Amendement wurde jedoch mit großer
Stimmenmehrheit verworfen. Seit dem verflossenen Sommer bemerkt man
bei den Gegnern unserer Schulgesetze überhaupt nicht mehr die frühere Rührig¬
keit; es scheint, daß sich auch hier bei den Katholiken langsam ein Zwiespalt
bildet und daß der Einfluß der Ultramontanen nicht mehr so groß ist, als
man nach dem frühern kühnen Auftreten dieser Richtung annehmen mochte.
Dem ganzen Angriff fehlte es an Einheit und Energie und es wurde dadurch
dem Minister Font ein leichter Sieg zu Theil.

Bei der Berathung über die Militär - und Marineausgaben kamen natür¬
licherweise die Beschaffenheit unserer Vertheidigungsmittel und unser Verhält¬
niß zu Preußen wieder zur Sprache. Seit einigen Monaten wurden zahl¬
reiche Adressen an den König gerichtet, in denen man auf Ermäßigung dieser
Ausgaben drang.

Zieht man in Betracht, daß unsere Steuern mit einer Steuerlast von
sechs und einem halben Gulden pro Kopf auf das Volk drücken, so muß
man ein solches Verlangen durchaus gerechtfertigt nennen. Der alte Lieb¬
lingsspruch: „Wir Holländer sind reich genug!" ist zur hohlen Phrase ge¬
worden, das Volk seufzt unter dem Steuerdruck und dennoch schließt jedes
Jahr mit einem Deficit von wenigstens zehn Millionen, das durch die Arbeit
der Javanen gedeckt werden muß.

Alter Ruhm ist eine schwer zu tragende Bürde. Wir Holländer können
uns noch nicht von der Tradition lossagen, daß wir eine Seemacht seien.


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[0107] Kammer ist erst kurz vor Weihnachten mit den bezüglichen Berathungen fertig geworden, und die erste Kammer kann bei der jetzt noch schwebenden Be¬ handlung das Budget verwerfen, wozu indessen sehr wenig Wahrscheinlich¬ keit besteht. Die Annahme durch die erste Kammer würde eigentlich gar keine Frage sein, hätte nicht die zweite Kammer einige tausend Gulden für kirchliche Zwecke gestrichen. Diese Streichung hat auf gewisser Seite viel Entrüstung und einige Adressen an die andere Kammer hervorgerufen; der betreffende Posten ist seit dem Jahre 1814 jährlich bewilligt worden und die Kirche glaubte dadurch ein Recht auf diese Gelder erworben zu haben. Es bleibt möglich, daß das Budget des betreffenden Ministers verworfen wird, mehr aber wird in keinem Fall geschehen. Die Sache selbst ist rein ökono¬ mischer Natur und deshalb von keiner Bedeutung für den NichtHolländer. Der Gang der Debatten in der zweiten Kammer bot überhaupt wenig In¬ teresse für den Ausländer, da wir, wie seit Jahren, Heuer hauptsächlich mit unsern häuslichen Angelegenheiten beschäftigt sind. Nur einzelne Punkte dürften auch weitere Kreise berühren. Zuerst muß ich eines Versuches unserer sog. „Antirevolutionären" und der Ultramontanen, an dem Zustande unserer neutralen Schule zu rütteln, gedenken. Ein zu diesem Zwecke von Herrn van Wassenaar van Catwyk gestelltes Amendement wurde jedoch mit großer Stimmenmehrheit verworfen. Seit dem verflossenen Sommer bemerkt man bei den Gegnern unserer Schulgesetze überhaupt nicht mehr die frühere Rührig¬ keit; es scheint, daß sich auch hier bei den Katholiken langsam ein Zwiespalt bildet und daß der Einfluß der Ultramontanen nicht mehr so groß ist, als man nach dem frühern kühnen Auftreten dieser Richtung annehmen mochte. Dem ganzen Angriff fehlte es an Einheit und Energie und es wurde dadurch dem Minister Font ein leichter Sieg zu Theil. Bei der Berathung über die Militär - und Marineausgaben kamen natür¬ licherweise die Beschaffenheit unserer Vertheidigungsmittel und unser Verhält¬ niß zu Preußen wieder zur Sprache. Seit einigen Monaten wurden zahl¬ reiche Adressen an den König gerichtet, in denen man auf Ermäßigung dieser Ausgaben drang. Zieht man in Betracht, daß unsere Steuern mit einer Steuerlast von sechs und einem halben Gulden pro Kopf auf das Volk drücken, so muß man ein solches Verlangen durchaus gerechtfertigt nennen. Der alte Lieb¬ lingsspruch: „Wir Holländer sind reich genug!" ist zur hohlen Phrase ge¬ worden, das Volk seufzt unter dem Steuerdruck und dennoch schließt jedes Jahr mit einem Deficit von wenigstens zehn Millionen, das durch die Arbeit der Javanen gedeckt werden muß. Alter Ruhm ist eine schwer zu tragende Bürde. Wir Holländer können uns noch nicht von der Tradition lossagen, daß wir eine Seemacht seien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/107>, abgerufen am 26.06.2024.