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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Cabinet, das die traurige Erbschaft des Grafen Menabrea übernommen,
zählt keinen einzigen entschiedenen Anhänger der Nachepolitik Lamarmoras,
mit Ratazzi's französischen Sympathien sind die besten Hoffnungen der Tripple-
alliance verstorben und unter den neuen Räthen Victor Emanuels sind meh¬
rere, welche entschieden zu Preußen stehen, vor Allem General Gavone (jetzt
Kriegsminister) der Unterhändler von 1866.

Die der italienischen parallel laufende französische Ministerkrisis ist noch
nicht beendet. Der Kaiser hat das entscheidende Wort bis zu der in das neue
Jahr fallenden Wiedereröffnung des vorps leZisIatik verschoben und überläßt
es der Pariser Presse, sich inzwischen mit der Zusammenstellung möglicher Mi¬
nisterlisten zu unterhalten. Noch immer ist es fraglich, ob ein Ministerium
Ollivier auf das Zusammenhalten der Majorität rechnen kann und Ollivier
ist der einzige Mann, der noch Gläubige findet.

So geräuschvoll es auch bei der Prüfung der Wahlen zugegangen ist, so
ist dieselbe doch hinter den Erwartungen der Feinde des Kaiserthums zurück¬
geblieben. Die Langathmigkeit dieser Procedur und die Eintönigkeit der
pathetischen Phrasen, in denen die Opposition ihre sittliche Entrüstung über
die Präsectenwirthschaft aussprach, beginnen die Geduld der Leser zu ermüden,
welche nach den ersten Niederlagen des Herrn Forcade de la Roquette auf
größere Effecte ihre Rechnung gemacht hatten. Es hilft nichts, daß die Un¬
möglichkeit einer Rückkehr zum persönlichen Regiment von allen Seiten ein¬
geräumt wird, daß der Kaiser sich vor den Arcadiern zurückzieht, die Kaiserin der
Theilnahme an den Cabinetsberathungen und ihrem Groll gegen die Tiers-Partei
entsagthat,-- die Unfruchtbarkeit der oppositionellen Programme und die Un¬
möglichkeit, einen Erben des Kaiserthums auch nur zu denken, machen sich
immer wieder geltend und verhindern, daß die französische Krisis den acuten
Character annimmt, der die bisherigen Staatsumwälzungen in Paris herbei¬
führte. Das bemerkenswertheste Symptom für die große Veränderung, welche
sich seit den letzten Monaten in der Auffassung des Staatsoberhauptes voll¬
zogen hat, ist die Zurückhaltung der Regierung gegenüber den Ausschreitungen
der Presse, deren vorgeschrittenere Organe sich in einem wahren Schlamm
radicaler Gemeinheit baden und dem mangelnden Selbstgefühl der Nation
durch Schmähungen gegen den Kaiser auf die Beine zu helfen versuchen.
Wäre Herr Rouher noch im Amte, so ließe sich glauben, die Regierung be¬
absichtige, die radicale Presse der Rochefort und Genossen sich selbst compro-
mittiren zu lassen und dann unter Zustimmung der öffentlichen Meinung zu¬
zuschlagen. Die jetzigen Minister müssen sichs gefallen lassen, daß man ihr"
Passivität einfach auf Rechnung des Gefühls der Unsicherheit und der
Schwäche setzt, das sie an jeder Action hindert. Daß die öffentliche Meinung
des Auslandes die Bedrohlichkeit der arti-imperialistischen Bewegung vielfach
überschätzt, ist wesentlich dem Umstände zuzuschreiben, daß die gegenwärtige


Cabinet, das die traurige Erbschaft des Grafen Menabrea übernommen,
zählt keinen einzigen entschiedenen Anhänger der Nachepolitik Lamarmoras,
mit Ratazzi's französischen Sympathien sind die besten Hoffnungen der Tripple-
alliance verstorben und unter den neuen Räthen Victor Emanuels sind meh¬
rere, welche entschieden zu Preußen stehen, vor Allem General Gavone (jetzt
Kriegsminister) der Unterhändler von 1866.

Die der italienischen parallel laufende französische Ministerkrisis ist noch
nicht beendet. Der Kaiser hat das entscheidende Wort bis zu der in das neue
Jahr fallenden Wiedereröffnung des vorps leZisIatik verschoben und überläßt
es der Pariser Presse, sich inzwischen mit der Zusammenstellung möglicher Mi¬
nisterlisten zu unterhalten. Noch immer ist es fraglich, ob ein Ministerium
Ollivier auf das Zusammenhalten der Majorität rechnen kann und Ollivier
ist der einzige Mann, der noch Gläubige findet.

So geräuschvoll es auch bei der Prüfung der Wahlen zugegangen ist, so
ist dieselbe doch hinter den Erwartungen der Feinde des Kaiserthums zurück¬
geblieben. Die Langathmigkeit dieser Procedur und die Eintönigkeit der
pathetischen Phrasen, in denen die Opposition ihre sittliche Entrüstung über
die Präsectenwirthschaft aussprach, beginnen die Geduld der Leser zu ermüden,
welche nach den ersten Niederlagen des Herrn Forcade de la Roquette auf
größere Effecte ihre Rechnung gemacht hatten. Es hilft nichts, daß die Un¬
möglichkeit einer Rückkehr zum persönlichen Regiment von allen Seiten ein¬
geräumt wird, daß der Kaiser sich vor den Arcadiern zurückzieht, die Kaiserin der
Theilnahme an den Cabinetsberathungen und ihrem Groll gegen die Tiers-Partei
entsagthat,— die Unfruchtbarkeit der oppositionellen Programme und die Un¬
möglichkeit, einen Erben des Kaiserthums auch nur zu denken, machen sich
immer wieder geltend und verhindern, daß die französische Krisis den acuten
Character annimmt, der die bisherigen Staatsumwälzungen in Paris herbei¬
führte. Das bemerkenswertheste Symptom für die große Veränderung, welche
sich seit den letzten Monaten in der Auffassung des Staatsoberhauptes voll¬
zogen hat, ist die Zurückhaltung der Regierung gegenüber den Ausschreitungen
der Presse, deren vorgeschrittenere Organe sich in einem wahren Schlamm
radicaler Gemeinheit baden und dem mangelnden Selbstgefühl der Nation
durch Schmähungen gegen den Kaiser auf die Beine zu helfen versuchen.
Wäre Herr Rouher noch im Amte, so ließe sich glauben, die Regierung be¬
absichtige, die radicale Presse der Rochefort und Genossen sich selbst compro-
mittiren zu lassen und dann unter Zustimmung der öffentlichen Meinung zu¬
zuschlagen. Die jetzigen Minister müssen sichs gefallen lassen, daß man ihr«
Passivität einfach auf Rechnung des Gefühls der Unsicherheit und der
Schwäche setzt, das sie an jeder Action hindert. Daß die öffentliche Meinung
des Auslandes die Bedrohlichkeit der arti-imperialistischen Bewegung vielfach
überschätzt, ist wesentlich dem Umstände zuzuschreiben, daß die gegenwärtige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/493>, abgerufen am 22.07.2024.