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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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eben so wenig gibt er zu verstehen, daß er die märkischen Grazien in einem
idealischeren Schmucke zu erblicken wünsche, oder daß er ihre allzunahen Be¬
rührungen mit den Plattheiten des alltäglichen Daseins zwar bedauere, aber,
um des höheren und würdigeren Zweckes der Natürlichkeit willen, gern ent¬
schuldige. Nichts von alledem! Jeder der beiden Dichter wird in der ihm
eigenen Sphäre als musterhaft anerkannt. -- Und wo bleibt nun der Inhalt
des Schiller'schen Epigramms? Will man dies mit jener vergleichenden Kritik
in eine gewaltsame Verbindung bringen, so wird ihm in der That jeglicher
Inhalt entzogen.

Aus inneren Gründen ergibt sich also, daß die bisher angenommene
Deutung der beiden Xenien (Ur. 303 und 304) verwerflich ist. Und zu
diesen inneren Gründen gesellt sich entscheidend ein äußerer, sobald wir auf
das folgende Distichon blicken:


(305) Schillers Würde der Frauen.

Vorn herein liest sich das Lied nicht zum besten, ich les' es von hinten,
Strophe für Strophe, und so nimmt es ganz artig sich aus.


Hier wird, wie Boas dargethan hat, abermals Friedrich Schlegel ge¬
troffen; auch das unmittelbar sich anschließende Xenion gilt ihm; und
er hatte diese epigrammatischen Gaben reichlich verdient durch seine ober¬
flächlichen, vorwitzig spöttelnden Aeußerungen über Schiller's "Würde der
Frauen" und "Pegasus in der Dienstbarkeit."*) Diese Aeußerungen sind in
derselben Recension enthalten, die auch schon zum Xenion Ur. 302 den Anlaß
gegeben. -- Und nun überblicken wir die fünf Xenien (von Ur. 302--306),
und müssen fragen: Wie? Zuerst wendet sich der Dichter gegen Friedrich
Schlegel, dann nimmt er einen schuldlosen Bibliothekar der schönen Wissen¬
schaften aufs Korn, kehrt sich dann gegen einen ebenso unschuldigen Recensenten,
der Goethe und Schmidt gleichmäßig bewundert, und lenkt hierauf wieder
zurück zu Friedrich Schlegel, dem noch mehrere Gaben zugedacht sind! Wie
kommt es, daß die satirische Muse des Dichters hier so sprungweise hin und
her fährt und das völlig Ungleichartige äußerlich an einander reiht? -- Die
Xeniendichter lieben es, eine Reihenfolge von Epigrammen zusammen zu
ordnen, und sie unter die übrigen einzelnen Distichen als ein künstlerisch ge¬
schlossenes Ganzes hinzustellen. Aber nur was einen innerlichen Bezug zu
einander hat, wird auf diese Art auch äußerlich verbunden. Und in wie auf¬
fälliger Weise wird nun hier dieser" innere Zusammenhang unterbrochen?
Denn, will der Dichter hier nicht offenbar etwas von dem "Neuesten" spottend
vorzeigen? Jene Recensenten aber, denen die beiden mittleren Genien (303 u.304)



') So hieß das Gedicht im Musen-Almanach für 1796 S. 62.
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eben so wenig gibt er zu verstehen, daß er die märkischen Grazien in einem
idealischeren Schmucke zu erblicken wünsche, oder daß er ihre allzunahen Be¬
rührungen mit den Plattheiten des alltäglichen Daseins zwar bedauere, aber,
um des höheren und würdigeren Zweckes der Natürlichkeit willen, gern ent¬
schuldige. Nichts von alledem! Jeder der beiden Dichter wird in der ihm
eigenen Sphäre als musterhaft anerkannt. — Und wo bleibt nun der Inhalt
des Schiller'schen Epigramms? Will man dies mit jener vergleichenden Kritik
in eine gewaltsame Verbindung bringen, so wird ihm in der That jeglicher
Inhalt entzogen.

Aus inneren Gründen ergibt sich also, daß die bisher angenommene
Deutung der beiden Xenien (Ur. 303 und 304) verwerflich ist. Und zu
diesen inneren Gründen gesellt sich entscheidend ein äußerer, sobald wir auf
das folgende Distichon blicken:


(305) Schillers Würde der Frauen.

Vorn herein liest sich das Lied nicht zum besten, ich les' es von hinten,
Strophe für Strophe, und so nimmt es ganz artig sich aus.


Hier wird, wie Boas dargethan hat, abermals Friedrich Schlegel ge¬
troffen; auch das unmittelbar sich anschließende Xenion gilt ihm; und
er hatte diese epigrammatischen Gaben reichlich verdient durch seine ober¬
flächlichen, vorwitzig spöttelnden Aeußerungen über Schiller's „Würde der
Frauen" und „Pegasus in der Dienstbarkeit."*) Diese Aeußerungen sind in
derselben Recension enthalten, die auch schon zum Xenion Ur. 302 den Anlaß
gegeben. — Und nun überblicken wir die fünf Xenien (von Ur. 302—306),
und müssen fragen: Wie? Zuerst wendet sich der Dichter gegen Friedrich
Schlegel, dann nimmt er einen schuldlosen Bibliothekar der schönen Wissen¬
schaften aufs Korn, kehrt sich dann gegen einen ebenso unschuldigen Recensenten,
der Goethe und Schmidt gleichmäßig bewundert, und lenkt hierauf wieder
zurück zu Friedrich Schlegel, dem noch mehrere Gaben zugedacht sind! Wie
kommt es, daß die satirische Muse des Dichters hier so sprungweise hin und
her fährt und das völlig Ungleichartige äußerlich an einander reiht? — Die
Xeniendichter lieben es, eine Reihenfolge von Epigrammen zusammen zu
ordnen, und sie unter die übrigen einzelnen Distichen als ein künstlerisch ge¬
schlossenes Ganzes hinzustellen. Aber nur was einen innerlichen Bezug zu
einander hat, wird auf diese Art auch äußerlich verbunden. Und in wie auf¬
fälliger Weise wird nun hier dieser" innere Zusammenhang unterbrochen?
Denn, will der Dichter hier nicht offenbar etwas von dem „Neuesten" spottend
vorzeigen? Jene Recensenten aber, denen die beiden mittleren Genien (303 u.304)



') So hieß das Gedicht im Musen-Almanach für 1796 S. 62.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/419>, abgerufen am 22.07.2024.