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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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eine begeisterte Schilderung der Renaissance als des goldenen Zeitalters, in
welchem Religion und Kunst aufs Neue unauflöslich verbunden schienen, da
der Gott der Christen den unsterblichen Mächten des Parnasses im gemein¬
samen Tempel die Hand reichte und der Großwürdenträger der Kreuzesreligion
selbst diese Verbindung segnend eingeweiht. Er zeigt dann, wie durch die
überstürzende Ungeduld, mit der die religiöse Umwälzung von reformatori¬
scher wie von antiresormatorischer Seite dazwischen trat, jener schöne Bund auf
immer gesprengt wurde und wie die neue Lebensgestaltung einem allzuspät
gebornen Kinde jener goldnen Zeit, das sich von dem Glauben an sie nicht
losreißen konnte, grausam die Leyer zerbrach und das helle Geistesauge um-
düsterte, -- wie sie noch heut den Edelsten und Besten, die sie in sich neu
zu erleben suchen, die Traumgebilde zerreißt.

Die Probleme, welche das wirkliche Leben in dem Gang der Geschichte
und den sittlichen Anforderungen der Gegenwart darbot, versucht er im "Stein
der Weisen" (Ora-mal, Oeuvre) zu erörtern. Hatte er früher mir Vorliebe die
Lichtseite des Alterthums dargestellt, so zeigt er jetzt, wie dasselbe politisch in
dem Princip der Sclaverei den Todeskeim in sich nährt, und indem er als
den heilsamen Eiwerb der Revolution und der siegreich fortschreitenden Arbeit
unserer Tage die wachsende Würde persönlicher Freiheit gegenüber dem Staate
preist, erinnert er zugleich, wie auch das Mittelalter vermöge des germani¬
schen Princips der freien Genossenschaften, das es in beiden Ständen, im
ritterlichen wie im städtischen mit dem Christenthum verband, den unaufhalt¬
sam sich entfaltenden Keim des Fortschritts bis zur Revolution in sich schloß,
^eine philosophische Weltanschauung geht von Plato über Spinoza zu Hegel.
Ueberall ist ihm harmonisches Zusammenschauen alles Schönen und dessen
Vereinigung zu neuen edlen Gebilden die Basis. Für die Beurtheilung alles
menschlichen Thuns und Treibens aber behält er das kühle deterministische
Princip Spinoza's, mit dem er die Leidenschaften ohne Unwillen und Ein¬
genommenheit wägt und durch erfahrene Seelendirectoren zügeln läßt. Es
ist charakteristisch, daß er auch die katholischen Beichtväter, wo er ihnen heil¬
samen Einfluß zuschreibt, regelmäßig zu Spinozisten macht. Die Welt unter
dieser "Form des Ewigen" zu betrachten ist auch für feine Helden unbeding¬
tes Erforderniß und selbst seine zartesten Frauengestalten wandeln unwill¬
kürlich ihre höchsten geistigen Gefühle nach diesen Formeln sofort zu präcisen
Begriffen um. sofern das Böse nach jener Anschauung keine positive Rea¬
lität har, wird auch an der Stichhaltigkeit seiner moralischen Begriffe
gezweifelt; materialistisch philosophirende Geister, die er wiederholt ein¬
rührt, will er nirgend ausdrücklich ganz widerlegen. Aber Frömmigkeit ist
ihm ebenso wie es Rückert ausdrückt, "die Lieb' allein zum Schönsten, was
es gibt." Aus der neueren Phase der deutschen Philosophie nimmt er den


eine begeisterte Schilderung der Renaissance als des goldenen Zeitalters, in
welchem Religion und Kunst aufs Neue unauflöslich verbunden schienen, da
der Gott der Christen den unsterblichen Mächten des Parnasses im gemein¬
samen Tempel die Hand reichte und der Großwürdenträger der Kreuzesreligion
selbst diese Verbindung segnend eingeweiht. Er zeigt dann, wie durch die
überstürzende Ungeduld, mit der die religiöse Umwälzung von reformatori¬
scher wie von antiresormatorischer Seite dazwischen trat, jener schöne Bund auf
immer gesprengt wurde und wie die neue Lebensgestaltung einem allzuspät
gebornen Kinde jener goldnen Zeit, das sich von dem Glauben an sie nicht
losreißen konnte, grausam die Leyer zerbrach und das helle Geistesauge um-
düsterte, — wie sie noch heut den Edelsten und Besten, die sie in sich neu
zu erleben suchen, die Traumgebilde zerreißt.

Die Probleme, welche das wirkliche Leben in dem Gang der Geschichte
und den sittlichen Anforderungen der Gegenwart darbot, versucht er im „Stein
der Weisen" (Ora-mal, Oeuvre) zu erörtern. Hatte er früher mir Vorliebe die
Lichtseite des Alterthums dargestellt, so zeigt er jetzt, wie dasselbe politisch in
dem Princip der Sclaverei den Todeskeim in sich nährt, und indem er als
den heilsamen Eiwerb der Revolution und der siegreich fortschreitenden Arbeit
unserer Tage die wachsende Würde persönlicher Freiheit gegenüber dem Staate
preist, erinnert er zugleich, wie auch das Mittelalter vermöge des germani¬
schen Princips der freien Genossenschaften, das es in beiden Ständen, im
ritterlichen wie im städtischen mit dem Christenthum verband, den unaufhalt¬
sam sich entfaltenden Keim des Fortschritts bis zur Revolution in sich schloß,
^eine philosophische Weltanschauung geht von Plato über Spinoza zu Hegel.
Ueberall ist ihm harmonisches Zusammenschauen alles Schönen und dessen
Vereinigung zu neuen edlen Gebilden die Basis. Für die Beurtheilung alles
menschlichen Thuns und Treibens aber behält er das kühle deterministische
Princip Spinoza's, mit dem er die Leidenschaften ohne Unwillen und Ein¬
genommenheit wägt und durch erfahrene Seelendirectoren zügeln läßt. Es
ist charakteristisch, daß er auch die katholischen Beichtväter, wo er ihnen heil¬
samen Einfluß zuschreibt, regelmäßig zu Spinozisten macht. Die Welt unter
dieser „Form des Ewigen" zu betrachten ist auch für feine Helden unbeding¬
tes Erforderniß und selbst seine zartesten Frauengestalten wandeln unwill¬
kürlich ihre höchsten geistigen Gefühle nach diesen Formeln sofort zu präcisen
Begriffen um. sofern das Böse nach jener Anschauung keine positive Rea¬
lität har, wird auch an der Stichhaltigkeit seiner moralischen Begriffe
gezweifelt; materialistisch philosophirende Geister, die er wiederholt ein¬
rührt, will er nirgend ausdrücklich ganz widerlegen. Aber Frömmigkeit ist
ihm ebenso wie es Rückert ausdrückt, „die Lieb' allein zum Schönsten, was
es gibt." Aus der neueren Phase der deutschen Philosophie nimmt er den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/80>, abgerufen am 22.07.2024.