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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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für das selbständige Studium und auf die harmonische Durchbildung ab¬
sehen, müssen in der That erst geschaffen werden. Denn es besteht zur
Zeit dem Aehnliches nicht. Die sogenannten höheren Töchterschulen bewegen
sich ganz in dem Kreise der alten Anschauungen über den Beruf und die
wünschenswerthe Lebensstellung der Frau. Im besten Falle erziehen sie so¬
genannte "gebildete" Frauen, Frauen, welche einen gewissen Fond von Kennt¬
nissen in der Geschichte, Literatur, Geographie und den neuern Sprachen haben,
ein Erzeugnis der schönen Literatur mit Verständniß und Kritik zu lesen,
über die Gegenstände der gewöhnlichen Unterhaltung, wie sie unter Gebil¬
deten üblich ist, geschmackvoll zu reden wissen, Frauen, die. wenn sie sich
verheirathen, eine Zierde der "guten Gesellschaft" werden, wenn nicht, und
wenn ihnen nicht die Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, als
Gouvernanten, falls sie noch einen besonderen Cursus an einem Seminar
durchmachen, auch als Lehrerinnen an öffentlichen Lehr- und Erziehungs¬
anstalten, ihr Brod verdienen können. Wir wissen, daß bis zu dem eben ge¬
schilderten Grade der Bildung nur die befähigteren Schülerinnen der besseren
Töchterschulen gelangen. Aber auch die besten reichen nicht aus, um ihre
Schülerinnen zu gründlichem und systematischem selbständigem Studium an
einer Hochschule zu befähigen.

Anstalten müssen zu diesem Zwecke neu begründet werden auch um des¬
willen, weil es nicht möglich ist, an den für Knaben und Jünglinge bestehen¬
den Anstalten ohne Weiteres junge Mädchen Theil nehmen zu lassen, und
weil, wenn dies auch möglich wäre, das eigentliche Bedürfniß der für wissen¬
schaftliche Studien Vorbereitung suchenden Frauen weder durch das Gymna¬
sium wie es jetzt ist, noch durch die Realschule wie sie jetzt ist. befriedigt
werden würde. Wenn ich oben sagte, daß die systematische Entwickelung der
für das weibliche Geschlecht nach unseren modernen Anschauungen erforder¬
lichen Bildungsanstalten vielleicht günstig zurückwirken könnte auf die Reform
der für das männliche Geschlecht bestehenden Anstalten solcher Art, so ist es ge¬
rade dieser Punkt, den ich dabei besonders im Auge hatte. Vielleicht, daß
es der Bemühung, eine Gelehrtenschule für Frauen in's Leben zu rufen, ge¬
lingt, eine Vermittelung zwischen Gymnasium und Realschule herbeizuführen,
welche auch für die Ordnung des vorbereitenden Bildungsganges und der
Erziehungsmethode des für das selbständige wissenschaftliche Studium be¬
stimmten Jünglings verwerthbar wird. Daß der Kreis der wissenschaftlichen
Studien, welcher Frauen zugänglich ist, stets ein engerer bleiben wird, als
der, zu welchem heute das männliche Geschlecht Zutritt hat. -- daraufbraucht
bei der Einrichtung der Gelehrtenschulen für Töchter keinerlei Rücksicht ge¬
nommen zu werden. Wenn auch künftig Frauen nicht Jurisprudenz, nicht
Theologie, nicht Staatswissenschaften, nicht eigentlich Mathematik, sondern


für das selbständige Studium und auf die harmonische Durchbildung ab¬
sehen, müssen in der That erst geschaffen werden. Denn es besteht zur
Zeit dem Aehnliches nicht. Die sogenannten höheren Töchterschulen bewegen
sich ganz in dem Kreise der alten Anschauungen über den Beruf und die
wünschenswerthe Lebensstellung der Frau. Im besten Falle erziehen sie so¬
genannte „gebildete" Frauen, Frauen, welche einen gewissen Fond von Kennt¬
nissen in der Geschichte, Literatur, Geographie und den neuern Sprachen haben,
ein Erzeugnis der schönen Literatur mit Verständniß und Kritik zu lesen,
über die Gegenstände der gewöhnlichen Unterhaltung, wie sie unter Gebil¬
deten üblich ist, geschmackvoll zu reden wissen, Frauen, die. wenn sie sich
verheirathen, eine Zierde der „guten Gesellschaft" werden, wenn nicht, und
wenn ihnen nicht die Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, als
Gouvernanten, falls sie noch einen besonderen Cursus an einem Seminar
durchmachen, auch als Lehrerinnen an öffentlichen Lehr- und Erziehungs¬
anstalten, ihr Brod verdienen können. Wir wissen, daß bis zu dem eben ge¬
schilderten Grade der Bildung nur die befähigteren Schülerinnen der besseren
Töchterschulen gelangen. Aber auch die besten reichen nicht aus, um ihre
Schülerinnen zu gründlichem und systematischem selbständigem Studium an
einer Hochschule zu befähigen.

Anstalten müssen zu diesem Zwecke neu begründet werden auch um des¬
willen, weil es nicht möglich ist, an den für Knaben und Jünglinge bestehen¬
den Anstalten ohne Weiteres junge Mädchen Theil nehmen zu lassen, und
weil, wenn dies auch möglich wäre, das eigentliche Bedürfniß der für wissen¬
schaftliche Studien Vorbereitung suchenden Frauen weder durch das Gymna¬
sium wie es jetzt ist, noch durch die Realschule wie sie jetzt ist. befriedigt
werden würde. Wenn ich oben sagte, daß die systematische Entwickelung der
für das weibliche Geschlecht nach unseren modernen Anschauungen erforder¬
lichen Bildungsanstalten vielleicht günstig zurückwirken könnte auf die Reform
der für das männliche Geschlecht bestehenden Anstalten solcher Art, so ist es ge¬
rade dieser Punkt, den ich dabei besonders im Auge hatte. Vielleicht, daß
es der Bemühung, eine Gelehrtenschule für Frauen in's Leben zu rufen, ge¬
lingt, eine Vermittelung zwischen Gymnasium und Realschule herbeizuführen,
welche auch für die Ordnung des vorbereitenden Bildungsganges und der
Erziehungsmethode des für das selbständige wissenschaftliche Studium be¬
stimmten Jünglings verwerthbar wird. Daß der Kreis der wissenschaftlichen
Studien, welcher Frauen zugänglich ist, stets ein engerer bleiben wird, als
der, zu welchem heute das männliche Geschlecht Zutritt hat. — daraufbraucht
bei der Einrichtung der Gelehrtenschulen für Töchter keinerlei Rücksicht ge¬
nommen zu werden. Wenn auch künftig Frauen nicht Jurisprudenz, nicht
Theologie, nicht Staatswissenschaften, nicht eigentlich Mathematik, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/230>, abgerufen am 04.07.2024.