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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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abhängigkeit der Richter, noch die auf breitester Basis durchgeführte Aus¬
bildung des Geschworneninstituts der Nation Achtung und Vertrauen zu der
Justiz einzuflößen vermocht. Es geht hier, wie in einem großen Theil der
östreichischen Länder: die Arbeit, welche nur ein liberaler Absolutismus hätte
durchführen können, vermag von dem Parlamentarismus nicht nachgeholt
zu werden, denn dieser hat ein Maß sittlicher und intellectueller Bildung zur
Voraussetzung, die eine Staatsordnung nicht zu schaffen vermag, welche die
Staatsbürger wie Mündige behandelt. In die Unmündigkeit läßt das Volk
sich nicht mehr zurückschrauben und durch steten Mißbrauch der Freiheit läßt
die Mündigkeit sich nicht erwerben. -- Erfahrungen über die Wahrheit dieses
einfachen Satzes haben während des letzten Monats auch die Spanier ge¬
macht. Victor Emanuels Weigerung, seinen Neffen Thomas Albert zur An¬
nahme der spanischen Königskrone zu bewegen, hat dem bescheidenen Faß,
daß die Monarchisten sich zur Wohnung ausersehen, vollends den Boden
ausgeschlagen und die Republikaner treten wieder auf die Bühne, von welcher
Prim's Soldaten sie für einige Zeit verdrängt hatten. Das republikanische
Programm ist ein wesentlich föderatives und hat darum den Vorzug, von
den mittelalterlichen Traditionen unterstützt zu werden, welche sich in einem
Theil des spanischen Volks erhalten haben; in den nördlichen, namentlich den
baskischen Provinzen, sind die alten Fueros niemals vergessen worden. Mag
die Entscheidung vertagt oder beschleunigt werden, im monarchischen oder im
republikanischen Sinne ausfallen, der modernen oder der.mittelalterlichen Staats¬
idee zum Siege verhelfen, -- unvermeidlich ist der Eintritt einer Anarchie,
die sich seit Jahrzehnten in Spanien vorbereitet hat und seit dem Sturz
Jsabella's II. nur noch Frage der Zeit war.

Dieselben Tage, von denen die Nachricht über die vollzogene Neubildung
des italienischen Cabinets erwartet wird, sollen der Welt das seit drei Jahr¬
hunderten entbehrte Bild einer feierlichen Concileröffnung bringen. Je näher
der Zeitpunkt für dieselbe heranrückt, desto lauter und zahlreicher werden die
Stimmen, welche die Curie mahnen, vor den ausschweifenden Planen der
Jesuitenpartei auf der Hut zu sein. Dem Votum der in Fulda versammelt
gewesenen deutschen Bischöfe ist eine Erklärung des Bischofs Dupanloup von
Orleans gefolgt, welche die beabsichtigte Proclamation der Unfehlbarkeit des
Papstes als Gefahr für die gesammte katholische Christenheit darstellt. Auch
innerhalb der Kirche sind die Leute die vorgeschrittensten Verfechter unhalt¬
barer Doctrinen, welche der Wirklichkeit des practischen Lebens am Weitesten
entrückt sind: englische Bischöfe in psrtibus iiiM<z1inen und die ultramon¬
tanen Journalisten von Paris und München gehen für eine Idee, die sich
selbst im Mittelalter nicht verwirklichen ließ, todesmuthig in den Kampf,


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abhängigkeit der Richter, noch die auf breitester Basis durchgeführte Aus¬
bildung des Geschworneninstituts der Nation Achtung und Vertrauen zu der
Justiz einzuflößen vermocht. Es geht hier, wie in einem großen Theil der
östreichischen Länder: die Arbeit, welche nur ein liberaler Absolutismus hätte
durchführen können, vermag von dem Parlamentarismus nicht nachgeholt
zu werden, denn dieser hat ein Maß sittlicher und intellectueller Bildung zur
Voraussetzung, die eine Staatsordnung nicht zu schaffen vermag, welche die
Staatsbürger wie Mündige behandelt. In die Unmündigkeit läßt das Volk
sich nicht mehr zurückschrauben und durch steten Mißbrauch der Freiheit läßt
die Mündigkeit sich nicht erwerben. — Erfahrungen über die Wahrheit dieses
einfachen Satzes haben während des letzten Monats auch die Spanier ge¬
macht. Victor Emanuels Weigerung, seinen Neffen Thomas Albert zur An¬
nahme der spanischen Königskrone zu bewegen, hat dem bescheidenen Faß,
daß die Monarchisten sich zur Wohnung ausersehen, vollends den Boden
ausgeschlagen und die Republikaner treten wieder auf die Bühne, von welcher
Prim's Soldaten sie für einige Zeit verdrängt hatten. Das republikanische
Programm ist ein wesentlich föderatives und hat darum den Vorzug, von
den mittelalterlichen Traditionen unterstützt zu werden, welche sich in einem
Theil des spanischen Volks erhalten haben; in den nördlichen, namentlich den
baskischen Provinzen, sind die alten Fueros niemals vergessen worden. Mag
die Entscheidung vertagt oder beschleunigt werden, im monarchischen oder im
republikanischen Sinne ausfallen, der modernen oder der.mittelalterlichen Staats¬
idee zum Siege verhelfen, — unvermeidlich ist der Eintritt einer Anarchie,
die sich seit Jahrzehnten in Spanien vorbereitet hat und seit dem Sturz
Jsabella's II. nur noch Frage der Zeit war.

Dieselben Tage, von denen die Nachricht über die vollzogene Neubildung
des italienischen Cabinets erwartet wird, sollen der Welt das seit drei Jahr¬
hunderten entbehrte Bild einer feierlichen Concileröffnung bringen. Je näher
der Zeitpunkt für dieselbe heranrückt, desto lauter und zahlreicher werden die
Stimmen, welche die Curie mahnen, vor den ausschweifenden Planen der
Jesuitenpartei auf der Hut zu sein. Dem Votum der in Fulda versammelt
gewesenen deutschen Bischöfe ist eine Erklärung des Bischofs Dupanloup von
Orleans gefolgt, welche die beabsichtigte Proclamation der Unfehlbarkeit des
Papstes als Gefahr für die gesammte katholische Christenheit darstellt. Auch
innerhalb der Kirche sind die Leute die vorgeschrittensten Verfechter unhalt¬
barer Doctrinen, welche der Wirklichkeit des practischen Lebens am Weitesten
entrückt sind: englische Bischöfe in psrtibus iiiM<z1inen und die ultramon¬
tanen Journalisten von Paris und München gehen für eine Idee, die sich
selbst im Mittelalter nicht verwirklichen ließ, todesmuthig in den Kampf,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/443>, abgerufen am 22.07.2024.