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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Von entschiedenerem Kunstwerthe, als dieser Natur- und Liebeshymnus,
sind die Epigramme, von denen Herder eine beträchtliche Anzahl im Musen-



chau, wie umher der ganze Himmel trunken
ich spiegelt in des Meeres Angesicht.
" Amphitritcns heil'gen Schooß gesunken.
Wie wallt, wie zittert dort der Sonne Licht!

[Ende Spaltensatz]

Jeder Kenner der poetischen Technik wird hier ohne Weiteres die erste Form von der
später verbesserten zu unterscheiden wissen. Anzumerken ist noch, daß die beiden in den Werken
fehlenden Strophen zu den schönsten des Gedichts gehören; Herder wird sie wohl nicht aueh-
^'llig zum Schaden des Ganzen hinausgeworfen haben. -- Möge dies eine Beispiel ahnen
^hö°n, wie viel für die Kritik der Herder'schen Werke zu thun ist. Die Gesammtausgabe dieser
Werke ist, wie sie jetzt vorliegt, für die wissenschaftlichen Zwecke des Literarhistorikers völlig
Unbrauchbar. Vergebens suchen wir in ihr das vollkommene geschichtliche Bild Herder's mit


Merke zur Literatur und Kunst 4, 17). Dort steht es, wie mit verändertem Titel (Am
Meer, bei Neapel, 178S), so auch in vielfach veränderter Form; und überdies ist es um
zwei Strophen verkürzt. Die natürliche Voraussetzung wäre nun, daß, nachdem es im Musen-
Almanach erschienen war, Herder selbst es für die Sammlung seiner Gedichte noch einmal
überarbeitet habe. Doch diese Voraussetzung muß uns schon als unhaltbar erscheinen, sobald
wir nur erwägen, daß Herder selbst nie eine umfassendere Sammlung seiner Gedichte veran¬
staltet hat. Und sollte er sich während seiner letzten so vielbeschäftigten Jahre, ohne äußeren
Anlaß, zur Ausfeilung und Umarbeitung eines schon gedruckten Gedichtes bequemt haben?
Wohl schwerlich! -- Völlig zu Schanden aber wird jene Voraussetzung, sobald wir die beiden
Formen des Gedichtes vergleichen. Nicht bloß sind im Musen-Almanach die einzelnen Lesarten
die bei weitem vorzüglicheren; das ganze Gedicht erscheint hier reicher, voller ausgearbeitet und
innerlich abgerundeter; der Grundgedanke ist hier nachdrücklicher betont und alles Einzelne ent¬
schiedener auf ihn bezogen. Es stellt sich bei der Vergleichung als unzweifelhaft heraus, daß
wir im Musen-Almanach die völlig ausgebildete Gestalt des Gedichts, in den Werken den
früheren Entwurf vor uns haben. Als man das Gedicht in die Werke aufnahm, gab man
es in der Form, in welcher es sich unter Herder's älteren Papieren fand, ohne auf die schon
längst im Druck vorhandene spätere Umarbeitung dieser älteren Form Acht zu haben. Man
gab das Unvollkommene, und das Vollkommene ward zurückgedrängt. -- Diese Behauptung
klingt unglaublich, ich gebe es zu; aber ich wage sie dennoch auf die Gefahr hin, daß sie
einst aus Herder's Papieren widerlegt werde. Und wieviel Unglaubliches haben nicht unsere
Classiker, hat nicht vor allen Herder in den sogenannten Gesammtausgaben der Werte erdul¬
den müssen! -- Um jene Behauptung endgiltig zu erhärten, müßte, was hier nicht des Ortes
'se, eine ausführliche Vergleichung beider Formen des Gedichtes vorgenommen werden. Aber
auch schon durch Zusammenstellung einzelner Llsartcn könnte man das Sachverhältniß klar
wachen. Man überblicke folgende Beispiele:

Die Pinie rauschte mich in goldne Träume.

Nur Liebe war die Schöpferin der Wesen,
nd ward der Liebgebornen Lehrerin.
Willst du den Sinn des großen Buches lesen,
as vor dir liegt; sie ist die Seele drin.
nd will dein Geist, und soll dein Herz ge-
nehm.

o folge treu der hohen Führerin. --

[Beginn Spaltensatz] Herder's Werke (Gedichte 2, 17)
2, 7. Die schlanke, schöne Königin der Bäume,
Die Pinie hob mich in goldne Träume.
ö, 1. Die Liebe nur ist Schöpferin der Wesen,
Ihr Herz und Geist, ist ihre Lehrerin,
Und Lehre. Wille du rings im Buche lesen.
Das um dich liegt, lies diesen Inhalt drin;
Und will dein Geist, und will dein Herz
genesen,
U
D
U
So folge rein der hohen Führerin. -- S
8.1. Und sieh, wie dort der ganze Himmel
trunken
Sich spiegelt in des Meeres Angesicht;
In Amphitritens Silberschoos versunken,
Wallt dort und zittert noch der Sonne Licht. S
S
z[Spaltenumbruch] Musen-Almanach:

Von entschiedenerem Kunstwerthe, als dieser Natur- und Liebeshymnus,
sind die Epigramme, von denen Herder eine beträchtliche Anzahl im Musen-



chau, wie umher der ganze Himmel trunken
ich spiegelt in des Meeres Angesicht.
„ Amphitritcns heil'gen Schooß gesunken.
Wie wallt, wie zittert dort der Sonne Licht!

