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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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gleichmäßig treffende gesetzliche Beschränkung handelt, auf die Klage des Ver¬
fassers zu erwidern, daß die Schwierigkeit der Trennung der Ehe in ande¬
ren Ländern keineswegs in dem von ihm geschilderten Grade besteht. Wenn
bei katholischen Völkern wirkliche Ehescheidungen so selten sind, daß sie kaum
in Frage kommen, so ist das meist nicht ein Fehler der staatlichen Gesetz¬
gebung, sondern ein Resultat der Macht, welche die katholische Kirche, die die
Ehe als Sacrament, also unlöslich auffaßt, noch über die Gemüther ausübt;
wenn in England aus ganz anderen Gründen die Ehescheidung schwierig ist,
nämlich weil der dazu nöthige Proceß so kostspielig ist, daß nur Wohlhabende
ihn unternehmen können, so ist das ein practischer Uebelstand der Gesetz¬
gebung, welcher verbessert werden kann, der aber z. B. in Deutschland keines¬
wegs besteht. Der natürliche Schluß ist, daß die richtige Lösung dieses Pro¬
blems ebenso wie das der Eheschließung nur durch die Trennung der Kirche
vom Staate zu erreichen ist. Wie die obligatorische Ctvilehe den einzigen
Weg bietet, aus dem Konflikte verschiedenartiger sittlicher und religiöser An¬
schauungen zu gelangen, so muß auch der Staat einseitig ein bürgerliches
Ehescheidungsgesetz aufstellen, das für ihn die alleinige Norm bietet, mögen
dann katholische und evangelische Kirche, Juden und Lichtfreunde die Frage
der Scheidung ansehen und behandeln, wie sie wollen.

In noch stärkerem Grade gilt die nationale Beschränktheit des Verfassers
bei den beiden anderen Punkten. Die Unmöglichkeit für die Frau, während
der Ehe eigenes Vermögen zu besitzen, ohne daß wenigstens der Nießbrauch
desselben ganz der Verfügung des Ehemannes anheimfiele, besteht in dem
von Mill geschilderten Umfange weder nach dem Code Napoleon, noch nach
dem preußischen Landrecht, noch in den Ländern des gemeinen Rechts. Und
dasselbe gilt in Bezug aus die väterliche Gewalt; in Frankreich wie in
Deutschland ist die Zustimmung der Mutter wie des Vaters zur Eingehung
einer Ehe auch mündiger Kinder erforderlich; wenn in England nur der Con-
sens des Vaters nöthig ist, so ist das eben eine englische Eigenthümlichkeit,
die uns nichts angeht.

Aber die Beschränktheit Mill's ist nicht blos national, sie ist auch per¬
sönlich. Er führte eine glückliche Ehe mit einer ausgezeichneten Frau, deren
Begabung sie seinen Studien mit intelligenter Theilnahme folgen ließ, aber sie
konnte diesen Studien ihre ganze Zeit doch nur wesentlich deshalb widmen, weil
die Ehe kinderlos war. Und überall legt Mill trotz seiner lebhaften Schilde¬
rungen des Familienlebens, unwillkürlich den Maßstab solcher geistig geförder¬
ten Frauen an, welche den besten Theil ihrer Zeit allgemeinen Interessen
widmen können.

Diese nationalen und persönlichen Schranken muß man sich stets gegen¬
wärtig halten, wenn man Mill's Klagen über die Hörigkeit der Frauen


gleichmäßig treffende gesetzliche Beschränkung handelt, auf die Klage des Ver¬
fassers zu erwidern, daß die Schwierigkeit der Trennung der Ehe in ande¬
ren Ländern keineswegs in dem von ihm geschilderten Grade besteht. Wenn
bei katholischen Völkern wirkliche Ehescheidungen so selten sind, daß sie kaum
in Frage kommen, so ist das meist nicht ein Fehler der staatlichen Gesetz¬
gebung, sondern ein Resultat der Macht, welche die katholische Kirche, die die
Ehe als Sacrament, also unlöslich auffaßt, noch über die Gemüther ausübt;
wenn in England aus ganz anderen Gründen die Ehescheidung schwierig ist,
nämlich weil der dazu nöthige Proceß so kostspielig ist, daß nur Wohlhabende
ihn unternehmen können, so ist das ein practischer Uebelstand der Gesetz¬
gebung, welcher verbessert werden kann, der aber z. B. in Deutschland keines¬
wegs besteht. Der natürliche Schluß ist, daß die richtige Lösung dieses Pro¬
blems ebenso wie das der Eheschließung nur durch die Trennung der Kirche
vom Staate zu erreichen ist. Wie die obligatorische Ctvilehe den einzigen
Weg bietet, aus dem Konflikte verschiedenartiger sittlicher und religiöser An¬
schauungen zu gelangen, so muß auch der Staat einseitig ein bürgerliches
Ehescheidungsgesetz aufstellen, das für ihn die alleinige Norm bietet, mögen
dann katholische und evangelische Kirche, Juden und Lichtfreunde die Frage
der Scheidung ansehen und behandeln, wie sie wollen.

