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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Güter verlassen und zuletzt mehr Schaden als Nutzen empfangen." In sol¬
chem Grade war die Ueberzeugung des Reformators auch auf die Obrigkeit
übergegangen.

Neben der Polemik Zwingli's gegen das Soldwesen waren auch die
mannichfachen Ausschreitungen, von denen die schweizerische Reformation so
wenig frei war als die deutsche, Gegenstand der Klage der Altgläubigen.
Wenn man unter Berufung auf die christliche Freiheit den Zehnten verwei¬
gerte und Unfug aller Art trieb, so konnte dies bei den alten Geschlechtern
nur den übelsten Eindruck machen. Zwingli suchte ihn nach Kräften zu
verwischen, indem er sich ausführlich über den Gehorsam gegen die Obrigkeit
verbreitete, und zwar mit nicht geringerer Entschiedenheit, als dies Luther
that. Das Evangelium, suchte er zu zeigen, sei nicht wider die Obrigkeit,
gebäre nicht Zerrüttung, fondern sei vielmehr "eine Befestigung der Obrig¬
keit, welche zurechtweist und einig macht mit dem Volk." Gerade in Zürich
bestand durch die Haltung des Raths diese Einigkeit in hohem Grade und
offenbar ist es die befreundete Stellung, die Zwingli frühzeitig zum Rath
einnahm und die Handreichung, die er von diesem empfing, was ihn auch in
kirchenrechtlichen Dingen zu ähnlichen Ansichten wie Luther führte. Wenn
er auch principiell die geistlichen und weltlichen Dinge schied, so galt ihm doch
die Obrigkeit als die Vertreterin der Gemeinde und er wies ihr deshalb die
kirchliche Vollziehungsgewalt zu. Das ganze Reformationswerk nahm unter
diesen Umständen in Zürich einen geordneten schonenden Gang. In den
Bilderstürmern und Wiedertäufern glaubte Zwingli sogar gefährlichere Geg¬
ner des Evangeliums zu erblicken, als in den ohnmächtigen Anhängern des
Alten. Wie herb seine Stimmung gegen die Demokratie sein konnte, geht
z. B. aus folgendem Spruch hervor:


Schöne Pferd, weite Feld und der gemeine Mann
Sind starke Ding, der sie recht brauchen kann.
Läßt man sie ihnen selbst gar und ganz,
Liegen sie wüst, ohne Frucht und Pflanz.

So ohnmächtig waren die Anhänger des Alten indessen keineswegs.
Die Mehrheit der eidgenössischen Orte ward der neuen Lehre abhold, die
Lage immer gespannter. Auf Anregung der Priesterschaft der vier Wald¬
städte faßte die Tagsatzung zu Luzern im Januar 1524 den Beschluß, nicht
blos beim alten Glauben zu verharren, sondern auch bei der Lässigkeit des
Bischofs, selbst mit Strafen gegen die Neuerer vorzugehen. Es erschien eine
Deputation in Zürich mit feierlicher Abmahnung, freilich vergebens. Der Be¬
schluß des Züricher Raths von Pfingsten desselben Jahres, die Bilder zu beseiti¬
gen, und im folgenden Jahre die Beseitigung der Messe, machten, als der entschie-


Grenzbotcn IV. 186L. S2

Güter verlassen und zuletzt mehr Schaden als Nutzen empfangen." In sol¬
chem Grade war die Ueberzeugung des Reformators auch auf die Obrigkeit
übergegangen.

Neben der Polemik Zwingli's gegen das Soldwesen waren auch die
mannichfachen Ausschreitungen, von denen die schweizerische Reformation so
wenig frei war als die deutsche, Gegenstand der Klage der Altgläubigen.
Wenn man unter Berufung auf die christliche Freiheit den Zehnten verwei¬
gerte und Unfug aller Art trieb, so konnte dies bei den alten Geschlechtern
nur den übelsten Eindruck machen. Zwingli suchte ihn nach Kräften zu
verwischen, indem er sich ausführlich über den Gehorsam gegen die Obrigkeit
verbreitete, und zwar mit nicht geringerer Entschiedenheit, als dies Luther
that. Das Evangelium, suchte er zu zeigen, sei nicht wider die Obrigkeit,
gebäre nicht Zerrüttung, fondern sei vielmehr „eine Befestigung der Obrig¬
keit, welche zurechtweist und einig macht mit dem Volk." Gerade in Zürich
bestand durch die Haltung des Raths diese Einigkeit in hohem Grade und
offenbar ist es die befreundete Stellung, die Zwingli frühzeitig zum Rath
einnahm und die Handreichung, die er von diesem empfing, was ihn auch in
kirchenrechtlichen Dingen zu ähnlichen Ansichten wie Luther führte. Wenn
er auch principiell die geistlichen und weltlichen Dinge schied, so galt ihm doch
die Obrigkeit als die Vertreterin der Gemeinde und er wies ihr deshalb die
kirchliche Vollziehungsgewalt zu. Das ganze Reformationswerk nahm unter
diesen Umständen in Zürich einen geordneten schonenden Gang. In den
Bilderstürmern und Wiedertäufern glaubte Zwingli sogar gefährlichere Geg¬
ner des Evangeliums zu erblicken, als in den ohnmächtigen Anhängern des
Alten. Wie herb seine Stimmung gegen die Demokratie sein konnte, geht
z. B. aus folgendem Spruch hervor:


