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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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gelten sollen, ihnen gebührt wahrlich weder der Vorwurf, noch der Ruhm,
den "Neuen" anzugehören. Sie gehen gemächlich einher in den längst aus¬
getretenen Geleisen; sie wagen keinerlei selbstwillige Ausschreitung, unter¬
nehmen keine auffälligen Geistessprünge; für sie gelten noch die von den alten
ästhetischen Behörden längst approbirten Grundsätze: sie müssen sich demnach
in der Nähe Friedrich Schlegel's gar unbehaglich fühlen, und dürfen mit
vollem Recht seine Genossenschaft von sich abwehren.

Aeußere und innere Gründe leiten also mit gleicher Entschiedenheit zu
der Annahme, daß Friedrich Schlegel auch die zweite und dritte Kritikprobe
geliefert hat, welche der Dichter in den beiden mittleren Xenien ausstellt.
Und warum sollten diese - zweite und dritte nicht aus demselben Vorrathe
entnommen sein, aus welchem die erste, aus welchem auch die vierte und
fünfte (305 u. 306) gewählt worden? Man beschaue sich die zweite Probe
noch einmal:


Lieblich und zart sind deine Gefühle, gebildet dein Ausdruck,
Eins nur labt' ich, du bist frostig von Herzen und matt, --

und höre nun, wie Friedrich Schlegel in der oft genannten Recension sich
kritisch ausläßt:


S. 331. "Eben so vollkommen (wie einzelne Epigramme Schiller's) in
einer durchaus verschiednen Art, ist "das innere Olympia", ein didak¬
tisches Epigramm, von allen Gedichten der Ungenannten vielleicht das
vollkommenste. Fehlte es diesen Dichtern nicht fast immer an sinn¬
licher Stärke, oft an Lebenswärme, selbst bei glänzender
Farbengebung wie in Parthenope, so könnten sie auf den ersten
Rang Ansprüche machen: denn diese Zartheit des Gefühls, Bieg¬
samkeit des Ausdrucks und Bildung des Geistes, sind des größten
Meisters werth." -- ,

In der That ein ächt Schlegel'scher Wahrspruch! Ein Prunkstück neuester
Kritik! Diese Gedichte wären des größten Meisters würdig -- aber leider!
es fehlt ihnen nur eben die Hauptsache, wodurch ein Gedicht zum Gedicht
wird; es fehlt ihnen an "sinnlicher Stärke und Lebenswärme" (frostig von
Herzen und matt). Wer zweifelt, daß wir in diesen Worten die Quelle
des bisher ungedeutcten Epigramms gefunden haben? -- Die ungenannten
Poeten aber, die Schiller durch dies Distichon an dem neuen Kritiker rächt,
wer sind sie?

Der Musen-Almanach für 1796 bietet uns eine beträchtliche Zahl eigen¬
thümlich anziehender Gedichte, deren Verfasser nicht genannt, sondern, wie es
in derartigen Sammlungen so häufig geschah, durch Chiffern bezeichnet sind.
Durch ihren übereinstimmenden Charakter weisen uns aber die Gedichte selbst


gelten sollen, ihnen gebührt wahrlich weder der Vorwurf, noch der Ruhm,
den „Neuen" anzugehören. Sie gehen gemächlich einher in den längst aus¬
getretenen Geleisen; sie wagen keinerlei selbstwillige Ausschreitung, unter¬
nehmen keine auffälligen Geistessprünge; für sie gelten noch die von den alten
ästhetischen Behörden längst approbirten Grundsätze: sie müssen sich demnach
in der Nähe Friedrich Schlegel's gar unbehaglich fühlen, und dürfen mit
vollem Recht seine Genossenschaft von sich abwehren.

Aeußere und innere Gründe leiten also mit gleicher Entschiedenheit zu
der Annahme, daß Friedrich Schlegel auch die zweite und dritte Kritikprobe
geliefert hat, welche der Dichter in den beiden mittleren Xenien ausstellt.
Und warum sollten diese - zweite und dritte nicht aus demselben Vorrathe
entnommen sein, aus welchem die erste, aus welchem auch die vierte und
fünfte (305 u. 306) gewählt worden? Man beschaue sich die zweite Probe
noch einmal:


Lieblich und zart sind deine Gefühle, gebildet dein Ausdruck,
Eins nur labt' ich, du bist frostig von Herzen und matt, —

und höre nun, wie Friedrich Schlegel in der oft genannten Recension sich
kritisch ausläßt:


S. 331. „Eben so vollkommen (wie einzelne Epigramme Schiller's) in
einer durchaus verschiednen Art, ist „das innere Olympia", ein didak¬
tisches Epigramm, von allen Gedichten der Ungenannten vielleicht das
vollkommenste. Fehlte es diesen Dichtern nicht fast immer an sinn¬
licher Stärke, oft an Lebenswärme, selbst bei glänzender
Farbengebung wie in Parthenope, so könnten sie auf den ersten
Rang Ansprüche machen: denn diese Zartheit des Gefühls, Bieg¬
samkeit des Ausdrucks und Bildung des Geistes, sind des größten
Meisters werth." — ,

In der That ein ächt Schlegel'scher Wahrspruch! Ein Prunkstück neuester
Kritik! Diese Gedichte wären des größten Meisters würdig — aber leider!
es fehlt ihnen nur eben die Hauptsache, wodurch ein Gedicht zum Gedicht
wird; es fehlt ihnen an „sinnlicher Stärke und Lebenswärme" (frostig von
Herzen und matt). Wer zweifelt, daß wir in diesen Worten die Quelle
des bisher ungedeutcten Epigramms gefunden haben? — Die ungenannten
Poeten aber, die Schiller durch dies Distichon an dem neuen Kritiker rächt,
wer sind sie?

Der Musen-Almanach für 1796 bietet uns eine beträchtliche Zahl eigen¬
thümlich anziehender Gedichte, deren Verfasser nicht genannt, sondern, wie es
in derartigen Sammlungen so häufig geschah, durch Chiffern bezeichnet sind.
Durch ihren übereinstimmenden Charakter weisen uns aber die Gedichte selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/420>, abgerufen am 24.08.2024.