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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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vielleicht nur Psychologie, Anthropologie, Pädagogik, Physik, Chemie. Mine¬
ralogie, Physiologie und Medicin studiren werden, so muß deshalb ihre Vor¬
bildung genau so umfassend sein, wie diejenige, welche man heute jungen
Männern auf den Gelehrtenschulen zu bieten bestrebt ist. Aber die Frage
ist -- eine Frage, die auch für die letzteren Anstalten noch zur Zeit der Ent¬
scheidung harrt, -- ob das wesentlichste Mittel der Vorbereitung für das
selbständige wissenschaftliche Studium in der "Einführung in das Geistesleben
namentlich der antiken Welt" besteht. Bei aller Achtung vor den er¬
fahrungsmäßigen Leistungen unserer von dieser Grundanschauung beherrschten
Gelehrtenschulen hege ich doch Zweifel, ob es richtig ist, den Schwerpunkt
des Unterrichts auf diesen letztern so überwiegend, wie es geschieht, in dem
Studium des Lateinischen und Griechischen und in einer entsprechend um¬
fangreichen Lectüre altclassischer Schriftsteller zu suchen. Andererseits ver¬
kenne ich nicht, daß sich die meisten unserer sogenannten Realschulen viel zu
weit von diesem Ziele entfernt haben, um die Gymnasien ohne Weiteres
ersetzen zu können.

Die Gymnasien für Frauen, die. wie gesagt, nicht länger zu entbehren sind,
wenn den Frauen das Studium an der Hochschule erschlossen werden soll, werden
versuchen müssen, aus allen sich überhaupt darbietenden diejenigen Bildungs¬
stoffe auszusuchen, welche erfahrungsmäßig am besten geeignet sind, den jugend¬
lichen Geist für das Selbststudium geschickt zu machen und mit dem begeisterten
Streben nach Erforschung der Wahrheit zu erfüllen. Daneben wird man
nicht umhin sonnen, die Schülerinnen mit dem Apparat von positiven Kennt¬
nissen zu versehen, dessen Besitz allein das Verständniß der wissenschaftlichen
Vorträge auf der Hochschule sichert, und es versteht sich auch um deswillen
von selbst, daß auch das weibliche Gymnasium eines möglichst gründlichen
Unterrichts in den alten Sprachen nicht entrathen kann. Wie weit dieser
Unterricht gehen muß. welches die sonstigen besten formalen und materialen
Bildungsmittel sind, die eine solche Anstalt ihren Zöglingen zu bieten hat,
-- dies zu entscheiden muß ich den Pädagogen überlassen.

Es wird zunächst in Deutschland nur weniger Gelehrtenschulen für
Frauen bedürfen. Diese wenigen aber sollten je mit einem Convikt für
nicht ortsangehörige Schülerinnen verbunden werden. Gegen die convikt-
mäßige Haltung und Erziehung von Knaben und Jünglingen mag man
Manches einwenden können. Keineswegs die nämlichen Einwendungen sprechen
gegen die Convikt-Erziehung junger Mädchen, Insoweit diesen nicht Unterkunft
in einer gebildeten Familie sicher ist. scheint mir vielmehr Alles -- die
Sicherung einer nicht zu kostspieligen und anständigen, ungefährdeten Existenz,
die Möglichkeit der Erziehung durch mannigfaltige Gesellschaft, angemessenen


vielleicht nur Psychologie, Anthropologie, Pädagogik, Physik, Chemie. Mine¬
ralogie, Physiologie und Medicin studiren werden, so muß deshalb ihre Vor¬
bildung genau so umfassend sein, wie diejenige, welche man heute jungen
Männern auf den Gelehrtenschulen zu bieten bestrebt ist. Aber die Frage
ist — eine Frage, die auch für die letzteren Anstalten noch zur Zeit der Ent¬
scheidung harrt, — ob das wesentlichste Mittel der Vorbereitung für das
selbständige wissenschaftliche Studium in der „Einführung in das Geistesleben
namentlich der antiken Welt" besteht. Bei aller Achtung vor den er¬
fahrungsmäßigen Leistungen unserer von dieser Grundanschauung beherrschten
Gelehrtenschulen hege ich doch Zweifel, ob es richtig ist, den Schwerpunkt
des Unterrichts auf diesen letztern so überwiegend, wie es geschieht, in dem
Studium des Lateinischen und Griechischen und in einer entsprechend um¬
fangreichen Lectüre altclassischer Schriftsteller zu suchen. Andererseits ver¬
kenne ich nicht, daß sich die meisten unserer sogenannten Realschulen viel zu
weit von diesem Ziele entfernt haben, um die Gymnasien ohne Weiteres
ersetzen zu können.

