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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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zahlreichen Revolutionen, sondern eher, daß dieselben nicht noch öfter
stattfinden.

Das I. 1789 schuf eine neue Gesellschaft, deren Organisation bisher allen
Angriffen widerstanden hat. Napoleon suchte vergebens eine militärische Aristo¬
kratie zu gründen, die Bourbons erschöpften sich in unfruchtbaren Restaura¬
tionsbestrebungen, Louis Philipp ward von seinem xa^s leMl im Stich ge¬
lassen, die Socialisten versuchten umsonst Frankreich republikanisch zu machen;
Frankreich hat mit einem Wort bis jetzt ohne Erfolg nach einer Regierung
gestrebt, die mit seiner gesellschaftlichen Ordnung in Harmonie stände. Ueber
das zweite Kaiserreich sind die Acten noch nicht geschlossen, aber der jetzige
Zustand sieht nicht darnach aus, als ob es das große Räthsel lösen sollte.
Pre'post-Paradot hat offenbar eine Vorliebe für die Republik, er meint, nur
die erste und zweite Republik hätten es nicht verdient, gestürzt zu werden,
sie seien die Opfer großer Verschwörungen gewesen, denen die Nation nicht
habe widerstehen können. Diese Ansicht scheint uns stark parteiisch gefärbt;
warum konnte die Nation denn der Verschwörung nicht widerstehen, wenn
der Zustand gut war? Der Verfasser schildert uns den Staatsstreich des
2. December mit düstern Farben und sagt, Niemand könne sich eine Vor¬
stellung von der furchtbaren Erbitterung machen, welche dieses Attentat im
Herzen der Nation hinterlassen. Wir glauben, daß dabei eine Täuschung
unterläuft, die Bitterkeit besteht sicherlich im Herzen der liberalen Partei, aber
nicht in der Masse der Nation. Der Verfasser vergißt, welchen hoffnungslos
chaotischen Zuständen der Staatsstreich ein Ende machte; die Besten trauer¬
ten um den Untergang der Freiheit, aber die große Masse verlangte vor
Allem Ruhe und Sicherheit, -- die Ordnung war der Schrei der Gesellschaft.
Frankreich als Nation kann sich über den Staatsstreich nicht beklagen, nach¬
dem 7 Millionen Stimmen dreimal ihn ratificirt. Wenn jetzt die dunkeln
Schilderungen des Verbrechens vom 2. December so großen Anklang finden,
so liegt das lediglich in den großen Fehlern der persönlichen Regierung,
deren Nachwirkungen jetzt greifbar hervortreten.

Die Anforderungen, welche Pre'post-Paradol an eine neue Republik
stellt, sollten ihn schon bedenklich machen, dieselbe zu erstreben, weil sie sich
schwerlich je erfüllen lassen. Er verlangt diese Regierungsform, weil die
Erblichkeit dem Gleichheitssinne der Franzosen zuwider sei, aber er will sie
zugleich stark und deeentralifirt. Ohne locale Freiheiten sei die Executive
ZU stark, stark aber müsse sie doch bleiben, um Frankreich als großen Staat
zu erhalten. Aber har der Verfasser wohl erwogen, welche fast unüberwindlichen
Schwierigkeiten sich in Frankreich der Organisation eines dauerhaften Self-
government entgegenstellen? will er dasselbe auf das allgemeine Stimmrecht
gründen, bei dem er selbst fürchtet, daß die Bauern die Mittel für den


zahlreichen Revolutionen, sondern eher, daß dieselben nicht noch öfter
stattfinden.

Das I. 1789 schuf eine neue Gesellschaft, deren Organisation bisher allen
Angriffen widerstanden hat. Napoleon suchte vergebens eine militärische Aristo¬
kratie zu gründen, die Bourbons erschöpften sich in unfruchtbaren Restaura¬
tionsbestrebungen, Louis Philipp ward von seinem xa^s leMl im Stich ge¬
lassen, die Socialisten versuchten umsonst Frankreich republikanisch zu machen;
Frankreich hat mit einem Wort bis jetzt ohne Erfolg nach einer Regierung
gestrebt, die mit seiner gesellschaftlichen Ordnung in Harmonie stände. Ueber
das zweite Kaiserreich sind die Acten noch nicht geschlossen, aber der jetzige
Zustand sieht nicht darnach aus, als ob es das große Räthsel lösen sollte.
Pre'post-Paradot hat offenbar eine Vorliebe für die Republik, er meint, nur
die erste und zweite Republik hätten es nicht verdient, gestürzt zu werden,
sie seien die Opfer großer Verschwörungen gewesen, denen die Nation nicht
habe widerstehen können. Diese Ansicht scheint uns stark parteiisch gefärbt;
warum konnte die Nation denn der Verschwörung nicht widerstehen, wenn
der Zustand gut war? Der Verfasser schildert uns den Staatsstreich des
2. December mit düstern Farben und sagt, Niemand könne sich eine Vor¬
stellung von der furchtbaren Erbitterung machen, welche dieses Attentat im
Herzen der Nation hinterlassen. Wir glauben, daß dabei eine Täuschung
unterläuft, die Bitterkeit besteht sicherlich im Herzen der liberalen Partei, aber
nicht in der Masse der Nation. Der Verfasser vergißt, welchen hoffnungslos
chaotischen Zuständen der Staatsstreich ein Ende machte; die Besten trauer¬
ten um den Untergang der Freiheit, aber die große Masse verlangte vor
Allem Ruhe und Sicherheit, — die Ordnung war der Schrei der Gesellschaft.
Frankreich als Nation kann sich über den Staatsstreich nicht beklagen, nach¬
dem 7 Millionen Stimmen dreimal ihn ratificirt. Wenn jetzt die dunkeln
Schilderungen des Verbrechens vom 2. December so großen Anklang finden,
so liegt das lediglich in den großen Fehlern der persönlichen Regierung,
deren Nachwirkungen jetzt greifbar hervortreten.