In noch stärkerem Grade gilt die nationale Beschränktheit des Verfassers
bei den beiden anderen Punkten. Die Unmöglichkeit für die Frau, während
der Ehe eigenes Vermögen zu besitzen, ohne daß wenigstens der Nießbrauch
desselben ganz der Verfügung des Ehemannes anheimfiele, besteht in dem
von Mill geschilderten Umfange weder nach dem Code Napoleon, noch nach
dem preußischen Landrecht, noch in den Ländern des gemeinen Rechts. Und
dasselbe gilt in Bezug aus die väterliche Gewalt; in Frankreich wie in
Deutschland ist die Zustimmung der Mutter wie des Vaters zur Eingehung
einer Ehe auch mündiger Kinder erforderlich; wenn in England nur der Con-
sens des Vaters nöthig ist, so ist das eben eine englische Eigenthümlichkeit,
die uns nichts angeht.

Aber die Beschränktheit Mill's ist nicht blos national, sie ist auch per¬
sönlich. Er führte eine glückliche Ehe mit einer ausgezeichneten Frau, deren
Begabung sie seinen Studien mit intelligenter Theilnahme folgen ließ, aber sie
konnte diesen Studien ihre ganze Zeit doch nur wesentlich deshalb widmen, weil
die Ehe kinderlos war. Und überall legt Mill trotz seiner lebhaften Schilde¬
rungen des Familienlebens, unwillkürlich den Maßstab solcher geistig geförder¬
ten Frauen an, welche den besten Theil ihrer Zeit allgemeinen Interessen
widmen können.

Diese nationalen und persönlichen Schranken muß man sich stets gegen¬
wärtig halten, wenn man Mill's Klagen über die Hörigkeit der Frauen


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[0514] gleichmäßig treffende gesetzliche Beschränkung handelt, auf die Klage des Ver¬ fassers zu erwidern, daß die Schwierigkeit der Trennung der Ehe in ande¬ ren Ländern keineswegs in dem von ihm geschilderten Grade besteht. Wenn bei katholischen Völkern wirkliche Ehescheidungen so selten sind, daß sie kaum in Frage kommen, so ist das meist nicht ein Fehler der staatlichen Gesetz¬ gebung, sondern ein Resultat der Macht, welche die katholische Kirche, die die Ehe als Sacrament, also unlöslich auffaßt, noch über die Gemüther ausübt; wenn in England aus ganz anderen Gründen die Ehescheidung schwierig ist, nämlich weil der dazu nöthige Proceß so kostspielig ist, daß nur Wohlhabende ihn unternehmen können, so ist das ein practischer Uebelstand der Gesetz¬ gebung, welcher verbessert werden kann, der aber z. B. in Deutschland keines¬ wegs besteht. Der natürliche Schluß ist, daß die richtige Lösung dieses Pro¬ blems ebenso wie das der Eheschließung nur durch die Trennung der Kirche vom Staate zu erreichen ist. Wie die obligatorische Ctvilehe den einzigen Weg bietet, aus dem Konflikte verschiedenartiger sittlicher und religiöser An¬ schauungen zu gelangen, so muß auch der Staat einseitig ein bürgerliches Ehescheidungsgesetz aufstellen, das für ihn die alleinige Norm bietet, mögen dann katholische und evangelische Kirche, Juden und Lichtfreunde die Frage der Scheidung ansehen und behandeln, wie sie wollen. In noch stärkerem Grade gilt die nationale Beschränktheit des Verfassers bei den beiden anderen Punkten. Die Unmöglichkeit für die Frau, während der Ehe eigenes Vermögen zu besitzen, ohne daß wenigstens der Nießbrauch desselben ganz der Verfügung des Ehemannes anheimfiele, besteht in dem von Mill geschilderten Umfange weder nach dem Code Napoleon, noch nach dem preußischen Landrecht, noch in den Ländern des gemeinen Rechts. Und dasselbe gilt in Bezug aus die väterliche Gewalt; in Frankreich wie in Deutschland ist die Zustimmung der Mutter wie des Vaters zur Eingehung einer Ehe auch mündiger Kinder erforderlich; wenn in England nur der Con- sens des Vaters nöthig ist, so ist das eben eine englische Eigenthümlichkeit, die uns nichts angeht. Aber die Beschränktheit Mill's ist nicht blos national, sie ist auch per¬ sönlich. Er führte eine glückliche Ehe mit einer ausgezeichneten Frau, deren Begabung sie seinen Studien mit intelligenter Theilnahme folgen ließ, aber sie konnte diesen Studien ihre ganze Zeit doch nur wesentlich deshalb widmen, weil die Ehe kinderlos war. Und überall legt Mill trotz seiner lebhaften Schilde¬ rungen des Familienlebens, unwillkürlich den Maßstab solcher geistig geförder¬ ten Frauen an, welche den besten Theil ihrer Zeit allgemeinen Interessen widmen können. Diese nationalen und persönlichen Schranken muß man sich stets gegen¬ wärtig halten, wenn man Mill's Klagen über die Hörigkeit der Frauen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/514>, abgerufen am 22.07.2024.