Die Gymnasien für Frauen, die. wie gesagt, nicht länger zu entbehren sind,
wenn den Frauen das Studium an der Hochschule erschlossen werden soll, werden
versuchen müssen, aus allen sich überhaupt darbietenden diejenigen Bildungs¬
stoffe auszusuchen, welche erfahrungsmäßig am besten geeignet sind, den jugend¬
lichen Geist für das Selbststudium geschickt zu machen und mit dem begeisterten
Streben nach Erforschung der Wahrheit zu erfüllen. Daneben wird man
nicht umhin sonnen, die Schülerinnen mit dem Apparat von positiven Kennt¬
nissen zu versehen, dessen Besitz allein das Verständniß der wissenschaftlichen
Vorträge auf der Hochschule sichert, und es versteht sich auch um deswillen
von selbst, daß auch das weibliche Gymnasium eines möglichst gründlichen
Unterrichts in den alten Sprachen nicht entrathen kann. Wie weit dieser
Unterricht gehen muß. welches die sonstigen besten formalen und materialen
Bildungsmittel sind, die eine solche Anstalt ihren Zöglingen zu bieten hat,
— dies zu entscheiden muß ich den Pädagogen überlassen.

Es wird zunächst in Deutschland nur weniger Gelehrtenschulen für
Frauen bedürfen. Diese wenigen aber sollten je mit einem Convikt für
nicht ortsangehörige Schülerinnen verbunden werden. Gegen die convikt-
mäßige Haltung und Erziehung von Knaben und Jünglingen mag man
Manches einwenden können. Keineswegs die nämlichen Einwendungen sprechen
gegen die Convikt-Erziehung junger Mädchen, Insoweit diesen nicht Unterkunft
in einer gebildeten Familie sicher ist. scheint mir vielmehr Alles — die
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die Möglichkeit der Erziehung durch mannigfaltige Gesellschaft, angemessenen


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[0231] vielleicht nur Psychologie, Anthropologie, Pädagogik, Physik, Chemie. Mine¬ ralogie, Physiologie und Medicin studiren werden, so muß deshalb ihre Vor¬ bildung genau so umfassend sein, wie diejenige, welche man heute jungen Männern auf den Gelehrtenschulen zu bieten bestrebt ist. Aber die Frage ist — eine Frage, die auch für die letzteren Anstalten noch zur Zeit der Ent¬ scheidung harrt, — ob das wesentlichste Mittel der Vorbereitung für das selbständige wissenschaftliche Studium in der „Einführung in das Geistesleben namentlich der antiken Welt" besteht. Bei aller Achtung vor den er¬ fahrungsmäßigen Leistungen unserer von dieser Grundanschauung beherrschten Gelehrtenschulen hege ich doch Zweifel, ob es richtig ist, den Schwerpunkt des Unterrichts auf diesen letztern so überwiegend, wie es geschieht, in dem Studium des Lateinischen und Griechischen und in einer entsprechend um¬ fangreichen Lectüre altclassischer Schriftsteller zu suchen. Andererseits ver¬ kenne ich nicht, daß sich die meisten unserer sogenannten Realschulen viel zu weit von diesem Ziele entfernt haben, um die Gymnasien ohne Weiteres ersetzen zu können. Die Gymnasien für Frauen, die. wie gesagt, nicht länger zu entbehren sind, wenn den Frauen das Studium an der Hochschule erschlossen werden soll, werden versuchen müssen, aus allen sich überhaupt darbietenden diejenigen Bildungs¬ stoffe auszusuchen, welche erfahrungsmäßig am besten geeignet sind, den jugend¬ lichen Geist für das Selbststudium geschickt zu machen und mit dem begeisterten Streben nach Erforschung der Wahrheit zu erfüllen. Daneben wird man nicht umhin sonnen, die Schülerinnen mit dem Apparat von positiven Kennt¬ nissen zu versehen, dessen Besitz allein das Verständniß der wissenschaftlichen Vorträge auf der Hochschule sichert, und es versteht sich auch um deswillen von selbst, daß auch das weibliche Gymnasium eines möglichst gründlichen Unterrichts in den alten Sprachen nicht entrathen kann. Wie weit dieser Unterricht gehen muß. welches die sonstigen besten formalen und materialen Bildungsmittel sind, die eine solche Anstalt ihren Zöglingen zu bieten hat, — dies zu entscheiden muß ich den Pädagogen überlassen. Es wird zunächst in Deutschland nur weniger Gelehrtenschulen für Frauen bedürfen. Diese wenigen aber sollten je mit einem Convikt für nicht ortsangehörige Schülerinnen verbunden werden. Gegen die convikt- mäßige Haltung und Erziehung von Knaben und Jünglingen mag man Manches einwenden können. Keineswegs die nämlichen Einwendungen sprechen gegen die Convikt-Erziehung junger Mädchen, Insoweit diesen nicht Unterkunft in einer gebildeten Familie sicher ist. scheint mir vielmehr Alles — die Sicherung einer nicht zu kostspieligen und anständigen, ungefährdeten Existenz, die Möglichkeit der Erziehung durch mannigfaltige Gesellschaft, angemessenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/231>, abgerufen am 04.07.2024.