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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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rechnen. Die steigenden Ansprüche des slavischen Elements beweisen, daß man
den Zorn der Wiener Machthaber die längste Zeit gefürchtet hat; ist die
slavische Nationalität erst in den cisleithanischen Ländern sörmlich anerkannt,
so wird sichs zeigen, daß ihre Unterwürfigkeit gegen die Magyaren niemals
ernst gemeint war. In den Comitaten des nordöstlichen Ungarn treiben die
Ruthenen eine stille aber unaufhaltsame Minirerarbeit, deren Ziel aus politi¬
schem Gebiete förmliche Anerkennung ihres nationalen Autonomierechts, aus
kirchlichem, allmälige Loslösung von der katholischen Kirche ist.

So trägt der Föderalismus, auf den jetzt Alles hindrängt und den man
zur Noth mit dem gegenwärtigen System versöhnen und verbinden zu können
glaubt, bereits die Keime des Verderbens für die gesammte im I. 1867 ge¬
schaffene östreichische Ordnung der Dinge in sich. Ist das föderalistische
Princip in den außerungarischen Ländern zur Anerkennung gekommen, so
sind für diesen, Rückschritt der Kultur und Zerstörung der deutsch-östreichischen
Colonien, auf welche die Regierung sich bisher stützte, ebenso unausbleibliche
Folgen, wie für Ungarns Unterhöhlung der magyarischen Suprematie
und vorschreitender Anspruch der Slaven. -- So begreift sichs, daß das
unvermeidliche Herannahen der neusten östreichischen Aera auch von denen
ziemlich kleinmüthig begrüßt wird, die seine Unaufhaltbarkeit eingestehen
und entschlossen genug sind, das Unvermeidliche zu thun, so lange es noch
unter dem Schein freier Entschließung geschehen kann. Von der hoffnungs¬
vollen Begeisterung, die vor 21 Monaten Oestreichs politische Ostern feierte,
ist nirgends etwas zu spüren und selbst Gras Reuse scheint die Segel seiner
großmächtlichen Actionspolitik einzuziehen und sich damit zu begnügen, daß
andere Leute den Austrag der egyptisch-türkischen Differenz besorgt haben.

Und in der That, nach welcher Seite sollte der k. k. Reichskanzler die
Spitze seines diplomatischen Schiffs richten? Wo kann er Unterstützung für
die Pläne finden, zu deren Durchführung er sich bei Uebernahme des öst¬
reichischen Staatsruders anheischig machte? Italien siecht an unheilbarer
Schwäche dahin und ist kaum mehr im Stande Männer ausfindig zu machen,
die die Verantwortlichkeit für die Leitung seiner Geschäfte übernehmen wollen;
Frankreich liegt in einem Fieber, dessen Beseitigung die, erfahrensten Aerzte
nicht absehen zu können erklären, von Rußland ist im günstigsten Fall nicht
mehr als eine Vertagung seiner orientalischen und slavischen Actionspolitik
zu erlangen! Daß Preußen mit seinen über den Main gerufenen Losungs¬
wort: "Wir können warten" Ernst macht, hat dem Reichskanzler die letzten
Karten aus der Hand gespielt und wenn er dieselben ein Mal wieder auf¬
nimmt, ist es zu spät, weil er dann keine Mitspieler mehr findet. Jene
Alliance mit Frankreich und Italien, von welcher seiner Zeit so viel Auf-
Hebens gemacht worden, ist gestorben, ehe sie zur Welt gekommen und die
letzten Wochen haben sie vollends begraben. Das neugebildete florentinische


rechnen. Die steigenden Ansprüche des slavischen Elements beweisen, daß man
den Zorn der Wiener Machthaber die längste Zeit gefürchtet hat; ist die
slavische Nationalität erst in den cisleithanischen Ländern sörmlich anerkannt,
so wird sichs zeigen, daß ihre Unterwürfigkeit gegen die Magyaren niemals
ernst gemeint war. In den Comitaten des nordöstlichen Ungarn treiben die
Ruthenen eine stille aber unaufhaltsame Minirerarbeit, deren Ziel aus politi¬
schem Gebiete förmliche Anerkennung ihres nationalen Autonomierechts, aus
kirchlichem, allmälige Loslösung von der katholischen Kirche ist.

So trägt der Föderalismus, auf den jetzt Alles hindrängt und den man
zur Noth mit dem gegenwärtigen System versöhnen und verbinden zu können
glaubt, bereits die Keime des Verderbens für die gesammte im I. 1867 ge¬
schaffene östreichische Ordnung der Dinge in sich. Ist das föderalistische
Princip in den außerungarischen Ländern zur Anerkennung gekommen, so
sind für diesen, Rückschritt der Kultur und Zerstörung der deutsch-östreichischen
Colonien, auf welche die Regierung sich bisher stützte, ebenso unausbleibliche
Folgen, wie für Ungarns Unterhöhlung der magyarischen Suprematie
und vorschreitender Anspruch der Slaven. — So begreift sichs, daß das
unvermeidliche Herannahen der neusten östreichischen Aera auch von denen
ziemlich kleinmüthig begrüßt wird, die seine Unaufhaltbarkeit eingestehen
und entschlossen genug sind, das Unvermeidliche zu thun, so lange es noch
unter dem Schein freier Entschließung geschehen kann. Von der hoffnungs¬
vollen Begeisterung, die vor 21 Monaten Oestreichs politische Ostern feierte,
ist nirgends etwas zu spüren und selbst Gras Reuse scheint die Segel seiner
großmächtlichen Actionspolitik einzuziehen und sich damit zu begnügen, daß
andere Leute den Austrag der egyptisch-türkischen Differenz besorgt haben.

