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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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empfinden; das schöne Gedicht "die Metamorphose der Pflanze" gibt in dra¬
matischer Verkörperung zu seinem anziehendsten Romane "Graf Kostia"
gleichsam die Seele ab. Jedoch wie wenig er selbst sich zum lyrischen Dichter be¬
rufen fühlt, bezeugt schon im "Roß des Phidias" der charakteristische Umstand,
daß er ein Gedicht, welches im Gewebe der dortigen Unterhaltungen von Wichtig¬
keit ist (es hat die Natur des poetischen Schaffens überhaupt zum Vorwurf). nur
in Prosa nacherzählen läßt. Auch die einzigen erwähnenswerthen Verse,
deren wir uns in seinen Werken entsinnen (im Kranä Osuvre), leiden an der
allzu discursiven Form der Conception. Trotzdem würde es uns Wunder
nehmen, wenn er sich nicht öfters lyrisch versucht hätte. Vielleicht hat er
mit derselben Selbstbeherrschung, mit welcher er alle seine jugendlichen Stu¬
dien dem Auge des Publikums entzog, auch diese poetischen Versuche unter¬
drückt; ein Princip, durch welches wir vielleicht verloren haben, er selbst aber
gewiß nicht. Er wußte, wo seine Stärke nicht lag. Von seinen Lands¬
männinnen sagt er einmal, daß, wenn sie schön sind, sie einen eigenthüm¬
lichen Reiz besitzen, den man einer geschmückten Prosa vergleichen könne; in
diesem Sinne ist seine Muse gleichfalls immer eine schöne Genferin geblieben,
auch wenn sie ihre Lieder in der Fremde gelernt hat. Wenn er anderwärts
jene kindlich schöne Seele, seinen Fürsten Vitale, die Sonette Tasso's ans
Ohr halten und ausrufen läßt: o die herrliche Musik da drinnen! so weiß
er wohl, daß er mit dieser Betonung des musikalischen Sprachelements beim
fremden Poeten der Wirkung seiner Prosa keinen Schaden thut, sondern viel¬
mehr die Aufmerksamkeit für die eigene Leistung nach dieser Seite schärft. Kraft¬
volle wohlklingende Diction ist ganz sein Eigenthum; denn wenn er mit
Goethe das Bestreben theilt, überall die menschliche Natur in ihrer Aufrich.
tigkeit und Ursprünglichkeit abzubilden, wenn er es gleichsam als das höchste
Gut wie als die einzige Tugend darstellt, immer im Lichte, unserem wahren
Sinn gemäß zu kämpfen, so ist diese anscheinende Natürlichkeit bei ihm doch
stets das Werk angestrengtester Reflexion und sorgsamster Bearbeitung, nur
daß eben die Künstlerhand den mechanischen Apparat mit dem Scheine mühe¬
loser Schönheit umkleidet. Er fühlt sich im Besitze des antiken Princips, an
das er im "Roß des Phidias" sinnig erinnert: "Wie die Säulen des ärnten
Tempels in ihrer Neigung zu einander nach einem viel höheren Punkte im
Aether gravitiren. als die gothischen Spitzbogen der größten Dome, und so
die Seele in leichtesten, unmittelbarsten Aufschwünge dem Ewigen entgegen¬
führen, anstatt wie bei letzteren, einem näheren Himmel sichtlich mühevoller
zuzustreben." -- Für den Kenner freilich liegen die Schwierigkeiten, mit
denen er gerungen, zu Tage, und jene Beschreibung, die wir bei ihm von den
dürren Stunden des Dichters finden, in denen nichts gelingen will und über
die nur die Energie, gleichsam der Wahnsinn verzweifelten Schaffens hinaus-


empfinden; das schöne Gedicht „die Metamorphose der Pflanze" gibt in dra¬
matischer Verkörperung zu seinem anziehendsten Romane „Graf Kostia"
gleichsam die Seele ab. Jedoch wie wenig er selbst sich zum lyrischen Dichter be¬
rufen fühlt, bezeugt schon im „Roß des Phidias" der charakteristische Umstand,
daß er ein Gedicht, welches im Gewebe der dortigen Unterhaltungen von Wichtig¬
keit ist (es hat die Natur des poetischen Schaffens überhaupt zum Vorwurf). nur
in Prosa nacherzählen läßt. Auch die einzigen erwähnenswerthen Verse,
deren wir uns in seinen Werken entsinnen (im Kranä Osuvre), leiden an der
allzu discursiven Form der Conception. Trotzdem würde es uns Wunder
nehmen, wenn er sich nicht öfters lyrisch versucht hätte. Vielleicht hat er
mit derselben Selbstbeherrschung, mit welcher er alle seine jugendlichen Stu¬
dien dem Auge des Publikums entzog, auch diese poetischen Versuche unter¬
drückt; ein Princip, durch welches wir vielleicht verloren haben, er selbst aber
gewiß nicht. Er wußte, wo seine Stärke nicht lag. Von seinen Lands¬
männinnen sagt er einmal, daß, wenn sie schön sind, sie einen eigenthüm¬
lichen Reiz besitzen, den man einer geschmückten Prosa vergleichen könne; in
diesem Sinne ist seine Muse gleichfalls immer eine schöne Genferin geblieben,
auch wenn sie ihre Lieder in der Fremde gelernt hat. Wenn er anderwärts
jene kindlich schöne Seele, seinen Fürsten Vitale, die Sonette Tasso's ans
Ohr halten und ausrufen läßt: o die herrliche Musik da drinnen! so weiß
er wohl, daß er mit dieser Betonung des musikalischen Sprachelements beim
fremden Poeten der Wirkung seiner Prosa keinen Schaden thut, sondern viel¬
mehr die Aufmerksamkeit für die eigene Leistung nach dieser Seite schärft. Kraft¬
volle wohlklingende Diction ist ganz sein Eigenthum; denn wenn er mit
Goethe das Bestreben theilt, überall die menschliche Natur in ihrer Aufrich.
