Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.Staat verweigern könnten? Wie will er in dem Lande, das seit undenklichen Das Unglück für Frankreich ist, daß in jeder der Regierungen, die sich Staat verweigern könnten? Wie will er in dem Lande, das seit undenklichen Das Unglück für Frankreich ist, daß in jeder der Regierungen, die sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122235"/> <p xml:id="ID_1361" prev="#ID_1360"> Staat verweigern könnten? Wie will er in dem Lande, das seit undenklichen<lb/> Zeiten mit dem alleinigen Princip der Autorität regiert ist, den Sinn für die<lb/> Uebernahme unentgeltlicher Ehrenämter wecken? Dazu kommen die Gefahren<lb/> von der socialistischen Partei, welche der Verf. selbst mit Recht so hoch anschlägt<lb/> und die in Frankreich größer sind als irgendwo sonst. Die Revolution von 1789<lb/> gründete in der That eine neue Gesellschaft, und zwar in kürzester Frist.<lb/> Warum, fragt der französische Socialist, sollte es nicht möglich sein, dieses,<lb/> durch den Absolutismus Bonaparte's unterbrochene Werk wieder aufzunehmen<lb/> und durch eine Reihe durchgreifender Decrete zu vollenden? Wenn die erste<lb/> Revolution in wenigen Jahren so Großes vollbrachte, warum sollte das Volk,<lb/> wenn es wieder die Macht in Händen hätte, nicht nochmals eben so Großes<lb/> und selbst Größeres thun? Wie hat es denn Napoleon III. gemacht? Folg¬<lb/> lich, schließt er, ist der Fehler nur, daß die Macht in falschen Händen liegt,<lb/> denen man sie entreißen muß. Der Staat kann nach den Ansichten dieser<lb/> Schule eben Alles, die Staatsgewalt ist die Wünschelruthe, in deren Besitz<lb/> man sich setzen muß; der Kaiser benutzt sie schlecht, aber in socialdemokrati¬<lb/> schen Händen würde sie Wunder thun. Und mit solchen Materialien will<lb/> der Verfasser eine freie, decentralisirte starke Republik gründen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1362" next="#ID_1363"> Das Unglück für Frankreich ist, daß in jeder der Regierungen, die sich<lb/> seit 1789 gefolgt sind, etwas war, was die Nation um jeden Preis los¬<lb/> werden zu müssen glaubte und deshalb ist die Revolution in Permanenz. Das<lb/> Kaiserthum macht jetzt einen Versuch, sich liberal umzugestalten, es mag<lb/> ehrlich in diesem Bestreben sein, aber wir haben keine sanguinischen Erwartun¬<lb/> gen von den Resultaten. Die gemäßigt liberale Partei ist anscheinend hoff¬<lb/> nungslos getheilt; sie ist bis zu einem gewissen Grade einig über die Oppo¬<lb/> sition, gänzlich uneinig über den einzuschlagenden Weg, kein Führer ist da,<lb/> der eitle Ollivier ist allen Parteien verdächtig. Die Tierspartei ist in voller<lb/> Auflösung, die Linke zeigt sich, erschreckt durch den revolutionären Wahn¬<lb/> sinn der Unversöhnlichen, augenblicklich gemäßigt und appellirt, obwohl auf die<lb/> Republik hinarbeitend, nur an die Macht freier Discussion. Aber selbst ihr<lb/> Manifest, das im Ganzen als der Ausdruck der Wünsche des Landes gelten<lb/> mag, zeigt stark doctrinäre Befangenheit, indem es für das lüorxs Ivsislatik<lb/> das Recht verlangt, allein den Krieg erklären zu können. Sie übersieht dabei,<lb/> daß ohne wirklich verantwortliches Ministerium die Executive durch ihre<lb/> Führung der auswärtigen Angelegenheiten doch den Krieg unvermeidlich<lb/> machen kann, während ein verantwortliches Ministerium nie wagen würde,<lb/> auf ein solches Ziel loszusteuern, wenn es sich nicht von der Majorität ge¬<lb/> tragen fühlte. Aber auch hiervon abgesehen muß man fragen, wird die Linke<lb/> es auf die Dauer ruhig ertragen überstimmt zu werden, wird sie nicht unge¬<lb/> duldig werden, wenn die Mehrheit der Tiersparti, eingeschüchtert durch die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0480]
Staat verweigern könnten? Wie will er in dem Lande, das seit undenklichen
Zeiten mit dem alleinigen Princip der Autorität regiert ist, den Sinn für die
Uebernahme unentgeltlicher Ehrenämter wecken? Dazu kommen die Gefahren
von der socialistischen Partei, welche der Verf. selbst mit Recht so hoch anschlägt
und die in Frankreich größer sind als irgendwo sonst. Die Revolution von 1789
gründete in der That eine neue Gesellschaft, und zwar in kürzester Frist.
