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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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während die Kirchenfürsten, welche inmitten des großen Kampfes der Zeit
stehen, zu Vorsicht und Umkehr rathen. Die innerhalb der Curie herr¬
schende Partei scheint absichtlich nur auf die Stimmen hören zu wollen, die
in ihrem Sinne reden, und ein päpstliches Decret hat das bekannte Buch
von Janus sammt verschiedenen anderen Zeugnissen der gemäßigten Richtung
bereits auf den Inäex protribitorum gesetzt. Daß eine große Zahl der ein¬
flußreichsten Bischöfe dem Concil fern geblieben ist, daß keine einzige katholi¬
sche Regierung der alten oder der neuen Welt die große Priesterversammlung
durch einen diplomatischen Vertreter beschickt hat, wird von dem Nachfolger
Petri mit jener Consequenz ignorirt, welche dem Papstthum von je eigen¬
thümlich gewesen ist und den Ultramontanen grade für die starke Seite desselben
gilt. Auch das schwüle, über ganz Italien hängende Gewitter hat auf die
im Vatican herrschende Temperatur keinen Einfluß gehabt und die Rathgeber
des heiligen Stuhls scheinen bis jetzt an dem Plan festzuhalten, die Unfehl¬
barkeit des heil. Vaters und die Erhaltung des vomimum temporale zu dem
Range von Dogmen zu erheben.

Obgleich die siegesgewisser Mienen der römischen Jesuitenpartei nicht
wenig dazu beigetragen haben, den Muth und die Ansprüche ihrer diesseit
der Alpen lebenden Anhänger zu heben, können diese Letzteren sich praktischer
Erfolge im größeren Stil in der Neuzeit nicht rühmen. Selbst in Wien,
wo man sich von drohenden Worten und Geberden sonst leicht imponiren
läßt, ist die arti-concordatliche Politik von der Linie, die sie seit dem
März 1868 angenommen, nicht zurückgewichen. Ebenso wird in München die
Unzufriedenheit der gebildeten Bevölkerungsclassen mehr gefürchtet, als die
Klage der ultramontanen Wahlsieger über den Fortbestand eines Ministe¬
riums, das die Majorität gegen ^sich hat. Es ist dieses Mal die liberale
Partei, welche bereitwillig davon Vortheil zieht, daß das Ideal rein parla¬
mentarischer Regierungen weder nördlich ttoch südlich vom Main verwirklicht
ist. dieselbe Partei, welche lang genug ihre Wünsche als Ausdruck des eigent¬
lichen, nur künstlich zurückgehaltenen Volkswillens angesehen und das Recht
dieses Volkswillens gefordert hatte. Trotz der Veränderung der Wahlbezirke
und der größeren Strenge der Regierung gegen ihre Beamten ist die liberale
Partei in Bayern auch dieses Mal den vereinten Anstrengungen der Cleri-
calen und der blauweißen Patrioten erlegen. Die Staatsraison, welche so
oft nur den Deckmantel dynastischer Liebhabereien abgegeben, hat dieses Mal
im Interesse der Selbsterhaltung gefordert, daß das geschlagene Ministerium
oder mindestens der Führer desselben im Amte blieb, und selbst der junge
König, der bis jetzt nach keiner Seite hin Parteisympathien zeigte, hat das
Gebot dieser Nothwendigkeit nicht überhört.


während die Kirchenfürsten, welche inmitten des großen Kampfes der Zeit
stehen, zu Vorsicht und Umkehr rathen. Die innerhalb der Curie herr¬
schende Partei scheint absichtlich nur auf die Stimmen hören zu wollen, die
in ihrem Sinne reden, und ein päpstliches Decret hat das bekannte Buch
von Janus sammt verschiedenen anderen Zeugnissen der gemäßigten Richtung
bereits auf den Inäex protribitorum gesetzt. Daß eine große Zahl der ein¬
flußreichsten Bischöfe dem Concil fern geblieben ist, daß keine einzige katholi¬
sche Regierung der alten oder der neuen Welt die große Priesterversammlung
durch einen diplomatischen Vertreter beschickt hat, wird von dem Nachfolger
Petri mit jener Consequenz ignorirt, welche dem Papstthum von je eigen¬
thümlich gewesen ist und den Ultramontanen grade für die starke Seite desselben
gilt. Auch das schwüle, über ganz Italien hängende Gewitter hat auf die
im Vatican herrschende Temperatur keinen Einfluß gehabt und die Rathgeber
des heiligen Stuhls scheinen bis jetzt an dem Plan festzuhalten, die Unfehl¬
barkeit des heil. Vaters und die Erhaltung des vomimum temporale zu dem
Range von Dogmen zu erheben.

Obgleich die siegesgewisser Mienen der römischen Jesuitenpartei nicht
wenig dazu beigetragen haben, den Muth und die Ansprüche ihrer diesseit
der Alpen lebenden Anhänger zu heben, können diese Letzteren sich praktischer
Erfolge im größeren Stil in der Neuzeit nicht rühmen. Selbst in Wien,
wo man sich von drohenden Worten und Geberden sonst leicht imponiren
läßt, ist die arti-concordatliche Politik von der Linie, die sie seit dem
März 1868 angenommen, nicht zurückgewichen. Ebenso wird in München die
Unzufriedenheit der gebildeten Bevölkerungsclassen mehr gefürchtet, als die
Klage der ultramontanen Wahlsieger über den Fortbestand eines Ministe¬
riums, das die Majorität gegen ^sich hat. Es ist dieses Mal die liberale
Partei, welche bereitwillig davon Vortheil zieht, daß das Ideal rein parla¬
mentarischer Regierungen weder nördlich ttoch südlich vom Main verwirklicht
ist. dieselbe Partei, welche lang genug ihre Wünsche als Ausdruck des eigent¬
lichen, nur künstlich zurückgehaltenen Volkswillens angesehen und das Recht
dieses Volkswillens gefordert hatte. Trotz der Veränderung der Wahlbezirke
und der größeren Strenge der Regierung gegen ihre Beamten ist die liberale
Partei in Bayern auch dieses Mal den vereinten Anstrengungen der Cleri-
calen und der blauweißen Patrioten erlegen. Die Staatsraison, welche so
oft nur den Deckmantel dynastischer Liebhabereien abgegeben, hat dieses Mal
im Interesse der Selbsterhaltung gefordert, daß das geschlagene Ministerium
oder mindestens der Führer desselben im Amte blieb, und selbst der junge
König, der bis jetzt nach keiner Seite hin Parteisympathien zeigte, hat das
Gebot dieser Nothwendigkeit nicht überhört.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/444>, abgerufen am 24.08.2024.