tigkeit und Ursprünglichkeit abzubilden, wenn er es gleichsam als das höchste
Gut wie als die einzige Tugend darstellt, immer im Lichte, unserem wahren
Sinn gemäß zu kämpfen, so ist diese anscheinende Natürlichkeit bei ihm doch
stets das Werk angestrengtester Reflexion und sorgsamster Bearbeitung, nur
daß eben die Künstlerhand den mechanischen Apparat mit dem Scheine mühe¬
loser Schönheit umkleidet. Er fühlt sich im Besitze des antiken Princips, an
das er im „Roß des Phidias" sinnig erinnert: „Wie die Säulen des ärnten
Tempels in ihrer Neigung zu einander nach einem viel höheren Punkte im
Aether gravitiren. als die gothischen Spitzbogen der größten Dome, und so
die Seele in leichtesten, unmittelbarsten Aufschwünge dem Ewigen entgegen¬
führen, anstatt wie bei letzteren, einem näheren Himmel sichtlich mühevoller
zuzustreben." — Für den Kenner freilich liegen die Schwierigkeiten, mit
denen er gerungen, zu Tage, und jene Beschreibung, die wir bei ihm von den
dürren Stunden des Dichters finden, in denen nichts gelingen will und über
die nur die Energie, gleichsam der Wahnsinn verzweifelten Schaffens hinaus-


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[0077] empfinden; das schöne Gedicht „die Metamorphose der Pflanze" gibt in dra¬ matischer Verkörperung zu seinem anziehendsten Romane „Graf Kostia" gleichsam die Seele ab. Jedoch wie wenig er selbst sich zum lyrischen Dichter be¬ rufen fühlt, bezeugt schon im „Roß des Phidias" der charakteristische Umstand, daß er ein Gedicht, welches im Gewebe der dortigen Unterhaltungen von Wichtig¬ keit ist (es hat die Natur des poetischen Schaffens überhaupt zum Vorwurf). nur in Prosa nacherzählen läßt. Auch die einzigen erwähnenswerthen Verse, deren wir uns in seinen Werken entsinnen (im Kranä Osuvre), leiden an der allzu discursiven Form der Conception. Trotzdem würde es uns Wunder nehmen, wenn er sich nicht öfters lyrisch versucht hätte. Vielleicht hat er mit derselben Selbstbeherrschung, mit welcher er alle seine jugendlichen Stu¬ dien dem Auge des Publikums entzog, auch diese poetischen Versuche unter¬ drückt; ein Princip, durch welches wir vielleicht verloren haben, er selbst aber gewiß nicht. Er wußte, wo seine Stärke nicht lag. Von seinen Lands¬ männinnen sagt er einmal, daß, wenn sie schön sind, sie einen eigenthüm¬ lichen Reiz besitzen, den man einer geschmückten Prosa vergleichen könne; in diesem Sinne ist seine Muse gleichfalls immer eine schöne Genferin geblieben, auch wenn sie ihre Lieder in der Fremde gelernt hat. Wenn er anderwärts jene kindlich schöne Seele, seinen Fürsten Vitale, die Sonette Tasso's ans Ohr halten und ausrufen läßt: o die herrliche Musik da drinnen! so weiß er wohl, daß er mit dieser Betonung des musikalischen Sprachelements beim fremden Poeten der Wirkung seiner Prosa keinen Schaden thut, sondern viel¬ mehr die Aufmerksamkeit für die eigene Leistung nach dieser Seite schärft. Kraft¬ volle wohlklingende Diction ist ganz sein Eigenthum; denn wenn er mit Goethe das Bestreben theilt, überall die menschliche Natur in ihrer Aufrich. tigkeit und Ursprünglichkeit abzubilden, wenn er es gleichsam als das höchste Gut wie als die einzige Tugend darstellt, immer im Lichte, unserem wahren Sinn gemäß zu kämpfen, so ist diese anscheinende Natürlichkeit bei ihm doch stets das Werk angestrengtester Reflexion und sorgsamster Bearbeitung, nur daß eben die Künstlerhand den mechanischen Apparat mit dem Scheine mühe¬ loser Schönheit umkleidet. Er fühlt sich im Besitze des antiken Princips, an das er im „Roß des Phidias" sinnig erinnert: „Wie die Säulen des ärnten Tempels in ihrer Neigung zu einander nach einem viel höheren Punkte im Aether gravitiren. als die gothischen Spitzbogen der größten Dome, und so die Seele in leichtesten, unmittelbarsten Aufschwünge dem Ewigen entgegen¬ führen, anstatt wie bei letzteren, einem näheren Himmel sichtlich mühevoller zuzustreben." — Für den Kenner freilich liegen die Schwierigkeiten, mit denen er gerungen, zu Tage, und jene Beschreibung, die wir bei ihm von den dürren Stunden des Dichters finden, in denen nichts gelingen will und über die nur die Energie, gleichsam der Wahnsinn verzweifelten Schaffens hinaus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/77>, abgerufen am 29.06.2024.