Warum, fragt der französische Socialist, sollte es nicht möglich sein, dieses,
durch den Absolutismus Bonaparte's unterbrochene Werk wieder aufzunehmen
und durch eine Reihe durchgreifender Decrete zu vollenden? Wenn die erste
Revolution in wenigen Jahren so Großes vollbrachte, warum sollte das Volk,
wenn es wieder die Macht in Händen hätte, nicht nochmals eben so Großes
und selbst Größeres thun? Wie hat es denn Napoleon III. gemacht? Folg¬
lich, schließt er, ist der Fehler nur, daß die Macht in falschen Händen liegt,
denen man sie entreißen muß. Der Staat kann nach den Ansichten dieser
Schule eben Alles, die Staatsgewalt ist die Wünschelruthe, in deren Besitz
man sich setzen muß; der Kaiser benutzt sie schlecht, aber in socialdemokrati¬
schen Händen würde sie Wunder thun. Und mit solchen Materialien will
der Verfasser eine freie, decentralisirte starke Republik gründen?
Das Unglück für Frankreich ist, daß in jeder der Regierungen, die sich
seit 1789 gefolgt sind, etwas war, was die Nation um jeden Preis los¬
werden zu müssen glaubte und deshalb ist die Revolution in Permanenz. Das
Kaiserthum macht jetzt einen Versuch, sich liberal umzugestalten, es mag
ehrlich in diesem Bestreben sein, aber wir haben keine sanguinischen Erwartun¬
gen von den Resultaten. Die gemäßigt liberale Partei ist anscheinend hoff¬
nungslos getheilt; sie ist bis zu einem gewissen Grade einig über die Oppo¬
sition, gänzlich uneinig über den einzuschlagenden Weg, kein Führer ist da,
der eitle Ollivier ist allen Parteien verdächtig. Die Tierspartei ist in voller
Auflösung, die Linke zeigt sich, erschreckt durch den revolutionären Wahn¬
sinn der Unversöhnlichen, augenblicklich gemäßigt und appellirt, obwohl auf die
Republik hinarbeitend, nur an die Macht freier Discussion. Aber selbst ihr
Manifest, das im Ganzen als der Ausdruck der Wünsche des Landes gelten
mag, zeigt stark doctrinäre Befangenheit, indem es für das lüorxs Ivsislatik
das Recht verlangt, allein den Krieg erklären zu können. Sie übersieht dabei,
daß ohne wirklich verantwortliches Ministerium die Executive durch ihre
Führung der auswärtigen Angelegenheiten doch den Krieg unvermeidlich
machen kann, während ein verantwortliches Ministerium nie wagen würde,
auf ein solches Ziel loszusteuern, wenn es sich nicht von der Majorität ge¬
tragen fühlte. Aber auch hiervon abgesehen muß man fragen, wird die Linke
es auf die Dauer ruhig ertragen überstimmt zu werden, wird sie nicht unge¬
duldig werden, wenn die Mehrheit der Tiersparti, eingeschüchtert durch die
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