[Ende Spaltensatz]

Jeder Kenner der poetischen Technik wird hier ohne Weiteres die erste Form von der
später verbesserten zu unterscheiden wissen. Anzumerken ist noch, daß die beiden in den Werken
fehlenden Strophen zu den schönsten des Gedichts gehören; Herder wird sie wohl nicht aueh-
^'llig zum Schaden des Ganzen hinausgeworfen haben. — Möge dies eine Beispiel ahnen
^hö°n, wie viel für die Kritik der Herder'schen Werke zu thun ist. Die Gesammtausgabe dieser
Werke ist, wie sie jetzt vorliegt, für die wissenschaftlichen Zwecke des Literarhistorikers völlig
Unbrauchbar. Vergebens suchen wir in ihr das vollkommene geschichtliche Bild Herder's mit


Merke zur Literatur und Kunst 4, 17). Dort steht es, wie mit verändertem Titel (Am
Meer, bei Neapel, 178S), so auch in vielfach veränderter Form; und überdies ist es um
zwei Strophen verkürzt. Die natürliche Voraussetzung wäre nun, daß, nachdem es im Musen-
Almanach erschienen war, Herder selbst es für die Sammlung seiner Gedichte noch einmal
überarbeitet habe. Doch diese Voraussetzung muß uns schon als unhaltbar erscheinen, sobald
wir nur erwägen, daß Herder selbst nie eine umfassendere Sammlung seiner Gedichte veran¬
staltet hat. Und sollte er sich während seiner letzten so vielbeschäftigten Jahre, ohne äußeren
Anlaß, zur Ausfeilung und Umarbeitung eines schon gedruckten Gedichtes bequemt haben?
Wohl schwerlich! — Völlig zu Schanden aber wird jene Voraussetzung, sobald wir die beiden
Formen des Gedichtes vergleichen. Nicht bloß sind im Musen-Almanach die einzelnen Lesarten
die bei weitem vorzüglicheren; das ganze Gedicht erscheint hier reicher, voller ausgearbeitet und
innerlich abgerundeter; der Grundgedanke ist hier nachdrücklicher betont und alles Einzelne ent¬
schiedener auf ihn bezogen. Es stellt sich bei der Vergleichung als unzweifelhaft heraus, daß
wir im Musen-Almanach die völlig ausgebildete Gestalt des Gedichts, in den Werken den
früheren Entwurf vor uns haben. Als man das Gedicht in die Werke aufnahm, gab man
es in der Form, in welcher es sich unter Herder's älteren Papieren fand, ohne auf die schon
längst im Druck vorhandene spätere Umarbeitung dieser älteren Form Acht zu haben. Man
gab das Unvollkommene, und das Vollkommene ward zurückgedrängt. — Diese Behauptung
klingt unglaublich, ich gebe es zu; aber ich wage sie dennoch auf die Gefahr hin, daß sie
einst aus Herder's Papieren widerlegt werde. Und wieviel Unglaubliches haben nicht unsere
Classiker, hat nicht vor allen Herder in den sogenannten Gesammtausgaben der Werte erdul¬
den müssen! — Um jene Behauptung endgiltig zu erhärten, müßte, was hier nicht des Ortes
'se, eine ausführliche Vergleichung beider Formen des Gedichtes vorgenommen werden. Aber
auch schon durch Zusammenstellung einzelner Llsartcn könnte man das Sachverhältniß klar
wachen. Man überblicke folgende Beispiele:

Die Pinie rauschte mich in goldne Träume.

Nur Liebe war die Schöpferin der Wesen,
nd ward der Liebgebornen Lehrerin.
Willst du den Sinn des großen Buches lesen,
as vor dir liegt; sie ist die Seele drin.
nd will dein Geist, und soll dein Herz ge-
nehm.

