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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Frau die Bücher ihres Mannes oder setzt das Geschäft desselben nach seinem
Tode selbständig fort. Auch ist dem weiblichen Theile unserer Nachbarn der
Sinn für Geschmack und Eleganz angeboren und ihr Verstand, gepaart mit
dem Sinn für das Feine und Angenehme, macht die Unterhaltung französi¬
scher Damen so anziehend. Aber der schönen Form, dem Witz und Geist
entspricht freilich oft der Inhalt wenig, man strebt mehr nach dem Unter¬
haltenden und Picander. als'nach dem Soliden und Wahren. Schon die
Erziehung der französischen Mädchen geht mehr darauf aus, die liebens¬
würdigen Talente zu entwickeln, als den Geist zu reifen und zu vertiefen.
Man geht zu sehr darauf aus, die Oberfläche der Dinge mit einem Witzwort
zu streifen; man lehrt von Allem zu sprechen, ohne etwas gründlich zu können.
Die Französin liest weniger und weniger ernste Bücher als die Engländerin
oder Deutsche; man mustre vergleichsweise nur die Leihbibliotheken, sie werden
wenig Werke ernsten Inhalts bieten, welche wie bei uns und noch mehr in
England allgemeiner Gegenstand der weiblichen Lectüre sind, wie z. B. populär¬
gehaltene wissenschaftliche Darstellungen. Was außerdem das moralische Ge¬
fühl anlangt, so wollen wir gern zugeben, was unser Verfasser über die gute
Haltung der Frauen in Vernunftehen sagt, aber der Mangel eigentlicher
Liebe macht sie ohne Frage nachsichtiger für Verirrungen und laxer in ihren
Begriffen der Treue. Gewiß soll man nicht voreilige Rückschlüsse auf die
wirklichen Familienzustände aus den Romanen von Paul de Kock und Georges
Sand oder den Dramen von A. Dumas Sohn machen, aber der ungeheure
Absatz, den diese Bücher finden, die glänzenden Einnahmen der Theater von
solchen Stücken sprechen doch für die allgemeine Beliebtheit derselben und
wir haben selbst jene Pariser Bourgeoisie, die der Verfasser als Kern der
Nation feiert, sich mit Frau und Kind zu den Darstellungen der Deal-Monde
drängen sehen. Welchen Einfluß aber solche geistige Nahrung auf die Bil¬
dung der künftigen Gattinnen und Mütter haben muß, läßt sich leicht er¬
messen. Die Kirchlichkeit der französischen Frauen wird freilich in neuester
Zeit sehr gepriesen und sicher bietet dieselbe bewundernswürdige Beispiele reli¬
giöser Hingebung, namentlich bei den barmherzigen Schwestern, aber im Ganzen
müssen wir gestehen, daß uns diese Kirchlichkeit doch den Eindruck großer
Aeußerlichkeit macht. Man findet sich mit der Religion ab, indem man
regelmäßig zur Messe geht. Geld für Klöster und Peterspfennige gibt und
sammelt. Aber von einem wirklich erweckten religiösen Leben, von selbständi¬
gem Denken über kirchliche Fragen findet man wenig Spuren, meist ist das¬
selbe nur in der kleinen protestantischen Minderheit geweckt.

In seiner zweiten Vorlesung behandelt Pre'post-Paradol die politischen
Zustände seines Vaterlandes und der Eindruck seiner Darstellung muß, wie
Ms scheint, ein höchst niederschlagender sein. Man wundert sich nicht über die


Frau die Bücher ihres Mannes oder setzt das Geschäft desselben nach seinem
Tode selbständig fort. Auch ist dem weiblichen Theile unserer Nachbarn der
Sinn für Geschmack und Eleganz angeboren und ihr Verstand, gepaart mit
dem Sinn für das Feine und Angenehme, macht die Unterhaltung französi¬
scher Damen so anziehend. Aber der schönen Form, dem Witz und Geist
entspricht freilich oft der Inhalt wenig, man strebt mehr nach dem Unter¬
haltenden und Picander. als'nach dem Soliden und Wahren. Schon die
Erziehung der französischen Mädchen geht mehr darauf aus, die liebens¬
würdigen Talente zu entwickeln, als den Geist zu reifen und zu vertiefen.
Man geht zu sehr darauf aus, die Oberfläche der Dinge mit einem Witzwort
zu streifen; man lehrt von Allem zu sprechen, ohne etwas gründlich zu können.
Die Französin liest weniger und weniger ernste Bücher als die Engländerin
oder Deutsche; man mustre vergleichsweise nur die Leihbibliotheken, sie werden
wenig Werke ernsten Inhalts bieten, welche wie bei uns und noch mehr in
England allgemeiner Gegenstand der weiblichen Lectüre sind, wie z. B. populär¬
gehaltene wissenschaftliche Darstellungen. Was außerdem das moralische Ge¬
fühl anlangt, so wollen wir gern zugeben, was unser Verfasser über die gute
Haltung der Frauen in Vernunftehen sagt, aber der Mangel eigentlicher
Liebe macht sie ohne Frage nachsichtiger für Verirrungen und laxer in ihren
Begriffen der Treue. Gewiß soll man nicht voreilige Rückschlüsse auf die
wirklichen Familienzustände aus den Romanen von Paul de Kock und Georges
Sand oder den Dramen von A. Dumas Sohn machen, aber der ungeheure
Absatz, den diese Bücher finden, die glänzenden Einnahmen der Theater von
solchen Stücken sprechen doch für die allgemeine Beliebtheit derselben und
wir haben selbst jene Pariser Bourgeoisie, die der Verfasser als Kern der
Nation feiert, sich mit Frau und Kind zu den Darstellungen der Deal-Monde
drängen sehen. Welchen Einfluß aber solche geistige Nahrung auf die Bil¬
dung der künftigen Gattinnen und Mütter haben muß, läßt sich leicht er¬
messen. Die Kirchlichkeit der französischen Frauen wird freilich in neuester
Zeit sehr gepriesen und sicher bietet dieselbe bewundernswürdige Beispiele reli¬
giöser Hingebung, namentlich bei den barmherzigen Schwestern, aber im Ganzen
müssen wir gestehen, daß uns diese Kirchlichkeit doch den Eindruck großer
Aeußerlichkeit macht. Man findet sich mit der Religion ab, indem man
regelmäßig zur Messe geht. Geld für Klöster und Peterspfennige gibt und
sammelt. Aber von einem wirklich erweckten religiösen Leben, von selbständi¬
gem Denken über kirchliche Fragen findet man wenig Spuren, meist ist das¬
selbe nur in der kleinen protestantischen Minderheit geweckt.

