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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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macht, die durch römische Uebergriffe verstimmten Unirten in Ungarn. Ga"
lizien u. s. w, durch Concessionen zu versöhnen; zum ersten Male seit Men¬
schengedenken wurde einem unirten Prälaten, dem verstorbenen Metropoliten
Lewitzky von Lemberg die Cardinalswürde verliehen und dabei manches er-
muthigende Wort von Concessionen an den historischen Charakter dieser
Kirchengemeinschaft gesprochen. Mindestens in einem großen Theil der unir-
ten Eparchien würde das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit den
empfindlichsten Anstoß geben. Daß das Terrain hier für einen Abfall von
Rom bereits leidlich vorbereitet ist, dafür haben wir in der letzten Woche ein
paar neue Belege erhalten. In den unirten Ruthenengemeinden Galiziens
und Ost-Ungarns circulut eine Petition, welche vollständige Wiederherstellung des
ursprünglichen Charakters der griechisch-unirten Kirche von dem Concil fordert.
Nicht nur, daß die Sprache dieser Adresse nichts weniger wie ehrerbietig ist,
ihr Inhalt enthält Forderungen, wie sie kaum jemals früher an die Curie ge-
stellt worden sind. Der Ritus der unirten Kirche soll seinen schmerzlich ver¬
mißten orientalisch-slavischen Charakter wiedererhalten, die slavonische Sprache
im Gottesdienst der lateinischen gleich gestellt, endlich den Eparchien und
Gemeinden das Recht ertheilt werden, ihre Priester und die Bischöfe selbst
und zwar durch die Vermittelung von Laien beschickter Synoden zu wählen. Und
um alle Zweifel an der separatistischen Tendenz der Bittsteller auszuschließen,
verlangen dieselben noch die Bildung eines geschlossenen unirten Patriarchats
von wesentlich slavischer Farbe. Wenn man in Betracht zieht, daß diese
Agitation mit den panslavistischen oder richtiger gesagt großrussischen Tenden¬
zen der östreichischen Slaven im engsten Zusammenhang steht, so wird man
keine weitere Belehrung über das Gewicht derselben nöthig haben. Selbst
wenn dieselbe zunächst in den Sand verläuft, läßt sie doch darauf schließen,
wie die Aufnahme beschaffen sein würde, aus welche das Dogma von der
päpstlichen Unfehlbarkeit in diesen Regionen zu rechnen hätte. jFür die Wiener
Regierung, welche an der Erhaltung des Zusammenhangs zwischen Unirten
und Katholiken aufs Höchste interessirt ist, würde mit der Auflehnung der
der Ersteren wiederum einer der Gründe wegfallen, welche bisher für Rück¬
sicht aus die Curie sprachen. Wenn das "Bürgerministerium" auch sonst auf
kein dauerndes Gedächtniß in der östreichischen Geschichte rechnen kann, der
von ihm vollzogene Bruch mit dem Concordat wird ihm unvergessen bleiben,
so weit das Scepter Franz Josefes reicht, denn er läßt sich weder verkleistern
noch zurücknehmen -- am wenigsten, wenn die Curie die Herausforderung
auszusprechen wagt, zu welcher sie von ihren jesuitischen Freunden ge¬
drängt wird.

Wie das alte Oestreich Spanien zum treusten Genossen hatte, so oft
es sich um Diensteifer für die römische Sache handelte, so haben diese beiden
Staaten auch in dem Verhalten gegen die Curie, das ihnen der Drang der


macht, die durch römische Uebergriffe verstimmten Unirten in Ungarn. Ga»
lizien u. s. w, durch Concessionen zu versöhnen; zum ersten Male seit Men¬
schengedenken wurde einem unirten Prälaten, dem verstorbenen Metropoliten
Lewitzky von Lemberg die Cardinalswürde verliehen und dabei manches er-
muthigende Wort von Concessionen an den historischen Charakter dieser
Kirchengemeinschaft gesprochen. Mindestens in einem großen Theil der unir-
ten Eparchien würde das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit den
empfindlichsten Anstoß geben. Daß das Terrain hier für einen Abfall von
Rom bereits leidlich vorbereitet ist, dafür haben wir in der letzten Woche ein
paar neue Belege erhalten. In den unirten Ruthenengemeinden Galiziens
und Ost-Ungarns circulut eine Petition, welche vollständige Wiederherstellung des
ursprünglichen Charakters der griechisch-unirten Kirche von dem Concil fordert.
Nicht nur, daß die Sprache dieser Adresse nichts weniger wie ehrerbietig ist,
ihr Inhalt enthält Forderungen, wie sie kaum jemals früher an die Curie ge-
stellt worden sind. Der Ritus der unirten Kirche soll seinen schmerzlich ver¬
mißten orientalisch-slavischen Charakter wiedererhalten, die slavonische Sprache
im Gottesdienst der lateinischen gleich gestellt, endlich den Eparchien und
Gemeinden das Recht ertheilt werden, ihre Priester und die Bischöfe selbst
und zwar durch die Vermittelung von Laien beschickter Synoden zu wählen. Und
um alle Zweifel an der separatistischen Tendenz der Bittsteller auszuschließen,
verlangen dieselben noch die Bildung eines geschlossenen unirten Patriarchats
von wesentlich slavischer Farbe. Wenn man in Betracht zieht, daß diese
Agitation mit den panslavistischen oder richtiger gesagt großrussischen Tenden¬
zen der östreichischen Slaven im engsten Zusammenhang steht, so wird man
keine weitere Belehrung über das Gewicht derselben nöthig haben. Selbst
wenn dieselbe zunächst in den Sand verläuft, läßt sie doch darauf schließen,
wie die Aufnahme beschaffen sein würde, aus welche das Dogma von der
päpstlichen Unfehlbarkeit in diesen Regionen zu rechnen hätte. jFür die Wiener
Regierung, welche an der Erhaltung des Zusammenhangs zwischen Unirten
und Katholiken aufs Höchste interessirt ist, würde mit der Auflehnung der
der Ersteren wiederum einer der Gründe wegfallen, welche bisher für Rück¬
sicht aus die Curie sprachen. Wenn das „Bürgerministerium" auch sonst auf
kein dauerndes Gedächtniß in der östreichischen Geschichte rechnen kann, der
von ihm vollzogene Bruch mit dem Concordat wird ihm unvergessen bleiben,
so weit das Scepter Franz Josefes reicht, denn er läßt sich weder verkleistern
noch zurücknehmen — am wenigsten, wenn die Curie die Herausforderung
auszusprechen wagt, zu welcher sie von ihren jesuitischen Freunden ge¬
drängt wird.

Wie das alte Oestreich Spanien zum treusten Genossen hatte, so oft
es sich um Diensteifer für die römische Sache handelte, so haben diese beiden
Staaten auch in dem Verhalten gegen die Curie, das ihnen der Drang der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/495>, abgerufen am 22.07.2024.