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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Häupten wollte. Die Nothwendigkeit solcher Anstrengungen erkannte am
deutlichsten der Jesuitenorden und er selbst nahm es auf sich, den Kampf um
die Existenz durchzuführen -- um jeden Preis.

Von den beiden Merkmalen der Kirche, "Allgemeinheit" und "Heiligkeit"
hatte man .das letztere thatsächlich längst aufgegeben und um so mehr die
Einmüthigkeit im Glauben und im Gehorsam gegen die kirchlichen Ein¬
richtungen betont. Die äußerste Consequenz in dieser Richtung stellt der
Jesuitismus dar, indem er kein Mittel scheute das Individuum im Gehorsam
der Kirche festzuhalten, indem er selbst ein gemeines und lasterhaftes Leben,
wie es die obere und die untere Hefe der menschlichen Gesellschaft begehrt,
auch innerhalb der alleinseligmachenden Kirche rechtfertigte, um so Gott und
Teufel zugleich zu betrügen. Das Verfahren der Casuistik ist dabei folgendes.
Der Beichtvater versetzt sich sympathisirend auf den Standpunkt des ge¬
meinen Menschen, der die Sünde zu lieb hat, als daß er sein selbstsüchtiges
Treiben den Anforderungen des Moralgesetzes zum Opfer bringen möchte-,
kommt er in ernstlichen Konflikt mit seinem Beichtiger, so wird er lieber
diesem den Rücken kehren, als daß er nicht mehr thun sollte, was er nicht
lassen mag. Andrerseits stört ihn jedoch im Genusse des Verbotenen theils
ein unvertilgbarer Rest von Schuldgefühl, theils der Furcht vor einem das¬
selbe dereinst "vielleicht" rechtfertigenden Gericht. Dieses "Vielleicht" hat
wie die Furcht vor einem Gespenst noch Gewalt über ihn, in den meisten
Fällen nach gerade soviel, daß er es sich schon eine Kleinigkeit kosten lassen
wird wenn ihm dafür eine anerkannte Autorität sein Gewissen und ein er¬
trägliches Loos im unberechenbaren Jenseits sicher zu stellen verspricht. Und
an diesem noch vorhandenen Minimum faßt ihn der casuistische Beichtiger, dessen
elende Sophistereien alle zuletzt den dreifachen Zweck haben: 1. zu zeigen, daß
man überhaupt nicht leicht in schwere Sünden versallen könne: 2. die Verzeihung
der unvermeidlich gebliebenen Sünden möglichst leicht, sowie die Bethä¬
tigung des neuen Gehorsams, die positive Frömmigkeit so leicht zu machen,
daß es für schwer gelten muß, darin nicht mehr als genügend zu leisten.
Daher nun alle jene bekannten Mittel, welche die Begriffe des Erlaubten
und Verbotenen völlig ausheben. "Wo wir die verbotene Handlung nicht
verhindern können, da reinigen wir wenigstens die Absicht, und so verbessern
wir das schlechte Mittel durch die Lauterkeit des Zwecks." Man darf zum
Zweikampfe herausfordern, nicht um sich an seinem Feinde zu rächen, bei
Leibe nicht! das wäre unchristlich; wohl aber, "wenn es kein anderes Mittel
gibt, sein Leben oder seine Ehre zu vertheidigen." Man darf seinen Feind
selbst rücklings oder aus dem Hinterhalt tödten, allerdings nicht "verräthe-
rischer Weise," das wäre unchristlich, -- und so geschieht's, wenn man einen
tödtet, der sich dessen garnicht versteht, -- aber unser Feind muß sich dessen


Häupten wollte. Die Nothwendigkeit solcher Anstrengungen erkannte am
deutlichsten der Jesuitenorden und er selbst nahm es auf sich, den Kampf um
die Existenz durchzuführen — um jeden Preis.

