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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Schlosser war kein gefährlicher Gegner. Er wäre, bei dem damaligen
Stande der Dinge, auch dann nicht gefährlich gewesen, wenn die Schärfe sei¬
ner Waffen der Heftigkeit seines Ingrimms entsprochen hätte. Nichtsdesto¬
weniger mußte auch der mit unschädlichen Waffen geführte Angriff zurück¬
gewiesen werden. Alle, die sich zur kritischen Philosophie bekannten, vor
Allen aber diejenigen, die zu einer selbständigen Fort- und Umbildung der¬
selben berufen waren, mußten sich zur Abwehr aufgefordert fühlen. Ja, der
alte Meister selbst trat aus den Plan*) und führte siegreich feine Sache mit
heiterer Ruhe und lächelndem Behagen; und als der Ueberwundene, schutzlos
Dastehende sich nochmals in einem zweiten unglücklichen "Schreiben" zu regen
wagte, ließ Schelling in einer grausamen Recension**) die letzten vernichten¬
den Schläge auf ihn niederfallen.

Schlegel konnte also auf vielseitige Beistimmung rechnen, indem er über
Schlosser und dessen leidenschaftliches Bemühen das Verdammungsurtheil
sprach. Schiller muß denn auch gestehen, daß diese Kritik "in ihrem Grund¬
begriffe nicht unwahr sei"; und dies Zugeständniß konnte er nicht wohl
zurückhalten, wenn er seine eigenen Aeußerungen über Schlosser vor sich selbst
rechtfertigen wollte. Denn wie unbarmherzig fährt auch er über den schwäch¬
lichen Versechter eines längst abgethanen Dogmatismus her! Da Goethe den
alten Freund und Schwager in Schutz nehmen möchte gegen den furchtbaren
Vorwurf der Unredlichkeit und der Lüge, den Kant mit ziemlicher Deutlich¬
keit gegen ihn ausgesprochen, da will Schiller keine entschuldigende Erklä¬
rung gelten lassen und hält die bittere Anklage aufrecht. Und als der so
schwer Getroffene sich dann noch einmal seinen Gegnern stellte, ließ Schiller
über ihn, dem er eigentliches Interesse für Wahrheit entschieden absprach,
schonungslos ein verschärftes Urtheil ergehen***). Man sieht also nicht recht
ein, was gerade ihn, den selbst so unerbittlichen Richter, bewog, Schlegel's
Invective zu mißbilligen.

Indeß könnte man erwidern: Schiller äußerte seine Gesinnungen nur
gegen den vertrauten Freund, Schlegel sprach öffentlich. -- Redete aber nicht





*) Mit der "Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in
der Philosophie." (Vermischte Schriften 1799, Bd. 3, S. 341 fg.), Goethe nennt diese
Schrift Kant's "ein sehr schätzbares Product seiner bekannten Denkart, das so wie alles, was
von ihm kommt, die herrlichsten Stellen enthält, aber auch in Komposition und Stil Kanti¬
scher als Kantisch" an Schiller Ur, 364. -- Vgl, Schiller's Antwort 22. September 97.
-
) Allg. Literatur-Zeitung 1798. Ur. 299, S. Oktober.
Der ganze Brief an Goethe vom 9. Februar 98 ist ein erbarmungsloser Rechts¬
spruch über Schlosser. Den Grund seiner gesteigerten Indignation gibt Schiller sehr schön in
den bezeichnenden Worten an: "Sie (Goethe) der den Menschen besser kennt, erklären sich viel¬
leicht richtiger und natürlicher durch eine unwillkürliche Beschränktheit, was ich, der die Men¬
schen gerne verständiger annimmt, als sie sind, mir nur durch eine moralische Unart erklären
kann."
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Schlosser war kein gefährlicher Gegner. Er wäre, bei dem damaligen
Stande der Dinge, auch dann nicht gefährlich gewesen, wenn die Schärfe sei¬
ner Waffen der Heftigkeit seines Ingrimms entsprochen hätte. Nichtsdesto¬
weniger mußte auch der mit unschädlichen Waffen geführte Angriff zurück¬
gewiesen werden. Alle, die sich zur kritischen Philosophie bekannten, vor
Allen aber diejenigen, die zu einer selbständigen Fort- und Umbildung der¬
selben berufen waren, mußten sich zur Abwehr aufgefordert fühlen. Ja, der
alte Meister selbst trat aus den Plan*) und führte siegreich feine Sache mit
heiterer Ruhe und lächelndem Behagen; und als der Ueberwundene, schutzlos
Dastehende sich nochmals in einem zweiten unglücklichen „Schreiben" zu regen
wagte, ließ Schelling in einer grausamen Recension**) die letzten vernichten¬
den Schläge auf ihn niederfallen.

Schlegel konnte also auf vielseitige Beistimmung rechnen, indem er über
Schlosser und dessen leidenschaftliches Bemühen das Verdammungsurtheil
sprach. Schiller muß denn auch gestehen, daß diese Kritik „in ihrem Grund¬
begriffe nicht unwahr sei"; und dies Zugeständniß konnte er nicht wohl
zurückhalten, wenn er seine eigenen Aeußerungen über Schlosser vor sich selbst
rechtfertigen wollte. Denn wie unbarmherzig fährt auch er über den schwäch¬
lichen Versechter eines längst abgethanen Dogmatismus her! Da Goethe den
alten Freund und Schwager in Schutz nehmen möchte gegen den furchtbaren
Vorwurf der Unredlichkeit und der Lüge, den Kant mit ziemlicher Deutlich¬
keit gegen ihn ausgesprochen, da will Schiller keine entschuldigende Erklä¬
rung gelten lassen und hält die bittere Anklage aufrecht. Und als der so
schwer Getroffene sich dann noch einmal seinen Gegnern stellte, ließ Schiller
über ihn, dem er eigentliches Interesse für Wahrheit entschieden absprach,
schonungslos ein verschärftes Urtheil ergehen***). Man sieht also nicht recht
ein, was gerade ihn, den selbst so unerbittlichen Richter, bewog, Schlegel's
Invective zu mißbilligen.

Indeß könnte man erwidern: Schiller äußerte seine Gesinnungen nur
gegen den vertrauten Freund, Schlegel sprach öffentlich. — Redete aber nicht





*) Mit der „Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in
der Philosophie." (Vermischte Schriften 1799, Bd. 3, S. 341 fg.), Goethe nennt diese
Schrift Kant's „ein sehr schätzbares Product seiner bekannten Denkart, das so wie alles, was
von ihm kommt, die herrlichsten Stellen enthält, aber auch in Komposition und Stil Kanti¬
scher als Kantisch" an Schiller Ur, 364. — Vgl, Schiller's Antwort 22. September 97.
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) Allg. Literatur-Zeitung 1798. Ur. 299, S. Oktober.
Der ganze Brief an Goethe vom 9. Februar 98 ist ein erbarmungsloser Rechts¬
spruch über Schlosser. Den Grund seiner gesteigerten Indignation gibt Schiller sehr schön in
den bezeichnenden Worten an: „Sie (Goethe) der den Menschen besser kennt, erklären sich viel¬
leicht richtiger und natürlicher durch eine unwillkürliche Beschränktheit, was ich, der die Men¬
schen gerne verständiger annimmt, als sie sind, mir nur durch eine moralische Unart erklären
kann."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/411>, abgerufen am 22.07.2024.