In seiner zweiten Vorlesung behandelt Pre'post-Paradol die politischen
Zustände seines Vaterlandes und der Eindruck seiner Darstellung muß, wie
Ms scheint, ein höchst niederschlagender sein. Man wundert sich nicht über die


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[0478] Frau die Bücher ihres Mannes oder setzt das Geschäft desselben nach seinem Tode selbständig fort. Auch ist dem weiblichen Theile unserer Nachbarn der Sinn für Geschmack und Eleganz angeboren und ihr Verstand, gepaart mit dem Sinn für das Feine und Angenehme, macht die Unterhaltung französi¬ scher Damen so anziehend. Aber der schönen Form, dem Witz und Geist entspricht freilich oft der Inhalt wenig, man strebt mehr nach dem Unter¬ haltenden und Picander. als'nach dem Soliden und Wahren. Schon die Erziehung der französischen Mädchen geht mehr darauf aus, die liebens¬ würdigen Talente zu entwickeln, als den Geist zu reifen und zu vertiefen. Man geht zu sehr darauf aus, die Oberfläche der Dinge mit einem Witzwort zu streifen; man lehrt von Allem zu sprechen, ohne etwas gründlich zu können. Die Französin liest weniger und weniger ernste Bücher als die Engländerin oder Deutsche; man mustre vergleichsweise nur die Leihbibliotheken, sie werden wenig Werke ernsten Inhalts bieten, welche wie bei uns und noch mehr in England allgemeiner Gegenstand der weiblichen Lectüre sind, wie z. B. populär¬ gehaltene wissenschaftliche Darstellungen. Was außerdem das moralische Ge¬ fühl anlangt, so wollen wir gern zugeben, was unser Verfasser über die gute Haltung der Frauen in Vernunftehen sagt, aber der Mangel eigentlicher Liebe macht sie ohne Frage nachsichtiger für Verirrungen und laxer in ihren Begriffen der Treue. Gewiß soll man nicht voreilige Rückschlüsse auf die wirklichen Familienzustände aus den Romanen von Paul de Kock und Georges Sand oder den Dramen von A. Dumas Sohn machen, aber der ungeheure Absatz, den diese Bücher finden, die glänzenden Einnahmen der Theater von solchen Stücken sprechen doch für die allgemeine Beliebtheit derselben und wir haben selbst jene Pariser Bourgeoisie, die der Verfasser als Kern der Nation feiert, sich mit Frau und Kind zu den Darstellungen der Deal-Monde drängen sehen. Welchen Einfluß aber solche geistige Nahrung auf die Bil¬ dung der künftigen Gattinnen und Mütter haben muß, läßt sich leicht er¬ messen. Die Kirchlichkeit der französischen Frauen wird freilich in neuester Zeit sehr gepriesen und sicher bietet dieselbe bewundernswürdige Beispiele reli¬ giöser Hingebung, namentlich bei den barmherzigen Schwestern, aber im Ganzen müssen wir gestehen, daß uns diese Kirchlichkeit doch den Eindruck großer Aeußerlichkeit macht. Man findet sich mit der Religion ab, indem man regelmäßig zur Messe geht. Geld für Klöster und Peterspfennige gibt und sammelt. Aber von einem wirklich erweckten religiösen Leben, von selbständi¬ gem Denken über kirchliche Fragen findet man wenig Spuren, meist ist das¬ selbe nur in der kleinen protestantischen Minderheit geweckt. In seiner zweiten Vorlesung behandelt Pre'post-Paradol die politischen Zustände seines Vaterlandes und der Eindruck seiner Darstellung muß, wie Ms scheint, ein höchst niederschlagender sein. Man wundert sich nicht über die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/478>, abgerufen am 24.08.2024.