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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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vorurtheile auszugleichen. Darf man doch ohnehin nur darauf rechnen,
daß sich die Elite aus den betreffenden Berufskreisen an diesen Fortbildungs¬
schulen betheilige.

An einem Analogen der Ackerbauschulen für junge Männer fehlt
es meines Wissens in der Reihe der weiblichen Bildungsanstalten noch
fast überall. Mittlere Fachschulen zur Vorbereitung des weiblichen Geschlechts
für die industriellen und Handelsgewerbe sind hie und da als erste Frucht
der Vereinsarbeit für Hebung der wirthschaftlichen und gesellschaftlichen
Stellung der Frauen in's Leben getreten -- fast überall mit leidlichem, bis¬
weilen mit sehr günstigem Erfolg. Das sind in der That auch diejenigen
Anstalten, denen wir fortan die größeste Aufmerksamkeit werden zuzuwenden
haben. Man kann der Ansicht sein, daß solche mittlere Fachschulen nur ein
schwacher Nothbehelf seien; man kann ihnen vorwerfen, daß sie theils noth¬
wendig Halbbildung verbreiten müssen, theils ihre Schüler mit Uebungen be¬
schäftigen, welche sie sich in der Praxis in kürzerer Zeit und gründlicher
aneignen könnten. Alle diese Einwände sind begründet; aber noch ist es
nicht gelungen und es wird schwerlich gelingen, sür die zahlreichen Fälle, wo
es gilt, den jungen Mann oder das junge Mädchen, welche eben der Ele¬
mentarschule entwachsen sind, in der kurzen Frist weniger Jahre für einen
bereits gewählten, oder durch die Natur der Verhältnisse gegebenen Beruf, für
den Erwerb im Kleinbetriebe der Landwirthschaft oder eines industriellen oder
Handels-Gewerbes, tüchtig zu machen, in anderer Weise, als durch Anstalten
der gedachten Art zu sorgen. Für junge Mädchen sind solche Anstalten um-
sowichtiger und unentbehrlicher, da wenn diese sich für den landwirthschaft-
lichen, industriellen oder mercantilen Beruf ausbilden, sie doch niemals an
selbständigen Großbetrieb, sondern entweder an Gehilfinnenstellungen in
solchem, oder an selbständigen Kleinbetrieb denken, und ihnen Zeit und Mittel
für eine länger dauernde, systematische und ganz gründliche Vorbildung zu
fehlen pflegen.

Davon, scheint mir, muß von Vornherein abgesehen werden, das weib¬
liche Geschlecht an die Mitbenutzung der für das männliche bestehenden An¬
stalten zu verweisen. Die gemeinschaftliche Benutzung, die für die höchsten
Bildungsanstalten schon ihre Bedenken hat, ist für mittlere Fachschulen aus
Gründen, welche auf der Hand liegen, unbedingt ausgeschlossen. Auch eine
Verwerthung der vorhandenen Lehrkräfte etwa für weibliche Abthei¬
lungen solcher Anstalten wird selten durchführbar sein, eher die Mitver¬
werthung der Lehrmittel, unter Umständen auch die der Lehrgebäude. Im
Uebrigen empfiehlt es sich, an Orten, wo solche Anstalten bestehen, den
fremden Besucherinnen durch Convikt-Einrichtungen die Benutzung wohl¬
feiler zu machen und einen Ersatz sür das Familienleben zu bieten. Selbst-


vorurtheile auszugleichen. Darf man doch ohnehin nur darauf rechnen,
daß sich die Elite aus den betreffenden Berufskreisen an diesen Fortbildungs¬
schulen betheilige.

An einem Analogen der Ackerbauschulen für junge Männer fehlt
es meines Wissens in der Reihe der weiblichen Bildungsanstalten noch
fast überall. Mittlere Fachschulen zur Vorbereitung des weiblichen Geschlechts
für die industriellen und Handelsgewerbe sind hie und da als erste Frucht
der Vereinsarbeit für Hebung der wirthschaftlichen und gesellschaftlichen
Stellung der Frauen in's Leben getreten — fast überall mit leidlichem, bis¬
weilen mit sehr günstigem Erfolg. Das sind in der That auch diejenigen
Anstalten, denen wir fortan die größeste Aufmerksamkeit werden zuzuwenden
haben. Man kann der Ansicht sein, daß solche mittlere Fachschulen nur ein
schwacher Nothbehelf seien; man kann ihnen vorwerfen, daß sie theils noth¬
wendig Halbbildung verbreiten müssen, theils ihre Schüler mit Uebungen be¬
schäftigen, welche sie sich in der Praxis in kürzerer Zeit und gründlicher
aneignen könnten. Alle diese Einwände sind begründet; aber noch ist es
nicht gelungen und es wird schwerlich gelingen, sür die zahlreichen Fälle, wo
es gilt, den jungen Mann oder das junge Mädchen, welche eben der Ele¬
mentarschule entwachsen sind, in der kurzen Frist weniger Jahre für einen
bereits gewählten, oder durch die Natur der Verhältnisse gegebenen Beruf, für
den Erwerb im Kleinbetriebe der Landwirthschaft oder eines industriellen oder
Handels-Gewerbes, tüchtig zu machen, in anderer Weise, als durch Anstalten
der gedachten Art zu sorgen. Für junge Mädchen sind solche Anstalten um-
sowichtiger und unentbehrlicher, da wenn diese sich für den landwirthschaft-
lichen, industriellen oder mercantilen Beruf ausbilden, sie doch niemals an
selbständigen Großbetrieb, sondern entweder an Gehilfinnenstellungen in
solchem, oder an selbständigen Kleinbetrieb denken, und ihnen Zeit und Mittel
für eine länger dauernde, systematische und ganz gründliche Vorbildung zu
fehlen pflegen.

Davon, scheint mir, muß von Vornherein abgesehen werden, das weib¬
liche Geschlecht an die Mitbenutzung der für das männliche bestehenden An¬
stalten zu verweisen. Die gemeinschaftliche Benutzung, die für die höchsten
Bildungsanstalten schon ihre Bedenken hat, ist für mittlere Fachschulen aus
Gründen, welche auf der Hand liegen, unbedingt ausgeschlossen. Auch eine
Verwerthung der vorhandenen Lehrkräfte etwa für weibliche Abthei¬
lungen solcher Anstalten wird selten durchführbar sein, eher die Mitver¬
werthung der Lehrmittel, unter Umständen auch die der Lehrgebäude. Im
Uebrigen empfiehlt es sich, an Orten, wo solche Anstalten bestehen, den
fremden Besucherinnen durch Convikt-Einrichtungen die Benutzung wohl¬
feiler zu machen und einen Ersatz sür das Familienleben zu bieten. Selbst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/228>, abgerufen am 02.07.2024.