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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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geringer, ja würde noch weit größer sein, wenn nicht die Mehrzahl der¬
selben in verschiedenen Stellungen, z. B. als Stadtrichter. Bürgermeister,
ritterschaftliche Justitiare für ein oder mehrere Güter, als Crimmal- Md
Civilrichter u: tgi. fungirten.

Das Gebiet der örtlichen Competenz aller aufgezählten Gerichte, den
Guts - und Stadtgrenzen ze. folgend. ist so bunt durch einander gewürfelt,
daß nur der sich einen annähernden Begriff von dieser Mannigfaltigkeit
machen kann, welcher die dem Reichstag bei Berathung des neuen Bundes-
Wahlgesetzes vorgelegten colorirten Karten der durchweg ähnlichen bisherigen
mecklenburgischen Wahlkreise mit eigenen Augen gesehen hat. So kommt es,
daß fast in jeder kleinsten Landstadt mindestens drei Gerichte von gleicher
sachlicher, aber verschiedener localer Competenz ihren Sitz haben, ein fürst¬
liches, ein städtisches und ein ritterschaftliches Gericht, meistens aber mehrere
von jeder Kategorie, und dem Rechtsunkundigen heißt es wirklich viel natür¬
lichen Rechtsinstinkt zumuthen, sich allemal gleich vor der richtigen Rechts¬
schmiede einzufinden. "Wo kriegst Du Din Tagel (Schläge)? Ick krieg min
bi Amt" oder "bi'n Afkaten" (Advocat, volksübliche Bezeichung des meistens
auch als solcher fungirenden ritterschaftlichen Justitiars), ist die aus der Zeit
des Prügelgesetzes überlieferte Art und Weise, wie sich der gemeine Mann
bei seines Gleichen in seinen Competenzzweifeln zu orientiren pflegt. Die
örtliche Zersplitterung der Gerichtssprengel geht so weit, daß in manchen
Städten einzelne Häuser unter landesherrlicher, andere unter magistratlicher
Jurisdiction stehen, und daß die Hintersassen des einen Rittergutes in dieser,
die des unmittelbar benachbarten in jener, vielleicht meilenweit entfernten
Stadt ihr Recht suchen müssen. Um nur ein paar Beispiele der erstern Art
anzuführen, die sich zu Dutzenden beibringen ließen, erwähnen wir, daß in
dem mit Unrecht als mecklenburgisches Schöppenstädt verschrienen Teterow
der Magistrat die Gerichtsbarkeit auf dem Stadtseite übt und in den Vor¬
städten rücksichtlich der Häuser, welche auf Stadtgrund belegen, d. h. auf
frühern Hausgärten (Hauspertinenzen) oder Scheunenplätzen auf Stadtgrund
erbaut und an der "Hausgrundmiethe" im Gegensatz zu den Häusern "auf
eigenem Grunde" kenntlich sind, die unter landesherrlicher Jurisdiction stehen.
Welches Studium der Flurkarten und Register gehört dazu, um sich vor¬
kommenden Falls an das kompetente Magistratsgericht zu wenden und nicht
vom großherzoglichen Stadtgericht mit Kosten und Zeitverlust wegen Jn-
competenz desselben zurückgewiesen zu werden! Alle diese complicirten Ver¬
hältnisse sind in echt patrimonialer Weise auf dem Wege des Vertrages durch
zahlreiche, für jede Stadt besonders erlassene sog. Jurisoictions-Regulative
geordnet, deren Mehrzahl nicht einmal in gemeinkundiger Weise publicirt ist.

Daß die ritterschaftlichen Jurisdictionsverhältnisse nicht minder verwickelt


geringer, ja würde noch weit größer sein, wenn nicht die Mehrzahl der¬
selben in verschiedenen Stellungen, z. B. als Stadtrichter. Bürgermeister,
ritterschaftliche Justitiare für ein oder mehrere Güter, als Crimmal- Md
Civilrichter u: tgi. fungirten.

