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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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letzten Jahre aufnöthigte, ähnliche Rollen gespielt. Die liberalen Regierungen
beider Länder haben, so ohnmächtig sie auch sonst waren, in dem Kampfe
gegen die traditionelle Priesterherrschaft eine gewisse Würde und Energie ge¬
zeigt. Daß Regierung und Volksvertretung des königslosen Königthums
Spanien -- dieauf politischem Gebiet darin wetteiferten, unausführbare Pro¬
gramme aufzustellen -- den Muth gehabt haben, der römischen Kirche den bis
dazu unbedingten Gehorsam ihres Volks auszusagen, das läßt sich acht mehr
ungeschehen machen und wird -- auch wenn Rückfälle eintreten sollten -- in
das Programm jedei künftigen Regierung mit aufgenommen werden müssen,
die irgend auf Bestand rechnen will. Daß diese Regierung nicht die des
Herzogs Thomas Albert von Savoyen sein .wird, ist trotz der entgegen¬
stehenden Versicherungen Prim's ausgemacht. Mit der Kandidatur dieses
Prinzen scheinen die besten Hoffnungen der Monarchisten zu Grabe gegangen
zu sein, und die von mehreren republikanischen Führern abgegebene Erklärung,
man werde die republikanische Regierungsform fortan nicht mehr mit den
Waffen in der Hand, sondern mit gesetzlichen Mittel nanstreben, bestätigt nur,
daß die Chancen der republikanischen Partei seit der letzten Niederlage der¬
selben wieder gewachsen sind und eine breitere Basis gewinnen. -- Republik
und Anarchie sind in romanischen Ländern seit lange gleich bedeutende Be¬
griffe und in Spanien bedarf es der republikanischen Staatsform nicht erst,
um aus der chronischen Krankheit des Staates eine acute zu machen. So
tief scheint der Krankheitsstoff in dem Blut der verkommenen Völker der
Pyrenäischen Halbinsel zu sitzen, daß die in Spanien herrschende Aufregung
sich auch dem benachbarten Portugal mitgetheilt hat und die Regierung des
Königs Dom Luis, durch ein englisches Journal erklären zu lassen für gut
hielt, sie sei noch nicht unmöglich gemacht! Und man sollte doch glauben,
daß die letzten 14 Monate spanischer Geschichte geeigneter gewesen wären, von
Revolutionen abzuschrecken, als zu ihnen aufzumuntern!

Im Gegensatz zu jenen Staaten Europas -- sie bilden die Mehrheit --
in denen Kämpfe um Erhaltung der gegebenen Staatsform das Leben der
Völker bewegten, ist Preußen während der letzten Wochen ausschließlich in
die Arbeit vertieft gewesen, welche erfolgreich nur gethan werden kann, wenn
man das ABC des Staatslebens hinter sich hat. Und diese Arbeit ist, -- was
das Abgeordnetenhaus anlangt, eine glücklichere gewesen, als sich nach den
Erfahrungen des letzten Winters und Frühjahrs erwarten ließ. Trotz der
Differenzen innerhalb der nationalliberalen Partei, welche während der Com¬
missionsberathungen über das Consolidationsgesetz zu Tage traten, ist die
Camphausen'sche Vorlage mit sehr bedeutender Majorität und unter glück¬
lichen Auspicien angenommen worden. Von den zahlreichen Gegnern der
Vorlage, welche das Wort ergriffen, hat keiner nachhaltigen Eindruck aus
die öffentliche Meinung des Landes hervorzubringen gewußt. Für die Fort-


letzten Jahre aufnöthigte, ähnliche Rollen gespielt. Die liberalen Regierungen
beider Länder haben, so ohnmächtig sie auch sonst waren, in dem Kampfe
gegen die traditionelle Priesterherrschaft eine gewisse Würde und Energie ge¬
zeigt. Daß Regierung und Volksvertretung des königslosen Königthums
Spanien — dieauf politischem Gebiet darin wetteiferten, unausführbare Pro¬
gramme aufzustellen — den Muth gehabt haben, der römischen Kirche den bis
dazu unbedingten Gehorsam ihres Volks auszusagen, das läßt sich acht mehr
ungeschehen machen und wird — auch wenn Rückfälle eintreten sollten — in
das Programm jedei künftigen Regierung mit aufgenommen werden müssen,
die irgend auf Bestand rechnen will. Daß diese Regierung nicht die des
Herzogs Thomas Albert von Savoyen sein .wird, ist trotz der entgegen¬
stehenden Versicherungen Prim's ausgemacht. Mit der Kandidatur dieses
Prinzen scheinen die besten Hoffnungen der Monarchisten zu Grabe gegangen
zu sein, und die von mehreren republikanischen Führern abgegebene Erklärung,
man werde die republikanische Regierungsform fortan nicht mehr mit den
Waffen in der Hand, sondern mit gesetzlichen Mittel nanstreben, bestätigt nur,
daß die Chancen der republikanischen Partei seit der letzten Niederlage der¬
selben wieder gewachsen sind und eine breitere Basis gewinnen. — Republik
und Anarchie sind in romanischen Ländern seit lange gleich bedeutende Be¬
griffe und in Spanien bedarf es der republikanischen Staatsform nicht erst,
um aus der chronischen Krankheit des Staates eine acute zu machen. So
tief scheint der Krankheitsstoff in dem Blut der verkommenen Völker der
Pyrenäischen Halbinsel zu sitzen, daß die in Spanien herrschende Aufregung
sich auch dem benachbarten Portugal mitgetheilt hat und die Regierung des
Königs Dom Luis, durch ein englisches Journal erklären zu lassen für gut
hielt, sie sei noch nicht unmöglich gemacht! Und man sollte doch glauben,
daß die letzten 14 Monate spanischer Geschichte geeigneter gewesen wären, von
Revolutionen abzuschrecken, als zu ihnen aufzumuntern!