Schöne Pferd, weite Feld und der gemeine Mann
Sind starke Ding, der sie recht brauchen kann.
Läßt man sie ihnen selbst gar und ganz,
Liegen sie wüst, ohne Frucht und Pflanz.

So ohnmächtig waren die Anhänger des Alten indessen keineswegs.
Die Mehrheit der eidgenössischen Orte ward der neuen Lehre abhold, die
Lage immer gespannter. Auf Anregung der Priesterschaft der vier Wald¬
städte faßte die Tagsatzung zu Luzern im Januar 1524 den Beschluß, nicht
blos beim alten Glauben zu verharren, sondern auch bei der Lässigkeit des
Bischofs, selbst mit Strafen gegen die Neuerer vorzugehen. Es erschien eine
Deputation in Zürich mit feierlicher Abmahnung, freilich vergebens. Der Be¬
schluß des Züricher Raths von Pfingsten desselben Jahres, die Bilder zu beseiti¬
gen, und im folgenden Jahre die Beseitigung der Messe, machten, als der entschie-


Grenzbotcn IV. 186L. S2
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[0257] Güter verlassen und zuletzt mehr Schaden als Nutzen empfangen." In sol¬ chem Grade war die Ueberzeugung des Reformators auch auf die Obrigkeit übergegangen. Neben der Polemik Zwingli's gegen das Soldwesen waren auch die mannichfachen Ausschreitungen, von denen die schweizerische Reformation so wenig frei war als die deutsche, Gegenstand der Klage der Altgläubigen. Wenn man unter Berufung auf die christliche Freiheit den Zehnten verwei¬ gerte und Unfug aller Art trieb, so konnte dies bei den alten Geschlechtern nur den übelsten Eindruck machen. Zwingli suchte ihn nach Kräften zu verwischen, indem er sich ausführlich über den Gehorsam gegen die Obrigkeit verbreitete, und zwar mit nicht geringerer Entschiedenheit, als dies Luther that. Das Evangelium, suchte er zu zeigen, sei nicht wider die Obrigkeit, gebäre nicht Zerrüttung, fondern sei vielmehr „eine Befestigung der Obrig¬ keit, welche zurechtweist und einig macht mit dem Volk." Gerade in Zürich bestand durch die Haltung des Raths diese Einigkeit in hohem Grade und offenbar ist es die befreundete Stellung, die Zwingli frühzeitig zum Rath einnahm und die Handreichung, die er von diesem empfing, was ihn auch in kirchenrechtlichen Dingen zu ähnlichen Ansichten wie Luther führte. Wenn er auch principiell die geistlichen und weltlichen Dinge schied, so galt ihm doch die Obrigkeit als die Vertreterin der Gemeinde und er wies ihr deshalb die kirchliche Vollziehungsgewalt zu. Das ganze Reformationswerk nahm unter diesen Umständen in Zürich einen geordneten schonenden Gang. In den Bilderstürmern und Wiedertäufern glaubte Zwingli sogar gefährlichere Geg¬ ner des Evangeliums zu erblicken, als in den ohnmächtigen Anhängern des Alten. Wie herb seine Stimmung gegen die Demokratie sein konnte, geht z. B. aus folgendem Spruch hervor: Schöne Pferd, weite Feld und der gemeine Mann Sind starke Ding, der sie recht brauchen kann. Läßt man sie ihnen selbst gar und ganz, Liegen sie wüst, ohne Frucht und Pflanz. So ohnmächtig waren die Anhänger des Alten indessen keineswegs. Die Mehrheit der eidgenössischen Orte ward der neuen Lehre abhold, die Lage immer gespannter. Auf Anregung der Priesterschaft der vier Wald¬ städte faßte die Tagsatzung zu Luzern im Januar 1524 den Beschluß, nicht blos beim alten Glauben zu verharren, sondern auch bei der Lässigkeit des Bischofs, selbst mit Strafen gegen die Neuerer vorzugehen. Es erschien eine Deputation in Zürich mit feierlicher Abmahnung, freilich vergebens. Der Be¬ schluß des Züricher Raths von Pfingsten desselben Jahres, die Bilder zu beseiti¬ gen, und im folgenden Jahre die Beseitigung der Messe, machten, als der entschie- Grenzbotcn IV. 186L. S2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/257>, abgerufen am 01.07.2024.