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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Zügellosigkeit gewisser Pariser Blätter zu dem Zustande der bisherigen Ge¬
bundenheit in grellsten Contrast steht.

Nicht nur das Bedürfniß nach einer Aussöhnung mit der Volksvertretung,
sondern ebenso die Nothwendigkeit, die "starke Regierung" wieder herzustellen,
an welche das französische Volk gewöhnt ist, zwingen den Kaiser auf die
Bildung eines neuen Cabinets zu denken. Wie immer dasselbe zusammen¬
gesetzt sein wird, eine Veränderung der auswärtigen Politik Frankreichs steht
nicht zu erwarten. Wie die bisherigen, so werden auch etwaige künftige
Versuche zu einer auswärtigen Diversion ihren Zweck nicht erreichen; die
französische Nationaleitelkeit ist nach einer andern Seite hin engagirt und
die gelegentlichen Fühler, welche gewisse bezahlte Pariser Journale periodisch
herausstecken, beweisen nur, daß der rechte Zeitpunkt für Experimente am
Rhein vorüber ist.

In minder bewegten Zeiten als den jetzigen würde die Aufmerksamkeit
der Franzosen sicher eben so lebhaft auf Rom wie auf Paris gerichtet sein.
Die französischen Kirchenfürsten, welche bis jetzt für ultramontan galten
und deren Begünstigung dem von Priestern, Soldaten und Bauern aufge¬
bauten zweiten Kaiserreich häufig genug zum Vorwurf gemacht worden ist --
diese Kirchenfürsten stehen innerhalb des Concils an der Spitzender Partei,
welche den päpstlichen Unfehlbarkeitsgelüsten in den Weg tritt. Für Frank¬
reich werden die Entscheidungen, die man von der römischen Kirchenversamm¬
lung erwartet, in der That wichtig genug sein, um den Eifer zu rechtfertigen,
mit welchem die französischen Prälaten das Papstthum vor einem Schritt
warnen, der in jeder Rücksicht gefährlich erscheint. Auch wenn es wahr
ist, daß das neue Dogma der päpstlichen Jnfallibilität streng auf das
Gebiet des Glaubens beschränkt werden soll, steht außer Zweifel, daß
ein Sieg der Jesuiten dieses Mal der Curie zum Pyrrhus - Siege
werden könnte. Wenn Männer von dem kirchlichen Eifer eines Du-
panloup diese Lehre für unannehmbar erklären, so werden die zahl¬
reichen Glieder des niederen Clerus in Frankreich, die an den Traditionen
des Gallicanismus festhalten, für dieselbe Sache sicher einen sehr viel här¬
teren Namen finden. Und nicht diese allein. Ganz abgesehen von der Oppo¬
sition aller gebildeten Katholiken in Deutschland. Oestreich, Ungarn, Spa¬
nien u. s. w., und dem ungeheuren Lärm, den der kirchenfeindliche Radika¬
lismus in diesen Ländern und in Italien über eine solche Beleidigung des
modernen Bewußtseins anschlagen würde -- ist an die Millionen unirter Ka¬
tholiken zu denken, welche im Osten Europas leben und unter denen eine anti¬
römische Agitation seit lange im Schwunge ist. Rom hat auf die unirte
Kirche von jeher ein besonderes Gewicht gelegt, weil dieselbe die einzige Brücke
bildet, die zu einer Wiedervereinigung mit dem orientalischen Schisma führen
könnte. Nicht ohne Absicht hat grade Pius IX. wiederholte Versuche ge-


Zügellosigkeit gewisser Pariser Blätter zu dem Zustande der bisherigen Ge¬
bundenheit in grellsten Contrast steht.

Nicht nur das Bedürfniß nach einer Aussöhnung mit der Volksvertretung,
sondern ebenso die Nothwendigkeit, die „starke Regierung" wieder herzustellen,
an welche das französische Volk gewöhnt ist, zwingen den Kaiser auf die
Bildung eines neuen Cabinets zu denken. Wie immer dasselbe zusammen¬
gesetzt sein wird, eine Veränderung der auswärtigen Politik Frankreichs steht
nicht zu erwarten. Wie die bisherigen, so werden auch etwaige künftige
Versuche zu einer auswärtigen Diversion ihren Zweck nicht erreichen; die
französische Nationaleitelkeit ist nach einer andern Seite hin engagirt und
die gelegentlichen Fühler, welche gewisse bezahlte Pariser Journale periodisch
herausstecken, beweisen nur, daß der rechte Zeitpunkt für Experimente am
Rhein vorüber ist.

In minder bewegten Zeiten als den jetzigen würde die Aufmerksamkeit
der Franzosen sicher eben so lebhaft auf Rom wie auf Paris gerichtet sein.
Die französischen Kirchenfürsten, welche bis jetzt für ultramontan galten
und deren Begünstigung dem von Priestern, Soldaten und Bauern aufge¬
bauten zweiten Kaiserreich häufig genug zum Vorwurf gemacht worden ist —
diese Kirchenfürsten stehen innerhalb des Concils an der Spitzender Partei,
welche den päpstlichen Unfehlbarkeitsgelüsten in den Weg tritt. Für Frank¬
reich werden die Entscheidungen, die man von der römischen Kirchenversamm¬
lung erwartet, in der That wichtig genug sein, um den Eifer zu rechtfertigen,
mit welchem die französischen Prälaten das Papstthum vor einem Schritt
warnen, der in jeder Rücksicht gefährlich erscheint. Auch wenn es wahr
ist, daß das neue Dogma der päpstlichen Jnfallibilität streng auf das
Gebiet des Glaubens beschränkt werden soll, steht außer Zweifel, daß
ein Sieg der Jesuiten dieses Mal der Curie zum Pyrrhus - Siege
werden könnte. Wenn Männer von dem kirchlichen Eifer eines Du-
panloup diese Lehre für unannehmbar erklären, so werden die zahl¬
reichen Glieder des niederen Clerus in Frankreich, die an den Traditionen
des Gallicanismus festhalten, für dieselbe Sache sicher einen sehr viel här¬
teren Namen finden. Und nicht diese allein. Ganz abgesehen von der Oppo¬
sition aller gebildeten Katholiken in Deutschland. Oestreich, Ungarn, Spa¬
nien u. s. w., und dem ungeheuren Lärm, den der kirchenfeindliche Radika¬
lismus in diesen Ländern und in Italien über eine solche Beleidigung des
modernen Bewußtseins anschlagen würde — ist an die Millionen unirter Ka¬
tholiken zu denken, welche im Osten Europas leben und unter denen eine anti¬
römische Agitation seit lange im Schwunge ist. Rom hat auf die unirte
Kirche von jeher ein besonderes Gewicht gelegt, weil dieselbe die einzige Brücke
bildet, die zu einer Wiedervereinigung mit dem orientalischen Schisma führen
könnte. Nicht ohne Absicht hat grade Pius IX. wiederholte Versuche ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/494>, abgerufen am 22.07.2024.