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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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schrittspartet war es von vornherein ein ungünstiger Umstand. daß der Red¬
ner, der den Hauptangriff versuchte, sich wenige Wochen früher für das Princip
ausgesprochen hatte, auf welchem die Vorlage fußte und daß er aus diesem
Grunde aus die Bemäkelung von Details und aus pathetische Vorwürfe gegen die
nationale Politik des Reichskanzlers beschränkt war, die mit der Sache selbst
kaum etwas gemein hatten! Auch die ziemlich zahlreichen Conservativen, welche
ihr Votum gegen die Camphausen'sche Bill abgaben, haben sich dadurch keine
Sympathien erworben. Daß es irrationell sei, neue Schulden zu drückenden
Bedingungen zu machen, um damit die bequemer angelegten alten Schulden
zu bezahlen, liegt zu sehr auf der Hand, um nicht jedem Unparteiischen ein¬
leuchten zu müssen. Die Gegner der Maßregel, welche das bisherige irratio¬
nelle Verfahren abgeschafft hat, mußten sich darum den Vorwurf systematischer
Opposition machen lassen, und die Zeiten sind vorüber, in welchen diese auf
sichern Eindruck bei dem Volk rechnen konnte. -- Die Rubrik, unter welche
das negative Votum des Grafen zur Lippe zu bringen wäre, ist bis jetzt noch
nicht gefunden. Der frühere preußische Justizminister hat sich an die Spitze
der Unversöhnlichen des Herrenhauses gestellt und sucht seinen ehemaligen
College" bei jeder sich darbietenden Gelegenheit in den Weg zu treten. Einerlei,
ob es sich um specifisch preußische oder um Fragen handelt, welche den ge>
sammlen Bund betreffen, ob der neue Finanzminister oder der Erbe des
Grafen neue Gesetzesvorschläge einbringen, -- Graf zur Lippe macht Oppo¬
sition und sammelt conservative oder pseudo-liberale Particularisten unter
seine Fahnen. Nur in einem Staat, der noch keine feststehende parlamen¬
tarische Tradition besitzt, ist es möglich, daß ein auf höherer socialer Stufen¬
leiter stehender Politiker die einfachen Regeln politischer Schicklichkeit öffentlich
mit Füßen tritt und lediglich weil er sich in seinem Amte nicht behaupten
konnte, ein Ministerium angreift, dem er Jahre lang selbst angehörte. Selbst
die dünne Decke alter Meinungsverschiedenheiten, die mit der Zeit deutlicher
hervorgetreten sind, hat Graf zur Lippe seinem Verhalten umzuhängen ver¬
schmäht: er opponire. weil er nicht mehr Minister ist den Männern, welche
glücklicher oder ausdauernder waren, als er selbst!

Die letzten Tage, welche der Vertagung der Session vorhergingen, haben
die Berathungen des Budgets so wesentlich gefördert, daß die Wiederauf¬
nahme der Verhandlungen über die neue Kreisordnung ziemlich nahe bevor¬
steht. Was bis jetzt über die Verhandlungen der Vorberathungs-Commission
bekannt geworden, läßt die Annahme der Eulenburg'schen Vorlage durch das
Abgeordnetenhaus wahrscheinlicher erscheinen, als es nach der ersten Debatte
der Fall war. Die Hauptschwierigkeit wird voraussichtlich das Herrenhaus
bilden. Schon aus den Andeutungen der Kreuzzeitung läßt sich ersehen, daß
die Modificationen, Welche der Minister des Innern dem Abgeordnetenhause


Grenzboten IV. 1S69. 02

schrittspartet war es von vornherein ein ungünstiger Umstand. daß der Red¬
ner, der den Hauptangriff versuchte, sich wenige Wochen früher für das Princip
ausgesprochen hatte, auf welchem die Vorlage fußte und daß er aus diesem
Grunde aus die Bemäkelung von Details und aus pathetische Vorwürfe gegen die
nationale Politik des Reichskanzlers beschränkt war, die mit der Sache selbst
kaum etwas gemein hatten! Auch die ziemlich zahlreichen Conservativen, welche
ihr Votum gegen die Camphausen'sche Bill abgaben, haben sich dadurch keine
Sympathien erworben. Daß es irrationell sei, neue Schulden zu drückenden
Bedingungen zu machen, um damit die bequemer angelegten alten Schulden
zu bezahlen, liegt zu sehr auf der Hand, um nicht jedem Unparteiischen ein¬
leuchten zu müssen. Die Gegner der Maßregel, welche das bisherige irratio¬
nelle Verfahren abgeschafft hat, mußten sich darum den Vorwurf systematischer
Opposition machen lassen, und die Zeiten sind vorüber, in welchen diese auf
sichern Eindruck bei dem Volk rechnen konnte. — Die Rubrik, unter welche
das negative Votum des Grafen zur Lippe zu bringen wäre, ist bis jetzt noch
nicht gefunden. Der frühere preußische Justizminister hat sich an die Spitze
der Unversöhnlichen des Herrenhauses gestellt und sucht seinen ehemaligen
College« bei jeder sich darbietenden Gelegenheit in den Weg zu treten. Einerlei,
ob es sich um specifisch preußische oder um Fragen handelt, welche den ge>
sammlen Bund betreffen, ob der neue Finanzminister oder der Erbe des
Grafen neue Gesetzesvorschläge einbringen, — Graf zur Lippe macht Oppo¬
sition und sammelt conservative oder pseudo-liberale Particularisten unter
seine Fahnen. Nur in einem Staat, der noch keine feststehende parlamen¬
tarische Tradition besitzt, ist es möglich, daß ein auf höherer socialer Stufen¬
leiter stehender Politiker die einfachen Regeln politischer Schicklichkeit öffentlich
mit Füßen tritt und lediglich weil er sich in seinem Amte nicht behaupten
konnte, ein Ministerium angreift, dem er Jahre lang selbst angehörte. Selbst
die dünne Decke alter Meinungsverschiedenheiten, die mit der Zeit deutlicher
hervorgetreten sind, hat Graf zur Lippe seinem Verhalten umzuhängen ver¬
schmäht: er opponire. weil er nicht mehr Minister ist den Männern, welche
glücklicher oder ausdauernder waren, als er selbst!

