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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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richtig auffassen will. Indeß Niemand wird verkennen, daß auch damit nicht
Alles erklärt ist, daß vielmehr der ganzen Auffassung ein prinzipieller Irrthum
über die Aufgabe des Weibes und über das Verhältniß der Geschlechter zu
Grunde liegen muß.

Mill fordert Gleichheit für Mann und Frau, deshalb sollen alle Gesetze
abgeschafft werden, welche die Frauen der Autorität der Männer unterwerfen,
und beide Geschlechter sollen aus den Fuß äußerlicher Gleichheit gestellt wer¬
den. Das Resultat wird, seiner Ansicht nach, zwar nicht sofort befriedigend
sein, weil die Frau durch ihre lange Unterdrückung zu tief heruntergekommen
ist, aber die Anerkennung der Gleichheit wird sie allmälig heben, sie wird sich
ihrer Befreiung bewußt werden und sie zu brauchen lernen.

Ausgangspunkt wie Mittel scheinen uns gleich falsch zu sein. Die
seichte Ausklärung des 18. Jahrhunderts glaubte den Stein der Weisen mit
dem Wort gefunden zu haben, daß alle Menschen gleich geboren seien, die Theo¬
retiker der französischen Revolution wollten auf die Menschenrechte einen Staat
bauen und brachten es practisch doch nur zur Gleichheit vor der Guillotine.
Der geriebene Berliner Schusterjunge aber, welcher, wie Marcus Herz uns
erzählt, auf seinen Tadel über die ungleiche Gestalt der zwei Schuhe
eines Paares, antwortete: "Sie wissen wohl nicht, lieber Herr, daß
es nicht zwei gleiche Dinge auf der Welt gibt", scheint uns in die¬
sem Punkt klüger gewesen zu sein als Voltaire und Rousseau. Nicht
zwei Menschen auf dem Erdboden sind gleich und Mann und Frau
sollten gleich sein, die den Stempel der Ungleichheit schon in ihrer
äußeren Erscheinung so unverkennbar ausgeprägt tragen? Daß der Mann
körperlich unendlich viel stärker ist als das Weib, leugnet niemand, daß die
Frau ihm geistig überlegen ist, wird man doch auch nicht behaupten können,
sondern höchstens, daß sie ihm ebenbürtig ist und doch sollen die Beiden gleich
sein. Wenn man hundertmal alle jene Gesetze abschaffen würde, welche Mill
so verwerflich erscheinen, so würde die bloße äußerliche Gleichstellung doch
nicht ein Jota an den Bedingungen - ändern können, die durch die Natur
selbst festgestellt sind. Auch bei dein allgemeinen Stimmrecht gilt die Stimme
des großen Grundbesitzers oder Fabrikherrn zehnmal mehr als die des Ar¬
beiters, der von diesen abhängt. Nun aber nehme man in Betracht, daß
diese Gleichstellung erzwungen werden soll nicht sür Leute, die, wie es im
politischen oder bürgerlichen Leben sonst der Fall ist, neben einander stehen,
sondern für zwei Menschen, die durch das engste Band, welches es auf Erden
gibt, verbunden und auf einander angewiesen sind; alle Gesetze müssen diesem
einen Umstand gegenüber ohnmächtig werden, wenn sie nicht der Natur des
Verhältnisses selbst entsprechen. Dieses normale Verhältniß, für welches Mann
und Weib geschaffen sind, ist die Ehe und von ihr muß jede Erörterung


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richtig auffassen will. Indeß Niemand wird verkennen, daß auch damit nicht
Alles erklärt ist, daß vielmehr der ganzen Auffassung ein prinzipieller Irrthum
über die Aufgabe des Weibes und über das Verhältniß der Geschlechter zu
Grunde liegen muß.

Mill fordert Gleichheit für Mann und Frau, deshalb sollen alle Gesetze
abgeschafft werden, welche die Frauen der Autorität der Männer unterwerfen,
und beide Geschlechter sollen aus den Fuß äußerlicher Gleichheit gestellt wer¬
den. Das Resultat wird, seiner Ansicht nach, zwar nicht sofort befriedigend
sein, weil die Frau durch ihre lange Unterdrückung zu tief heruntergekommen
ist, aber die Anerkennung der Gleichheit wird sie allmälig heben, sie wird sich
ihrer Befreiung bewußt werden und sie zu brauchen lernen.

Ausgangspunkt wie Mittel scheinen uns gleich falsch zu sein. Die
seichte Ausklärung des 18. Jahrhunderts glaubte den Stein der Weisen mit
dem Wort gefunden zu haben, daß alle Menschen gleich geboren seien, die Theo¬
retiker der französischen Revolution wollten auf die Menschenrechte einen Staat
bauen und brachten es practisch doch nur zur Gleichheit vor der Guillotine.
Der geriebene Berliner Schusterjunge aber, welcher, wie Marcus Herz uns
erzählt, auf seinen Tadel über die ungleiche Gestalt der zwei Schuhe
eines Paares, antwortete: „Sie wissen wohl nicht, lieber Herr, daß
es nicht zwei gleiche Dinge auf der Welt gibt", scheint uns in die¬
sem Punkt klüger gewesen zu sein als Voltaire und Rousseau. Nicht
zwei Menschen auf dem Erdboden sind gleich und Mann und Frau
sollten gleich sein, die den Stempel der Ungleichheit schon in ihrer
äußeren Erscheinung so unverkennbar ausgeprägt tragen? Daß der Mann
körperlich unendlich viel stärker ist als das Weib, leugnet niemand, daß die
Frau ihm geistig überlegen ist, wird man doch auch nicht behaupten können,
sondern höchstens, daß sie ihm ebenbürtig ist und doch sollen die Beiden gleich
sein. Wenn man hundertmal alle jene Gesetze abschaffen würde, welche Mill
so verwerflich erscheinen, so würde die bloße äußerliche Gleichstellung doch
nicht ein Jota an den Bedingungen - ändern können, die durch die Natur
selbst festgestellt sind. Auch bei dein allgemeinen Stimmrecht gilt die Stimme
des großen Grundbesitzers oder Fabrikherrn zehnmal mehr als die des Ar¬
beiters, der von diesen abhängt. Nun aber nehme man in Betracht, daß
diese Gleichstellung erzwungen werden soll nicht sür Leute, die, wie es im
politischen oder bürgerlichen Leben sonst der Fall ist, neben einander stehen,
sondern für zwei Menschen, die durch das engste Band, welches es auf Erden
gibt, verbunden und auf einander angewiesen sind; alle Gesetze müssen diesem
einen Umstand gegenüber ohnmächtig werden, wenn sie nicht der Natur des
Verhältnisses selbst entsprechen. Dieses normale Verhältniß, für welches Mann
und Weib geschaffen sind, ist die Ehe und von ihr muß jede Erörterung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/515>, abgerufen am 22.07.2024.