Im Gegensatz zu jenen Staaten Europas — sie bilden die Mehrheit —
in denen Kämpfe um Erhaltung der gegebenen Staatsform das Leben der
Völker bewegten, ist Preußen während der letzten Wochen ausschließlich in
die Arbeit vertieft gewesen, welche erfolgreich nur gethan werden kann, wenn
man das ABC des Staatslebens hinter sich hat. Und diese Arbeit ist, — was
das Abgeordnetenhaus anlangt, eine glücklichere gewesen, als sich nach den
Erfahrungen des letzten Winters und Frühjahrs erwarten ließ. Trotz der
Differenzen innerhalb der nationalliberalen Partei, welche während der Com¬
missionsberathungen über das Consolidationsgesetz zu Tage traten, ist die
Camphausen'sche Vorlage mit sehr bedeutender Majorität und unter glück¬
lichen Auspicien angenommen worden. Von den zahlreichen Gegnern der
Vorlage, welche das Wort ergriffen, hat keiner nachhaltigen Eindruck aus
die öffentliche Meinung des Landes hervorzubringen gewußt. Für die Fort-


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[0496] letzten Jahre aufnöthigte, ähnliche Rollen gespielt. Die liberalen Regierungen beider Länder haben, so ohnmächtig sie auch sonst waren, in dem Kampfe gegen die traditionelle Priesterherrschaft eine gewisse Würde und Energie ge¬ zeigt. Daß Regierung und Volksvertretung des königslosen Königthums Spanien — dieauf politischem Gebiet darin wetteiferten, unausführbare Pro¬ gramme aufzustellen — den Muth gehabt haben, der römischen Kirche den bis dazu unbedingten Gehorsam ihres Volks auszusagen, das läßt sich acht mehr ungeschehen machen und wird — auch wenn Rückfälle eintreten sollten — in das Programm jedei künftigen Regierung mit aufgenommen werden müssen, die irgend auf Bestand rechnen will. Daß diese Regierung nicht die des Herzogs Thomas Albert von Savoyen sein .wird, ist trotz der entgegen¬ stehenden Versicherungen Prim's ausgemacht. Mit der Kandidatur dieses Prinzen scheinen die besten Hoffnungen der Monarchisten zu Grabe gegangen zu sein, und die von mehreren republikanischen Führern abgegebene Erklärung, man werde die republikanische Regierungsform fortan nicht mehr mit den Waffen in der Hand, sondern mit gesetzlichen Mittel nanstreben, bestätigt nur, daß die Chancen der republikanischen Partei seit der letzten Niederlage der¬ selben wieder gewachsen sind und eine breitere Basis gewinnen. — Republik und Anarchie sind in romanischen Ländern seit lange gleich bedeutende Be¬ griffe und in Spanien bedarf es der republikanischen Staatsform nicht erst, um aus der chronischen Krankheit des Staates eine acute zu machen. So tief scheint der Krankheitsstoff in dem Blut der verkommenen Völker der Pyrenäischen Halbinsel zu sitzen, daß die in Spanien herrschende Aufregung sich auch dem benachbarten Portugal mitgetheilt hat und die Regierung des Königs Dom Luis, durch ein englisches Journal erklären zu lassen für gut hielt, sie sei noch nicht unmöglich gemacht! Und man sollte doch glauben, daß die letzten 14 Monate spanischer Geschichte geeigneter gewesen wären, von Revolutionen abzuschrecken, als zu ihnen aufzumuntern! Im Gegensatz zu jenen Staaten Europas — sie bilden die Mehrheit — in denen Kämpfe um Erhaltung der gegebenen Staatsform das Leben der Völker bewegten, ist Preußen während der letzten Wochen ausschließlich in die Arbeit vertieft gewesen, welche erfolgreich nur gethan werden kann, wenn man das ABC des Staatslebens hinter sich hat. Und diese Arbeit ist, — was das Abgeordnetenhaus anlangt, eine glücklichere gewesen, als sich nach den Erfahrungen des letzten Winters und Frühjahrs erwarten ließ. Trotz der Differenzen innerhalb der nationalliberalen Partei, welche während der Com¬ missionsberathungen über das Consolidationsgesetz zu Tage traten, ist die Camphausen'sche Vorlage mit sehr bedeutender Majorität und unter glück¬ lichen Auspicien angenommen worden. Von den zahlreichen Gegnern der Vorlage, welche das Wort ergriffen, hat keiner nachhaltigen Eindruck aus die öffentliche Meinung des Landes hervorzubringen gewußt. Für die Fort-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/496>, abgerufen am 22.07.2024.