Die Anforderungen, welche Pre'post-Paradol an eine neue Republik
stellt, sollten ihn schon bedenklich machen, dieselbe zu erstreben, weil sie sich
schwerlich je erfüllen lassen. Er verlangt diese Regierungsform, weil die
Erblichkeit dem Gleichheitssinne der Franzosen zuwider sei, aber er will sie
zugleich stark und deeentralifirt. Ohne locale Freiheiten sei die Executive
ZU stark, stark aber müsse sie doch bleiben, um Frankreich als großen Staat
zu erhalten. Aber har der Verfasser wohl erwogen, welche fast unüberwindlichen
Schwierigkeiten sich in Frankreich der Organisation eines dauerhaften Self-
government entgegenstellen? will er dasselbe auf das allgemeine Stimmrecht
gründen, bei dem er selbst fürchtet, daß die Bauern die Mittel für den


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[0479] zahlreichen Revolutionen, sondern eher, daß dieselben nicht noch öfter stattfinden. Das I. 1789 schuf eine neue Gesellschaft, deren Organisation bisher allen Angriffen widerstanden hat. Napoleon suchte vergebens eine militärische Aristo¬ kratie zu gründen, die Bourbons erschöpften sich in unfruchtbaren Restaura¬ tionsbestrebungen, Louis Philipp ward von seinem xa^s leMl im Stich ge¬ lassen, die Socialisten versuchten umsonst Frankreich republikanisch zu machen; Frankreich hat mit einem Wort bis jetzt ohne Erfolg nach einer Regierung gestrebt, die mit seiner gesellschaftlichen Ordnung in Harmonie stände. Ueber das zweite Kaiserreich sind die Acten noch nicht geschlossen, aber der jetzige Zustand sieht nicht darnach aus, als ob es das große Räthsel lösen sollte. Pre'post-Paradot hat offenbar eine Vorliebe für die Republik, er meint, nur die erste und zweite Republik hätten es nicht verdient, gestürzt zu werden, sie seien die Opfer großer Verschwörungen gewesen, denen die Nation nicht habe widerstehen können. Diese Ansicht scheint uns stark parteiisch gefärbt; warum konnte die Nation denn der Verschwörung nicht widerstehen, wenn der Zustand gut war? Der Verfasser schildert uns den Staatsstreich des 2. December mit düstern Farben und sagt, Niemand könne sich eine Vor¬ stellung von der furchtbaren Erbitterung machen, welche dieses Attentat im Herzen der Nation hinterlassen. Wir glauben, daß dabei eine Täuschung unterläuft, die Bitterkeit besteht sicherlich im Herzen der liberalen Partei, aber nicht in der Masse der Nation. Der Verfasser vergißt, welchen hoffnungslos chaotischen Zuständen der Staatsstreich ein Ende machte; die Besten trauer¬ ten um den Untergang der Freiheit, aber die große Masse verlangte vor Allem Ruhe und Sicherheit, — die Ordnung war der Schrei der Gesellschaft. Frankreich als Nation kann sich über den Staatsstreich nicht beklagen, nach¬ dem 7 Millionen Stimmen dreimal ihn ratificirt. Wenn jetzt die dunkeln Schilderungen des Verbrechens vom 2. December so großen Anklang finden, so liegt das lediglich in den großen Fehlern der persönlichen Regierung, deren Nachwirkungen jetzt greifbar hervortreten. Die Anforderungen, welche Pre'post-Paradol an eine neue Republik stellt, sollten ihn schon bedenklich machen, dieselbe zu erstreben, weil sie sich schwerlich je erfüllen lassen. Er verlangt diese Regierungsform, weil die Erblichkeit dem Gleichheitssinne der Franzosen zuwider sei, aber er will sie zugleich stark und deeentralifirt. Ohne locale Freiheiten sei die Executive ZU stark, stark aber müsse sie doch bleiben, um Frankreich als großen Staat zu erhalten. Aber har der Verfasser wohl erwogen, welche fast unüberwindlichen Schwierigkeiten sich in Frankreich der Organisation eines dauerhaften Self- government entgegenstellen? will er dasselbe auf das allgemeine Stimmrecht gründen, bei dem er selbst fürchtet, daß die Bauern die Mittel für den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/479>, abgerufen am 02.10.2024.