o folge treu der hohen Führerin. —

[Beginn Spaltensatz] Herder's Werke (Gedichte 2, 17)
2, 7. Die schlanke, schöne Königin der Bäume,
Die Pinie hob mich in goldne Träume.
ö, 1. Die Liebe nur ist Schöpferin der Wesen,
Ihr Herz und Geist, ist ihre Lehrerin,
Und Lehre. Wille du rings im Buche lesen.
Das um dich liegt, lies diesen Inhalt drin;
Und will dein Geist, und will dein Herz
genesen,
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D
U
So folge rein der hohen Führerin. — S
8.1. Und sieh, wie dort der ganze Himmel
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[0423] Von entschiedenerem Kunstwerthe, als dieser Natur- und Liebeshymnus, sind die Epigramme, von denen Herder eine beträchtliche Anzahl im Musen- chau, wie umher der ganze Himmel trunken ich spiegelt in des Meeres Angesicht. „ Amphitritcns heil'gen Schooß gesunken. Wie wallt, wie zittert dort der Sonne Licht! Jeder Kenner der poetischen Technik wird hier ohne Weiteres die erste Form von der später verbesserten zu unterscheiden wissen. Anzumerken ist noch, daß die beiden in den Werken fehlenden Strophen zu den schönsten des Gedichts gehören; Herder wird sie wohl nicht aueh- ^'llig zum Schaden des Ganzen hinausgeworfen haben. — Möge dies eine Beispiel ahnen ^hö°n, wie viel für die Kritik der Herder'schen Werke zu thun ist. Die Gesammtausgabe dieser Werke ist, wie sie jetzt vorliegt, für die wissenschaftlichen Zwecke des Literarhistorikers völlig Unbrauchbar. Vergebens suchen wir in ihr das vollkommene geschichtliche Bild Herder's mit Merke zur Literatur und Kunst 4, 17). Dort steht es, wie mit verändertem Titel (Am Meer, bei Neapel, 178S), so auch in vielfach veränderter Form; und überdies ist es um zwei Strophen verkürzt. Die natürliche Voraussetzung wäre nun, daß, nachdem es im Musen- Almanach erschienen war, Herder selbst es für die Sammlung seiner Gedichte noch einmal überarbeitet habe. Doch diese Voraussetzung muß uns schon als unhaltbar erscheinen, sobald wir nur erwägen, daß Herder selbst nie eine umfassendere Sammlung seiner Gedichte veran¬ staltet hat. Und sollte er sich während seiner letzten so vielbeschäftigten Jahre, ohne äußeren Anlaß, zur Ausfeilung und Umarbeitung eines schon gedruckten Gedichtes bequemt haben? Wohl schwerlich! — Völlig zu Schanden aber wird jene Voraussetzung, sobald wir die beiden Formen des Gedichtes vergleichen. Nicht bloß sind im Musen-Almanach die einzelnen Lesarten die bei weitem vorzüglicheren; das ganze Gedicht erscheint hier reicher, voller ausgearbeitet und innerlich abgerundeter; der Grundgedanke ist hier nachdrücklicher betont und alles Einzelne ent¬ schiedener auf ihn bezogen. Es stellt sich bei der Vergleichung als unzweifelhaft heraus, daß wir im Musen-Almanach die völlig ausgebildete Gestalt des Gedichts, in den Werken den früheren Entwurf vor uns haben. Als man das Gedicht in die Werke aufnahm, gab man es in der Form, in welcher es sich unter Herder's älteren Papieren fand, ohne auf die schon längst im Druck vorhandene spätere Umarbeitung dieser älteren Form Acht zu haben. Man gab das Unvollkommene, und das Vollkommene ward zurückgedrängt. — Diese Behauptung klingt unglaublich, ich gebe es zu; aber ich wage sie dennoch auf die Gefahr hin, daß sie einst aus Herder's Papieren widerlegt werde. Und wieviel Unglaubliches haben nicht unsere Classiker, hat nicht vor allen Herder in den sogenannten Gesammtausgaben der Werte erdul¬ den müssen! — Um jene Behauptung endgiltig zu erhärten, müßte, was hier nicht des Ortes 'se, eine ausführliche Vergleichung beider Formen des Gedichtes vorgenommen werden. Aber auch schon durch Zusammenstellung einzelner Llsartcn könnte man das Sachverhältniß klar wachen. Man überblicke folgende Beispiele: Die Pinie rauschte mich in goldne Träume. Nur Liebe war die Schöpferin der Wesen, nd ward der Liebgebornen Lehrerin. Willst du den Sinn des großen Buches lesen, as vor dir liegt; sie ist die Seele drin. nd will dein Geist, und soll dein Herz ge- nehm. o folge treu der hohen Führerin. — Herder's Werke (Gedichte 2, 17) 2, 7. Die schlanke, schöne Königin der Bäume, Die Pinie hob mich in goldne Träume. ö, 1. Die Liebe nur ist Schöpferin der Wesen, Ihr Herz und Geist, ist ihre Lehrerin, Und Lehre. Wille du rings im Buche lesen. Das um dich liegt, lies diesen Inhalt drin; Und will dein Geist, und will dein Herz genesen, U D U So folge rein der hohen Führerin. — S 8.1. Und sieh, wie dort der ganze Himmel trunken Sich spiegelt in des Meeres Angesicht; In Amphitritens Silberschoos versunken, Wallt dort und zittert noch der Sonne Licht. S S z Musen-Almanach:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/423>, abgerufen am 28.09.2024.