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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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vielmehr den einer dem deutschen Reichschaos durchaus analogen Conglome-
ration politischer Sonderwesen macht, die trotz allen Widerstrebens wohl in
einem gewissen Zusammenhang, aber durchaus nicht in derjenigen organischen
Verbindung stehen, ohne welche der Staatskörper seine Lebensthätigkeit nicht
entwickeln kann.

Doch ist es nicht unsere Absicht, eine derartige Vergleichung anzustellen.
Wir beschränken uns vielmehr darauf, denjenigen Punkt hervorzuheben, den
vorstehend bereits berührten, und der uns veranlaßte, die kartographischen
wir Spielereien des vorigen Jahrhunderts ans Tageslicht zu ziehen: wir
meinen die mecklenburgische Patrimonialgerichtsbarkeit. -- "Die Privatgerichts¬
barkeit wird aufgehoben", ist die erste Voraussetzung, von der die Verfasser
des jetzt im Druck vorliegenden Entwurfs einer Proceßordnung in bürger¬
lichen Rechtsstreitigkeiten für den norddeutschen Bund ausgingen. Was diese
wenigen Worte im Munde führen, wird man erst recht verstehen, wenn
man die dadurch berührten, im übrigen Deutschland praktisch kaum noch be¬
kannten Verhältnisse Mecklenburgs betrachtet. Hier wuchern die Patrimonial-
gerichte, namentlich der Gutsherren, aber auch der Städte ze. bis auf den
heutigen Tag in derselben, ja in noch größerer Zahl, als einst die Halsgerichte
in den Territorien des deutschen Reichs, und wenngleich viele derselben haupt¬
sächlich aus ökonomischen Rücksichten in neuerer Zeit vereinigt wurden, so
ist ihre Zahl immer noch groß genug, um mit ihrem Personal im mecklen¬
burgischen Staatskalender mehr als dreißig Seiten zu füllen. Im vorigen
Jahre zählte man allein im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin, dem
das Großherzogthum Mecklenburg-Strelitz Stargardischen Kreises würdig zur
Seite steht, (während die Verhältnisse im Fürstenthum Ratzeburg wegen dessen
durchweg domanialer Natur wesentlich einfacher sind), nicht weniger als 26
vereinte ritterschastliche Gerichte für ,die Civil-Jurisdiction, über 200 Civil¬
gerichte einzelner Rittergüter. 34 vereinte ritterschastliche Criminalgerichte;
außerdem die Gerichte der Klostergüter, (in welchen als "Klostergerichten"
im Gegensatz zu den "Klosteramtsgerichten" die Frau Domina den Vorsitz
führt und der Küchenmeister als Actuar fungirt), die Gerichte für die Güter
des Rostocker Districts. die Kämmerei- und Oekonomiegüter, die Wismarschen
Landgüter, die Ober- und Niedergerichte der Seestädte. -- diese haben näm¬
lich auch eigene Gerichte zweiter Instanz --, die Magistratsgerichte in den
40 Landstädten u. s. w. u. s. w. Hinzukommen die Großherzoglichen Stadt¬
gerichte, Amtsgerichte, die drei Justizkanzleien als Gerichte erster Instanz
für die Eximirten u. f. w., sodaß man Alles in Allem auf je 1000 Ein¬
wohner ungefähr ein Gericht rechnen kann Dieser Ueberfüllung des Landes mit
nicht genießbaren Gerichten entspricht die Zahl der immatriculirten Advocaten
und Notare, deren es zur Zeit ca. je 400 gibt! Die der Richter wird kaum


vielmehr den einer dem deutschen Reichschaos durchaus analogen Conglome-
ration politischer Sonderwesen macht, die trotz allen Widerstrebens wohl in
einem gewissen Zusammenhang, aber durchaus nicht in derjenigen organischen
Verbindung stehen, ohne welche der Staatskörper seine Lebensthätigkeit nicht
entwickeln kann.

Doch ist es nicht unsere Absicht, eine derartige Vergleichung anzustellen.
Wir beschränken uns vielmehr darauf, denjenigen Punkt hervorzuheben, den
vorstehend bereits berührten, und der uns veranlaßte, die kartographischen
wir Spielereien des vorigen Jahrhunderts ans Tageslicht zu ziehen: wir
meinen die mecklenburgische Patrimonialgerichtsbarkeit. — „Die Privatgerichts¬
barkeit wird aufgehoben", ist die erste Voraussetzung, von der die Verfasser
des jetzt im Druck vorliegenden Entwurfs einer Proceßordnung in bürger¬
lichen Rechtsstreitigkeiten für den norddeutschen Bund ausgingen. Was diese
wenigen Worte im Munde führen, wird man erst recht verstehen, wenn
man die dadurch berührten, im übrigen Deutschland praktisch kaum noch be¬
kannten Verhältnisse Mecklenburgs betrachtet. Hier wuchern die Patrimonial-
gerichte, namentlich der Gutsherren, aber auch der Städte ze. bis auf den
heutigen Tag in derselben, ja in noch größerer Zahl, als einst die Halsgerichte
in den Territorien des deutschen Reichs, und wenngleich viele derselben haupt¬
sächlich aus ökonomischen Rücksichten in neuerer Zeit vereinigt wurden, so
ist ihre Zahl immer noch groß genug, um mit ihrem Personal im mecklen¬
burgischen Staatskalender mehr als dreißig Seiten zu füllen. Im vorigen
Jahre zählte man allein im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin, dem
das Großherzogthum Mecklenburg-Strelitz Stargardischen Kreises würdig zur
Seite steht, (während die Verhältnisse im Fürstenthum Ratzeburg wegen dessen
durchweg domanialer Natur wesentlich einfacher sind), nicht weniger als 26
vereinte ritterschastliche Gerichte für ,die Civil-Jurisdiction, über 200 Civil¬
gerichte einzelner Rittergüter. 34 vereinte ritterschastliche Criminalgerichte;
außerdem die Gerichte der Klostergüter, (in welchen als „Klostergerichten"
im Gegensatz zu den „Klosteramtsgerichten" die Frau Domina den Vorsitz
führt und der Küchenmeister als Actuar fungirt), die Gerichte für die Güter
des Rostocker Districts. die Kämmerei- und Oekonomiegüter, die Wismarschen
Landgüter, die Ober- und Niedergerichte der Seestädte. — diese haben näm¬
lich auch eigene Gerichte zweiter Instanz —, die Magistratsgerichte in den
40 Landstädten u. s. w. u. s. w. Hinzukommen die Großherzoglichen Stadt¬
gerichte, Amtsgerichte, die drei Justizkanzleien als Gerichte erster Instanz
für die Eximirten u. f. w., sodaß man Alles in Allem auf je 1000 Ein¬
wohner ungefähr ein Gericht rechnen kann Dieser Ueberfüllung des Landes mit
nicht genießbaren Gerichten entspricht die Zahl der immatriculirten Advocaten
und Notare, deren es zur Zeit ca. je 400 gibt! Die der Richter wird kaum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/54>, abgerufen am 02.10.2024.