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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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zu Dank verpflichtet sind; die cisleiryanischen Minister vermögen dagegen
keine wichtigere Entscheidung ohne den Mann zu treffen, der ihnen gegen¬
über wesentlich das Interesse der nichtdeutschen Elemente vertritt, der den
deutschen Einfluß in Galizien geopfert hat, auf den die Czechen ihre Rech¬
nung setzen und welcher die den Deutschöstreichern so außerordentlich ungünstige
Gruppenvertretung in der cisleithanischen Delegation durchgesetzt hat! --
Daß den Polen neue Concessionen auf Unkosten der Einheit der cislei¬
thanischen Reichshälfte gemacht werden sollen, gilt für sicher. Wenn man
weiß, daß dieser neue Gehorsam gegen die disparaten Elemente im Reichs¬
rath blos dazu führen kann, die Begehrlichkeit und den Einfluß des Födera¬
listen Smolka und seiner Anhänger zu stärken, so erscheint es ziemlich gleich-
giltig, ob der Reichsrath für den kurzen Rest der ihm gegönnten Tage aus
direct oder indirect gewählten Volksvertretern besteht. Der beschrittene Weg
muß mit Nothwendigkeit zur Entlassung oder zum Austritt der Polen aus
dem Reichsrath führen, die Slaven werden ihnen folgen, den Tirolern ist an
dem Wiener Constitutionswerk niemals etwas gelegen gewesen, und ist es erst
soweit gekommen, so wird man mit den Czechen auf die von diesen beliebten
Bedingungen Frieden schließen müssen. Alles was von neuen liberalen Re¬
formen, Einführung directer Wahlen, Verdoppelung der Zahl der Depu¬
taten u. f. w, geredet wird, hat nur die Bedeutung einer den "siechen
Tagen" bewilligten Frist.

Wie in Oestreich sind auch in Italien die Symptome der Zersetzung wäh¬
rend der letzten Wochen im Zunehmen begriffen gewesen, wenn auch Symptome
einer Zersetzung anderer Art. Weder die schwere Krankheit des Königs noch die
Geburt eines Thronerben haben der zerrissenen Nation den Ausdruck wirklicher
Theilnahme und Anhänglichkeit an die Dynastie zu entreißen gewußt, welche
ihre Einheit repräsentirt. Das Ministerium Menabrea, das während seiner
nunmehr zweijährigen Regierung keinen einzigen durchschlagenden Erfolg er¬
rungen hat, ist wiederum zu einer Umgestaltung genöthigt worden; Lanza,
der es unternommen, aus den Trümmern der alten eine neue Regierung zu
bilden, hat alle Mühe, Männer ausfindig zu machen, die sich die Fähigkeit
zuschreiben. das kecke Staatsschiff über Wasser zu halten. - Der Lobbiasche
Scandalproceß hat mit der Verurtheilung jenes Abgeordneten geendigt, der
sich sür den Märtyrer seiner Ueberzeugung auszugeben versucht hatte. Bei der
leidenschaftlichen Erregung der Gemüther hat nicht ausbleiben können, daß
diese Verurtheilung vielfach für eine Connivenz der Richter an die Regie¬
rungswünsche ausgegeben worden ist. Wie das constitutionelle System nicht
im Stande gewesen, die ihm bei der Wiedergeburt des italienischen Staats
zugedachte Rolle durchzuführen, so haben weder die verfassungsmäßige Un-


zu Dank verpflichtet sind; die cisleiryanischen Minister vermögen dagegen
keine wichtigere Entscheidung ohne den Mann zu treffen, der ihnen gegen¬
über wesentlich das Interesse der nichtdeutschen Elemente vertritt, der den
deutschen Einfluß in Galizien geopfert hat, auf den die Czechen ihre Rech¬
nung setzen und welcher die den Deutschöstreichern so außerordentlich ungünstige
Gruppenvertretung in der cisleithanischen Delegation durchgesetzt hat! —
Daß den Polen neue Concessionen auf Unkosten der Einheit der cislei¬
thanischen Reichshälfte gemacht werden sollen, gilt für sicher. Wenn man
weiß, daß dieser neue Gehorsam gegen die disparaten Elemente im Reichs¬
rath blos dazu führen kann, die Begehrlichkeit und den Einfluß des Födera¬
listen Smolka und seiner Anhänger zu stärken, so erscheint es ziemlich gleich-
giltig, ob der Reichsrath für den kurzen Rest der ihm gegönnten Tage aus
direct oder indirect gewählten Volksvertretern besteht. Der beschrittene Weg
muß mit Nothwendigkeit zur Entlassung oder zum Austritt der Polen aus
dem Reichsrath führen, die Slaven werden ihnen folgen, den Tirolern ist an
dem Wiener Constitutionswerk niemals etwas gelegen gewesen, und ist es erst
soweit gekommen, so wird man mit den Czechen auf die von diesen beliebten
Bedingungen Frieden schließen müssen. Alles was von neuen liberalen Re¬
formen, Einführung directer Wahlen, Verdoppelung der Zahl der Depu¬
taten u. f. w, geredet wird, hat nur die Bedeutung einer den „siechen
Tagen" bewilligten Frist.

Wie in Oestreich sind auch in Italien die Symptome der Zersetzung wäh¬
rend der letzten Wochen im Zunehmen begriffen gewesen, wenn auch Symptome
einer Zersetzung anderer Art. Weder die schwere Krankheit des Königs noch die
Geburt eines Thronerben haben der zerrissenen Nation den Ausdruck wirklicher
Theilnahme und Anhänglichkeit an die Dynastie zu entreißen gewußt, welche
ihre Einheit repräsentirt. Das Ministerium Menabrea, das während seiner
nunmehr zweijährigen Regierung keinen einzigen durchschlagenden Erfolg er¬
rungen hat, ist wiederum zu einer Umgestaltung genöthigt worden; Lanza,
der es unternommen, aus den Trümmern der alten eine neue Regierung zu
bilden, hat alle Mühe, Männer ausfindig zu machen, die sich die Fähigkeit
zuschreiben. das kecke Staatsschiff über Wasser zu halten. - Der Lobbiasche
Scandalproceß hat mit der Verurtheilung jenes Abgeordneten geendigt, der
sich sür den Märtyrer seiner Ueberzeugung auszugeben versucht hatte. Bei der
leidenschaftlichen Erregung der Gemüther hat nicht ausbleiben können, daß
diese Verurtheilung vielfach für eine Connivenz der Richter an die Regie¬
rungswünsche ausgegeben worden ist. Wie das constitutionelle System nicht
im Stande gewesen, die ihm bei der Wiedergeburt des italienischen Staats
zugedachte Rolle durchzuführen, so haben weder die verfassungsmäßige Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/442>, abgerufen am 22.07.2024.