Das Gebiet der örtlichen Competenz aller aufgezählten Gerichte, den
Guts - und Stadtgrenzen ze. folgend. ist so bunt durch einander gewürfelt,
daß nur der sich einen annähernden Begriff von dieser Mannigfaltigkeit
machen kann, welcher die dem Reichstag bei Berathung des neuen Bundes-
Wahlgesetzes vorgelegten colorirten Karten der durchweg ähnlichen bisherigen
mecklenburgischen Wahlkreise mit eigenen Augen gesehen hat. So kommt es,
daß fast in jeder kleinsten Landstadt mindestens drei Gerichte von gleicher
sachlicher, aber verschiedener localer Competenz ihren Sitz haben, ein fürst¬
liches, ein städtisches und ein ritterschaftliches Gericht, meistens aber mehrere
von jeder Kategorie, und dem Rechtsunkundigen heißt es wirklich viel natür¬
lichen Rechtsinstinkt zumuthen, sich allemal gleich vor der richtigen Rechts¬
schmiede einzufinden. „Wo kriegst Du Din Tagel (Schläge)? Ick krieg min
bi Amt" oder „bi'n Afkaten" (Advocat, volksübliche Bezeichung des meistens
auch als solcher fungirenden ritterschaftlichen Justitiars), ist die aus der Zeit
des Prügelgesetzes überlieferte Art und Weise, wie sich der gemeine Mann
bei seines Gleichen in seinen Competenzzweifeln zu orientiren pflegt. Die
örtliche Zersplitterung der Gerichtssprengel geht so weit, daß in manchen
Städten einzelne Häuser unter landesherrlicher, andere unter magistratlicher
Jurisdiction stehen, und daß die Hintersassen des einen Rittergutes in dieser,
die des unmittelbar benachbarten in jener, vielleicht meilenweit entfernten
Stadt ihr Recht suchen müssen. Um nur ein paar Beispiele der erstern Art
anzuführen, die sich zu Dutzenden beibringen ließen, erwähnen wir, daß in
dem mit Unrecht als mecklenburgisches Schöppenstädt verschrienen Teterow
der Magistrat die Gerichtsbarkeit auf dem Stadtseite übt und in den Vor¬
städten rücksichtlich der Häuser, welche auf Stadtgrund belegen, d. h. auf
frühern Hausgärten (Hauspertinenzen) oder Scheunenplätzen auf Stadtgrund
erbaut und an der „Hausgrundmiethe" im Gegensatz zu den Häusern „auf
eigenem Grunde" kenntlich sind, die unter landesherrlicher Jurisdiction stehen.
Welches Studium der Flurkarten und Register gehört dazu, um sich vor¬
kommenden Falls an das kompetente Magistratsgericht zu wenden und nicht
vom großherzoglichen Stadtgericht mit Kosten und Zeitverlust wegen Jn-
competenz desselben zurückgewiesen zu werden! Alle diese complicirten Ver¬
hältnisse sind in echt patrimonialer Weise auf dem Wege des Vertrages durch
zahlreiche, für jede Stadt besonders erlassene sog. Jurisoictions-Regulative
geordnet, deren Mehrzahl nicht einmal in gemeinkundiger Weise publicirt ist.

Daß die ritterschaftlichen Jurisdictionsverhältnisse nicht minder verwickelt


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[0055] geringer, ja würde noch weit größer sein, wenn nicht die Mehrzahl der¬ selben in verschiedenen Stellungen, z. B. als Stadtrichter. Bürgermeister, ritterschaftliche Justitiare für ein oder mehrere Güter, als Crimmal- Md Civilrichter u: tgi. fungirten. Das Gebiet der örtlichen Competenz aller aufgezählten Gerichte, den Guts - und Stadtgrenzen ze. folgend. ist so bunt durch einander gewürfelt, daß nur der sich einen annähernden Begriff von dieser Mannigfaltigkeit machen kann, welcher die dem Reichstag bei Berathung des neuen Bundes- Wahlgesetzes vorgelegten colorirten Karten der durchweg ähnlichen bisherigen mecklenburgischen Wahlkreise mit eigenen Augen gesehen hat. So kommt es, daß fast in jeder kleinsten Landstadt mindestens drei Gerichte von gleicher sachlicher, aber verschiedener localer Competenz ihren Sitz haben, ein fürst¬ liches, ein städtisches und ein ritterschaftliches Gericht, meistens aber mehrere von jeder Kategorie, und dem Rechtsunkundigen heißt es wirklich viel natür¬ lichen Rechtsinstinkt zumuthen, sich allemal gleich vor der richtigen Rechts¬ schmiede einzufinden. „Wo kriegst Du Din Tagel (Schläge)? Ick krieg min bi Amt" oder „bi'n Afkaten" (Advocat, volksübliche Bezeichung des meistens auch als solcher fungirenden ritterschaftlichen Justitiars), ist die aus der Zeit des Prügelgesetzes überlieferte Art und Weise, wie sich der gemeine Mann bei seines Gleichen in seinen Competenzzweifeln zu orientiren pflegt. Die örtliche Zersplitterung der Gerichtssprengel geht so weit, daß in manchen Städten einzelne Häuser unter landesherrlicher, andere unter magistratlicher Jurisdiction stehen, und daß die Hintersassen des einen Rittergutes in dieser, die des unmittelbar benachbarten in jener, vielleicht meilenweit entfernten Stadt ihr Recht suchen müssen. Um nur ein paar Beispiele der erstern Art anzuführen, die sich zu Dutzenden beibringen ließen, erwähnen wir, daß in dem mit Unrecht als mecklenburgisches Schöppenstädt verschrienen Teterow der Magistrat die Gerichtsbarkeit auf dem Stadtseite übt und in den Vor¬ städten rücksichtlich der Häuser, welche auf Stadtgrund belegen, d. h. auf frühern Hausgärten (Hauspertinenzen) oder Scheunenplätzen auf Stadtgrund erbaut und an der „Hausgrundmiethe" im Gegensatz zu den Häusern „auf eigenem Grunde" kenntlich sind, die unter landesherrlicher Jurisdiction stehen. Welches Studium der Flurkarten und Register gehört dazu, um sich vor¬ kommenden Falls an das kompetente Magistratsgericht zu wenden und nicht vom großherzoglichen Stadtgericht mit Kosten und Zeitverlust wegen Jn- competenz desselben zurückgewiesen zu werden! Alle diese complicirten Ver¬ hältnisse sind in echt patrimonialer Weise auf dem Wege des Vertrages durch zahlreiche, für jede Stadt besonders erlassene sog. Jurisoictions-Regulative geordnet, deren Mehrzahl nicht einmal in gemeinkundiger Weise publicirt ist. Daß die ritterschaftlichen Jurisdictionsverhältnisse nicht minder verwickelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/55>, abgerufen am 22.07.2024.