Von den beiden Merkmalen der Kirche, „Allgemeinheit" und „Heiligkeit"
hatte man .das letztere thatsächlich längst aufgegeben und um so mehr die
Einmüthigkeit im Glauben und im Gehorsam gegen die kirchlichen Ein¬
richtungen betont. Die äußerste Consequenz in dieser Richtung stellt der
Jesuitismus dar, indem er kein Mittel scheute das Individuum im Gehorsam
der Kirche festzuhalten, indem er selbst ein gemeines und lasterhaftes Leben,
wie es die obere und die untere Hefe der menschlichen Gesellschaft begehrt,
auch innerhalb der alleinseligmachenden Kirche rechtfertigte, um so Gott und
Teufel zugleich zu betrügen. Das Verfahren der Casuistik ist dabei folgendes.
Der Beichtvater versetzt sich sympathisirend auf den Standpunkt des ge¬
meinen Menschen, der die Sünde zu lieb hat, als daß er sein selbstsüchtiges
Treiben den Anforderungen des Moralgesetzes zum Opfer bringen möchte-,
kommt er in ernstlichen Konflikt mit seinem Beichtiger, so wird er lieber
diesem den Rücken kehren, als daß er nicht mehr thun sollte, was er nicht
lassen mag. Andrerseits stört ihn jedoch im Genusse des Verbotenen theils
ein unvertilgbarer Rest von Schuldgefühl, theils der Furcht vor einem das¬
selbe dereinst „vielleicht" rechtfertigenden Gericht. Dieses „Vielleicht" hat
wie die Furcht vor einem Gespenst noch Gewalt über ihn, in den meisten
Fällen nach gerade soviel, daß er es sich schon eine Kleinigkeit kosten lassen
wird wenn ihm dafür eine anerkannte Autorität sein Gewissen und ein er¬
trägliches Loos im unberechenbaren Jenseits sicher zu stellen verspricht. Und
an diesem noch vorhandenen Minimum faßt ihn der casuistische Beichtiger, dessen
elende Sophistereien alle zuletzt den dreifachen Zweck haben: 1. zu zeigen, daß
man überhaupt nicht leicht in schwere Sünden versallen könne: 2. die Verzeihung
der unvermeidlich gebliebenen Sünden möglichst leicht, sowie die Bethä¬
tigung des neuen Gehorsams, die positive Frömmigkeit so leicht zu machen,
daß es für schwer gelten muß, darin nicht mehr als genügend zu leisten.
Daher nun alle jene bekannten Mittel, welche die Begriffe des Erlaubten
und Verbotenen völlig ausheben. „Wo wir die verbotene Handlung nicht
verhindern können, da reinigen wir wenigstens die Absicht, und so verbessern
wir das schlechte Mittel durch die Lauterkeit des Zwecks." Man darf zum
Zweikampfe herausfordern, nicht um sich an seinem Feinde zu rächen, bei
Leibe nicht! das wäre unchristlich; wohl aber, „wenn es kein anderes Mittel
gibt, sein Leben oder seine Ehre zu vertheidigen." Man darf seinen Feind
selbst rücklings oder aus dem Hinterhalt tödten, allerdings nicht „verräthe-
rischer Weise," das wäre unchristlich, — und so geschieht's, wenn man einen
tödtet, der sich dessen garnicht versteht, — aber unser Feind muß sich dessen


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[0522] Häupten wollte. Die Nothwendigkeit solcher Anstrengungen erkannte am deutlichsten der Jesuitenorden und er selbst nahm es auf sich, den Kampf um die Existenz durchzuführen — um jeden Preis. Von den beiden Merkmalen der Kirche, „Allgemeinheit" und „Heiligkeit" hatte man .das letztere thatsächlich längst aufgegeben und um so mehr die Einmüthigkeit im Glauben und im Gehorsam gegen die kirchlichen Ein¬ richtungen betont. Die äußerste Consequenz in dieser Richtung stellt der Jesuitismus dar, indem er kein Mittel scheute das Individuum im Gehorsam der Kirche festzuhalten, indem er selbst ein gemeines und lasterhaftes Leben, wie es die obere und die untere Hefe der menschlichen Gesellschaft begehrt, auch innerhalb der alleinseligmachenden Kirche rechtfertigte, um so Gott und Teufel zugleich zu betrügen. Das Verfahren der Casuistik ist dabei folgendes. Der Beichtvater versetzt sich sympathisirend auf den Standpunkt des ge¬ meinen Menschen, der die Sünde zu lieb hat, als daß er sein selbstsüchtiges Treiben den Anforderungen des Moralgesetzes zum Opfer bringen möchte-, kommt er in ernstlichen Konflikt mit seinem Beichtiger, so wird er lieber diesem den Rücken kehren, als daß er nicht mehr thun sollte, was er nicht lassen mag. Andrerseits stört ihn jedoch im Genusse des Verbotenen theils ein unvertilgbarer Rest von Schuldgefühl, theils der Furcht vor einem das¬ selbe dereinst „vielleicht" rechtfertigenden Gericht. Dieses „Vielleicht" hat wie die Furcht vor einem Gespenst noch Gewalt über ihn, in den meisten Fällen nach gerade soviel, daß er es sich schon eine Kleinigkeit kosten lassen wird wenn ihm dafür eine anerkannte Autorität sein Gewissen und ein er¬ trägliches Loos im unberechenbaren Jenseits sicher zu stellen verspricht. Und an diesem noch vorhandenen Minimum faßt ihn der casuistische Beichtiger, dessen elende Sophistereien alle zuletzt den dreifachen Zweck haben: 1. zu zeigen, daß man überhaupt nicht leicht in schwere Sünden versallen könne: 2. die Verzeihung der unvermeidlich gebliebenen Sünden möglichst leicht, sowie die Bethä¬ tigung des neuen Gehorsams, die positive Frömmigkeit so leicht zu machen, daß es für schwer gelten muß, darin nicht mehr als genügend zu leisten. Daher nun alle jene bekannten Mittel, welche die Begriffe des Erlaubten und Verbotenen völlig ausheben. „Wo wir die verbotene Handlung nicht verhindern können, da reinigen wir wenigstens die Absicht, und so verbessern wir das schlechte Mittel durch die Lauterkeit des Zwecks." Man darf zum Zweikampfe herausfordern, nicht um sich an seinem Feinde zu rächen, bei Leibe nicht! das wäre unchristlich; wohl aber, „wenn es kein anderes Mittel gibt, sein Leben oder seine Ehre zu vertheidigen." Man darf seinen Feind selbst rücklings oder aus dem Hinterhalt tödten, allerdings nicht „verräthe- rischer Weise," das wäre unchristlich, — und so geschieht's, wenn man einen tödtet, der sich dessen garnicht versteht, — aber unser Feind muß sich dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/522>, abgerufen am 22.07.2024.