Die letzten Tage, welche der Vertagung der Session vorhergingen, haben
die Berathungen des Budgets so wesentlich gefördert, daß die Wiederauf¬
nahme der Verhandlungen über die neue Kreisordnung ziemlich nahe bevor¬
steht. Was bis jetzt über die Verhandlungen der Vorberathungs-Commission
bekannt geworden, läßt die Annahme der Eulenburg'schen Vorlage durch das
Abgeordnetenhaus wahrscheinlicher erscheinen, als es nach der ersten Debatte
der Fall war. Die Hauptschwierigkeit wird voraussichtlich das Herrenhaus
bilden. Schon aus den Andeutungen der Kreuzzeitung läßt sich ersehen, daß
die Modificationen, Welche der Minister des Innern dem Abgeordnetenhause


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[0497] schrittspartet war es von vornherein ein ungünstiger Umstand. daß der Red¬ ner, der den Hauptangriff versuchte, sich wenige Wochen früher für das Princip ausgesprochen hatte, auf welchem die Vorlage fußte und daß er aus diesem Grunde aus die Bemäkelung von Details und aus pathetische Vorwürfe gegen die nationale Politik des Reichskanzlers beschränkt war, die mit der Sache selbst kaum etwas gemein hatten! Auch die ziemlich zahlreichen Conservativen, welche ihr Votum gegen die Camphausen'sche Bill abgaben, haben sich dadurch keine Sympathien erworben. Daß es irrationell sei, neue Schulden zu drückenden Bedingungen zu machen, um damit die bequemer angelegten alten Schulden zu bezahlen, liegt zu sehr auf der Hand, um nicht jedem Unparteiischen ein¬ leuchten zu müssen. Die Gegner der Maßregel, welche das bisherige irratio¬ nelle Verfahren abgeschafft hat, mußten sich darum den Vorwurf systematischer Opposition machen lassen, und die Zeiten sind vorüber, in welchen diese auf sichern Eindruck bei dem Volk rechnen konnte. — Die Rubrik, unter welche das negative Votum des Grafen zur Lippe zu bringen wäre, ist bis jetzt noch nicht gefunden. Der frühere preußische Justizminister hat sich an die Spitze der Unversöhnlichen des Herrenhauses gestellt und sucht seinen ehemaligen College« bei jeder sich darbietenden Gelegenheit in den Weg zu treten. Einerlei, ob es sich um specifisch preußische oder um Fragen handelt, welche den ge> sammlen Bund betreffen, ob der neue Finanzminister oder der Erbe des Grafen neue Gesetzesvorschläge einbringen, — Graf zur Lippe macht Oppo¬ sition und sammelt conservative oder pseudo-liberale Particularisten unter seine Fahnen. Nur in einem Staat, der noch keine feststehende parlamen¬ tarische Tradition besitzt, ist es möglich, daß ein auf höherer socialer Stufen¬ leiter stehender Politiker die einfachen Regeln politischer Schicklichkeit öffentlich mit Füßen tritt und lediglich weil er sich in seinem Amte nicht behaupten konnte, ein Ministerium angreift, dem er Jahre lang selbst angehörte. Selbst die dünne Decke alter Meinungsverschiedenheiten, die mit der Zeit deutlicher hervorgetreten sind, hat Graf zur Lippe seinem Verhalten umzuhängen ver¬ schmäht: er opponire. weil er nicht mehr Minister ist den Männern, welche glücklicher oder ausdauernder waren, als er selbst! Die letzten Tage, welche der Vertagung der Session vorhergingen, haben die Berathungen des Budgets so wesentlich gefördert, daß die Wiederauf¬ nahme der Verhandlungen über die neue Kreisordnung ziemlich nahe bevor¬ steht. Was bis jetzt über die Verhandlungen der Vorberathungs-Commission bekannt geworden, läßt die Annahme der Eulenburg'schen Vorlage durch das Abgeordnetenhaus wahrscheinlicher erscheinen, als es nach der ersten Debatte der Fall war. Die Hauptschwierigkeit wird voraussichtlich das Herrenhaus bilden. Schon aus den Andeutungen der Kreuzzeitung läßt sich ersehen, daß die Modificationen, Welche der Minister des Innern dem Abgeordnetenhause Grenzboten IV. 1S69. 02

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/497>, abgerufen am 22.07.2024.