Und in der That, nach welcher Seite sollte der k. k. Reichskanzler die
Spitze seines diplomatischen Schiffs richten? Wo kann er Unterstützung für
die Pläne finden, zu deren Durchführung er sich bei Uebernahme des öst¬
reichischen Staatsruders anheischig machte? Italien siecht an unheilbarer
Schwäche dahin und ist kaum mehr im Stande Männer ausfindig zu machen,
die die Verantwortlichkeit für die Leitung seiner Geschäfte übernehmen wollen;
Frankreich liegt in einem Fieber, dessen Beseitigung die, erfahrensten Aerzte
nicht absehen zu können erklären, von Rußland ist im günstigsten Fall nicht
mehr als eine Vertagung seiner orientalischen und slavischen Actionspolitik
zu erlangen! Daß Preußen mit seinen über den Main gerufenen Losungs¬
wort: „Wir können warten" Ernst macht, hat dem Reichskanzler die letzten
Karten aus der Hand gespielt und wenn er dieselben ein Mal wieder auf¬
nimmt, ist es zu spät, weil er dann keine Mitspieler mehr findet. Jene
Alliance mit Frankreich und Italien, von welcher seiner Zeit so viel Auf-
Hebens gemacht worden, ist gestorben, ehe sie zur Welt gekommen und die
letzten Wochen haben sie vollends begraben. Das neugebildete florentinische


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[0492] rechnen. Die steigenden Ansprüche des slavischen Elements beweisen, daß man den Zorn der Wiener Machthaber die längste Zeit gefürchtet hat; ist die slavische Nationalität erst in den cisleithanischen Ländern sörmlich anerkannt, so wird sichs zeigen, daß ihre Unterwürfigkeit gegen die Magyaren niemals ernst gemeint war. In den Comitaten des nordöstlichen Ungarn treiben die Ruthenen eine stille aber unaufhaltsame Minirerarbeit, deren Ziel aus politi¬ schem Gebiete förmliche Anerkennung ihres nationalen Autonomierechts, aus kirchlichem, allmälige Loslösung von der katholischen Kirche ist. So trägt der Föderalismus, auf den jetzt Alles hindrängt und den man zur Noth mit dem gegenwärtigen System versöhnen und verbinden zu können glaubt, bereits die Keime des Verderbens für die gesammte im I. 1867 ge¬ schaffene östreichische Ordnung der Dinge in sich. Ist das föderalistische Princip in den außerungarischen Ländern zur Anerkennung gekommen, so sind für diesen, Rückschritt der Kultur und Zerstörung der deutsch-östreichischen Colonien, auf welche die Regierung sich bisher stützte, ebenso unausbleibliche Folgen, wie für Ungarns Unterhöhlung der magyarischen Suprematie und vorschreitender Anspruch der Slaven. — So begreift sichs, daß das unvermeidliche Herannahen der neusten östreichischen Aera auch von denen ziemlich kleinmüthig begrüßt wird, die seine Unaufhaltbarkeit eingestehen und entschlossen genug sind, das Unvermeidliche zu thun, so lange es noch unter dem Schein freier Entschließung geschehen kann. Von der hoffnungs¬ vollen Begeisterung, die vor 21 Monaten Oestreichs politische Ostern feierte, ist nirgends etwas zu spüren und selbst Gras Reuse scheint die Segel seiner großmächtlichen Actionspolitik einzuziehen und sich damit zu begnügen, daß andere Leute den Austrag der egyptisch-türkischen Differenz besorgt haben. Und in der That, nach welcher Seite sollte der k. k. Reichskanzler die Spitze seines diplomatischen Schiffs richten? Wo kann er Unterstützung für die Pläne finden, zu deren Durchführung er sich bei Uebernahme des öst¬ reichischen Staatsruders anheischig machte? Italien siecht an unheilbarer Schwäche dahin und ist kaum mehr im Stande Männer ausfindig zu machen, die die Verantwortlichkeit für die Leitung seiner Geschäfte übernehmen wollen; Frankreich liegt in einem Fieber, dessen Beseitigung die, erfahrensten Aerzte nicht absehen zu können erklären, von Rußland ist im günstigsten Fall nicht mehr als eine Vertagung seiner orientalischen und slavischen Actionspolitik zu erlangen! Daß Preußen mit seinen über den Main gerufenen Losungs¬ wort: „Wir können warten" Ernst macht, hat dem Reichskanzler die letzten Karten aus der Hand gespielt und wenn er dieselben ein Mal wieder auf¬ nimmt, ist es zu spät, weil er dann keine Mitspieler mehr findet. Jene Alliance mit Frankreich und Italien, von welcher seiner Zeit so viel Auf- Hebens gemacht worden, ist gestorben, ehe sie zur Welt gekommen und die letzten Wochen haben sie vollends begraben. Das neugebildete florentinische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/492>, abgerufen am 22.07.2024.