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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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auch Kant vor aller Welt? Und vergleicht man die Verfahrungsart dieser
beiden, so läßt sich schwer ausmachen, wer von ihnen den Gegner tiefer ver¬
wundet, härter verletzt habe. Aus den grellen Tönen der Schlegel'schen Rede
klingt der Hohn am stärksten vor; in Kant's Worten herrscht eine unverhüllte,
ungemischte und ungemilderte Verachtung.

Aber in dem, was Kant sagte, vernahm Schiller "Wahrheiten"; was
Schlegel vorbrachte, waren ihm "Impertinenzen". Und in der That, Schle¬
gel zeigt hier schon die unerquicklichen Eigenheiten seines Stils, die er dann
später in seinen kritischen Arbeiten geflissentlich ausbildete, von denen aber in
seinen literarhistorischen Schriften nur hie und da wahrnehmbare Spuren sich
finden. Er zeigt hier schon jene Manier, von der Schiller sich so angewidert
fühlte, die "naseweise, entscheidende, schneidende und einseitige Manier"*).
Freilich erscheint auch, mit jenen Eigenheiten innig verbunden, ein vielseitig
beweglicher, oft scharf in den Mittelpunkt treffender Witz; aber daß man sich
seiner unbefangen erfreue, daran hindert eben diese ärgerliche Manier, die auch
unverkennbar darauf berechnet ist, Aergerniß zu geben. Nicht sowohl der In¬
halt, als die Art des Vortrages verletzt; sie wird selbst demjenigen anstößig,
der sich den vorgetragenen Meinungen zuneigen möchte. --

Als Schiller am 16. Mai 1797 jene mißmuthige Aeußerung that**),
hatte sich schon längst der persönliche Widerwille gegen Schlegel in ihm fest¬
gesetzt; er war wohl schon entschlossen, den persönlichen Verkehr mit den Brü¬
dern aufzuheben, die man sich damals noch als ein in jedem Sinne eng ver¬
bundenes Paar dachte. Ein inneres Verhältniß mit ihnen hatte nie bestan¬
den; aber auch das äußere sollte nicht mehr fortbestehen. Jene an Goethe
gerichteten Worte sind nur die Vorläufer des Scheidebriefes, den zwei Wochen
hernach Wilhelm zu seiner großen Bestürzung unerwartet empfing.

Schiller wies die Brüder aus seiner Nähe und zeigte dabei jene ener¬
gische F-stigkeit, die ihm, wo es einen durchgreifenden Entschluß galt, nie
fehlte. Wilhelm mußte die Strafe, die nur dem Bruder gebührte, unver¬
schuldet mittragen. Denn nur durch Friedrich's Verhalten konnte Schiller
die anscheinend so harte Maßregel begründen.

Aber nothwendig war diese Maßregel schon seit langem geworden. Denn
schon beim Beginn seines Jenaischen Aufenthaltes war Friedrich gegenüber
dem Dichter, den er damals noch verehren wollte, in eine bedenkliche Stel-




an Goethe 23. Juli 1798.
"
),Er wirft dem jüngeren Schlegel nicht nur böse Absicht und parteiische Gesinnung vor;
er beschuldig! ihn auch der. Unverschämtheit, und spottet über die Unwissenheit und Oberfläch¬
lichkeit, mit welcher dieser Kritiker, der sich soviel dünkte, den Roman der Caroline von Wol¬
zogen. Agnes von Lilie", für "in Werk Goethe's habe halten können. Den Grundton dieser
nbericharfen Aeußerungen geben die Worte: "Es wird doch zu arg mit diesem Herrn Friedrich
Schlegel." --

auch Kant vor aller Welt? Und vergleicht man die Verfahrungsart dieser
beiden, so läßt sich schwer ausmachen, wer von ihnen den Gegner tiefer ver¬
wundet, härter verletzt habe. Aus den grellen Tönen der Schlegel'schen Rede
klingt der Hohn am stärksten vor; in Kant's Worten herrscht eine unverhüllte,
ungemischte und ungemilderte Verachtung.

Aber in dem, was Kant sagte, vernahm Schiller „Wahrheiten"; was
Schlegel vorbrachte, waren ihm „Impertinenzen". Und in der That, Schle¬
gel zeigt hier schon die unerquicklichen Eigenheiten seines Stils, die er dann
später in seinen kritischen Arbeiten geflissentlich ausbildete, von denen aber in
seinen literarhistorischen Schriften nur hie und da wahrnehmbare Spuren sich
finden. Er zeigt hier schon jene Manier, von der Schiller sich so angewidert
fühlte, die „naseweise, entscheidende, schneidende und einseitige Manier"*).
Freilich erscheint auch, mit jenen Eigenheiten innig verbunden, ein vielseitig
beweglicher, oft scharf in den Mittelpunkt treffender Witz; aber daß man sich
seiner unbefangen erfreue, daran hindert eben diese ärgerliche Manier, die auch
unverkennbar darauf berechnet ist, Aergerniß zu geben. Nicht sowohl der In¬
halt, als die Art des Vortrages verletzt; sie wird selbst demjenigen anstößig,
der sich den vorgetragenen Meinungen zuneigen möchte. —

Als Schiller am 16. Mai 1797 jene mißmuthige Aeußerung that**),
hatte sich schon längst der persönliche Widerwille gegen Schlegel in ihm fest¬
gesetzt; er war wohl schon entschlossen, den persönlichen Verkehr mit den Brü¬
dern aufzuheben, die man sich damals noch als ein in jedem Sinne eng ver¬
bundenes Paar dachte. Ein inneres Verhältniß mit ihnen hatte nie bestan¬
den; aber auch das äußere sollte nicht mehr fortbestehen. Jene an Goethe
gerichteten Worte sind nur die Vorläufer des Scheidebriefes, den zwei Wochen
hernach Wilhelm zu seiner großen Bestürzung unerwartet empfing.

Schiller wies die Brüder aus seiner Nähe und zeigte dabei jene ener¬
gische F-stigkeit, die ihm, wo es einen durchgreifenden Entschluß galt, nie
fehlte. Wilhelm mußte die Strafe, die nur dem Bruder gebührte, unver¬
schuldet mittragen. Denn nur durch Friedrich's Verhalten konnte Schiller
die anscheinend so harte Maßregel begründen.

Aber nothwendig war diese Maßregel schon seit langem geworden. Denn
schon beim Beginn seines Jenaischen Aufenthaltes war Friedrich gegenüber
dem Dichter, den er damals noch verehren wollte, in eine bedenkliche Stel-




an Goethe 23. Juli 1798.
"
),Er wirft dem jüngeren Schlegel nicht nur böse Absicht und parteiische Gesinnung vor;
er beschuldig! ihn auch der. Unverschämtheit, und spottet über die Unwissenheit und Oberfläch¬
lichkeit, mit welcher dieser Kritiker, der sich soviel dünkte, den Roman der Caroline von Wol¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/412>, abgerufen am 22.07.2024.