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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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sind, zeigt ein Blick in den Staatskalender, aus welchem wir statt vielen
nur das eine Beispiel, das sich ähnlich überall wiederholt, hervorheben wollen,
daß die vereinten Civilgerichte des ritterschaftli'chen Amtes Stavenhagen in
den Orten Jvenack, Krackow, Lage, Malchin, Penzlin und Teterow zer¬
streut liegen, und daß außerdem 13 einzelne Gutsgerichte desselben Amts
ihren Sitz in Waren haben, 4 in Stavenhagen, 10 in Neubrandenburg und
1 in Alt-Strelitz, also gar außerhalb Landes! Um die Verwirrung nament¬
lich in den Städten noch größer zu machen, kommen die trotz wiederholter
Beschränkungen noch immer äußerst zahlreichen Exemtionen von der nieder-
säßigen Gerichtsbarkeit hinzu, die freilich mit der Patrimonialgerichtsbarkeit
nichts zu thun haben, aber doch dem mecklenburgischen Proceß einen so eigen¬
thümlichen Charakter aufprägen, daß wir hier wenigstens beiläufig derselben
erwähnen dürfen, unter Hinweis darauf, daß der Entwurf der neuen Bundes-
proeeßordnung als zweite Voraussetzung die Abschaffung des privilegirten Ge¬
richtsstandes bezeichnet. Daß die Sprengel der exemten Fora, der Justiz¬
kanzleien, ebenfalls keine geschlossenen sind, sondern wiederum bunt durchein¬
ander über das ganze Land zerstreut liegen, wird nach dem über die Nieder¬
gerichte Gesagten Niemand mehr verwundern. Doch zurück zu unsern Patri-
monialgerichtenl

Die hohe Criminalgerichtsbarkeit haben die Patrimonialgerichtsherren,
soweit sie ihnen überhaupt früher zustand, freilich an den Landesherrn ab¬
getreten, als dieser nach den Kriegsjahren am Anfang dieses Jahrhunderts
zur Wiederherstellung der während derselben durch zahlreiche Räuber- und
Diebesbanden arg gefährdeten öffentlichen Sicherheit für die Verfolgung der¬
selben im Jahre 1812 ein centrales Ausnahmegericht etablirte, aus welchem
später das Criminalcollegium zu Bützow als für alle schweren Verbrechen
allein competentes Landesgericht hervorging. Aber dieses Opfer wurde ihnen
verhältnißmäßig leicht, so lange ihre eigene Gerichtsherrlichkeit nicht nur im
Princip anerkannt, sondern auch im Uebrigen unangetastet blieb. War dieses
Opfer doch zugleich mit dem praktischen Vortheil verknüpft, einen wesentlichen
Theil der Kosten der Gerichtsbarkeit auf den allerdings von den Ständen
zu diesem Zwecke subventionirten Staat abzuwälzen, Kosten, welche in den
Augen manches Patrimonialgerichtsherrn so sehr ins Gewicht fielen, daß noch
im Jahre 1854 ein Patnmonialgericht vor Abfassung des ersten Erkenntnisses
in einer Diebstahlssache von der Inspektion der Strafanstalt zu Dreibergen
erst Erkundigungen darüber einzog, "wie hoch sich die jährlichen Kosten der
Strafvollstreckung für einen Verurtheilten in der Anstalt beliefen!" Diese
Rücksicht auf den Kostenpunkt, die schon im vorigen Jahrhundert z. B. in
den ritterschaftlichen Aemtern Güstrow und Mecklenburg die Errichtung von
"Vereinen wegen Uebertragung der Criminalkosten" veranlaßt hatte, damit


sind, zeigt ein Blick in den Staatskalender, aus welchem wir statt vielen
nur das eine Beispiel, das sich ähnlich überall wiederholt, hervorheben wollen,
daß die vereinten Civilgerichte des ritterschaftli'chen Amtes Stavenhagen in
den Orten Jvenack, Krackow, Lage, Malchin, Penzlin und Teterow zer¬
streut liegen, und daß außerdem 13 einzelne Gutsgerichte desselben Amts
ihren Sitz in Waren haben, 4 in Stavenhagen, 10 in Neubrandenburg und
1 in Alt-Strelitz, also gar außerhalb Landes! Um die Verwirrung nament¬
lich in den Städten noch größer zu machen, kommen die trotz wiederholter
Beschränkungen noch immer äußerst zahlreichen Exemtionen von der nieder-
säßigen Gerichtsbarkeit hinzu, die freilich mit der Patrimonialgerichtsbarkeit
nichts zu thun haben, aber doch dem mecklenburgischen Proceß einen so eigen¬
thümlichen Charakter aufprägen, daß wir hier wenigstens beiläufig derselben
erwähnen dürfen, unter Hinweis darauf, daß der Entwurf der neuen Bundes-
proeeßordnung als zweite Voraussetzung die Abschaffung des privilegirten Ge¬
richtsstandes bezeichnet. Daß die Sprengel der exemten Fora, der Justiz¬
kanzleien, ebenfalls keine geschlossenen sind, sondern wiederum bunt durchein¬
ander über das ganze Land zerstreut liegen, wird nach dem über die Nieder¬
gerichte Gesagten Niemand mehr verwundern. Doch zurück zu unsern Patri-
monialgerichtenl

Die hohe Criminalgerichtsbarkeit haben die Patrimonialgerichtsherren,
soweit sie ihnen überhaupt früher zustand, freilich an den Landesherrn ab¬
getreten, als dieser nach den Kriegsjahren am Anfang dieses Jahrhunderts
zur Wiederherstellung der während derselben durch zahlreiche Räuber- und
Diebesbanden arg gefährdeten öffentlichen Sicherheit für die Verfolgung der¬
selben im Jahre 1812 ein centrales Ausnahmegericht etablirte, aus welchem
später das Criminalcollegium zu Bützow als für alle schweren Verbrechen
allein competentes Landesgericht hervorging. Aber dieses Opfer wurde ihnen
verhältnißmäßig leicht, so lange ihre eigene Gerichtsherrlichkeit nicht nur im
Princip anerkannt, sondern auch im Uebrigen unangetastet blieb. War dieses
Opfer doch zugleich mit dem praktischen Vortheil verknüpft, einen wesentlichen
Theil der Kosten der Gerichtsbarkeit auf den allerdings von den Ständen
zu diesem Zwecke subventionirten Staat abzuwälzen, Kosten, welche in den
Augen manches Patrimonialgerichtsherrn so sehr ins Gewicht fielen, daß noch
im Jahre 1854 ein Patnmonialgericht vor Abfassung des ersten Erkenntnisses
in einer Diebstahlssache von der Inspektion der Strafanstalt zu Dreibergen
erst Erkundigungen darüber einzog, „wie hoch sich die jährlichen Kosten der
Strafvollstreckung für einen Verurtheilten in der Anstalt beliefen!" Diese
Rücksicht auf den Kostenpunkt, die schon im vorigen Jahrhundert z. B. in
den ritterschaftlichen Aemtern Güstrow und Mecklenburg die Errichtung von
„Vereinen wegen Uebertragung der Criminalkosten" veranlaßt hatte, damit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/56>, abgerufen am 22.07.2024.