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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Diplomaten nach Buchara bringen, lauten, wie sie wolle, in England wird
sie unangenehm berühren und dazu zwingen, die mittelasiatische Frage und
deren Bedeutung für die asiatische Türkei ernsthafter als bisher zu discutiren.

Von dem Tode des greisen Tors - Führers Lord Derby und den verschiede¬
nen Meetings abgesehen, durch welche die Jrländer die Freilassung ihrer po¬
litischen Verbrecher zu erzwingen glauben, hat der abgelaufene Monat für Eng¬
land nichts von Bedeutung gebracht. Die berühmte Friedensrede, welche
Lord Clarendon als Frucht seiner Reisen auf dem Continent mitbrachte, und
die Vorgänge der französischen inneren Politik bildeten die Hauptgegenstände
aller Auslassungen der englischen Presse.

Obgleich die Franzosen nicht gewohnt sind, sich in Bezug auf innere
Fragen durch das Urtheil des Auslandes bestimmen zu lassen, dieses Urtheil
-- dank der fortdauernden Strenge des Pariser Preßbureaus gegen die
fremden Zeitungen -- auch nur ausnahmsweise zu ihnen dringt, hat es dieses
Mal den Anschein, als ob die mäßigenden Rathschläge aller Freunde der
Freiheit von den zurechnungsfähigen Führern der liberalen Partei nicht
ganz überhört worden sind. Als in der ersten Octoberwoche Graf
Kiratry (dessen Namen für die kaiserliche Regierung seit dem bekannten
Buch über die mexikanische Expedition einen ominösen Klang hat) mit
dem Vorschlag hervortrat, am 26. October vor den geschlossenen Thüren
des gesetzgebenden Körpers zu erscheinen, fand derselbe zunächst so leb¬
hafte Zustimmung, daß das Herannahen einer für die liberale Sache
höchst bedenklichen Katastrophe mit Sturmschritten vor sich zu gehen
schien. Nicht sowohl Keratry's nähere politische Freunde als die Radi-
calen, welche durch die letzten Wahlen wieder auf den Schauplatz gerufen
worden sind, nahmen den Gedanken einer effectvollen Demonstration in
den Straßen von Paris mit Begeisterung auf und bald waren alle großen
Tageblätter mit Erörterungen für und wider denselben bedeckt. Die
Hauptgefahr lag natürlich in einer Betheiligung der unruhigen Straßen¬
bevölkerung der Hauptstadt, welche der reactionären Partei ohne Zweifel
die gewünschte Gelegenheit zu einem Einschreiten geboten hätte, dessen
Folgen sich jeder Berechnung entzogen. Daß Keratry selbst von seinem
Vorhaben zurückgetreten ist und in Berücksichtigung der Bedenklichkeit desselben
seine Collegen von der Befolgung seines Vorschlages abgemahnt hat, will
in Frankreich mehr sagen, als in irgend einem anderen europäischen Staat.
Dem Beispiel der gemäßigten und besonnenen Leute sind wider Erwarten auch
die Radicalen gefolgt und selbst Raspail. der noch vor wenigen Tagen die Rath¬
schläge seiner Freunde hartnäckig zurückgewiesen und vollste Bereitwilligkeit
zu der Rolle eines ins Französische übersetzten Ha-inpäsn gezeigt hatte, --
Raspail ist nach den neuesten Depeschen am 26. October zu Hause geblieben.


Diplomaten nach Buchara bringen, lauten, wie sie wolle, in England wird
sie unangenehm berühren und dazu zwingen, die mittelasiatische Frage und
deren Bedeutung für die asiatische Türkei ernsthafter als bisher zu discutiren.

Von dem Tode des greisen Tors - Führers Lord Derby und den verschiede¬
nen Meetings abgesehen, durch welche die Jrländer die Freilassung ihrer po¬
litischen Verbrecher zu erzwingen glauben, hat der abgelaufene Monat für Eng¬
land nichts von Bedeutung gebracht. Die berühmte Friedensrede, welche
Lord Clarendon als Frucht seiner Reisen auf dem Continent mitbrachte, und
die Vorgänge der französischen inneren Politik bildeten die Hauptgegenstände
aller Auslassungen der englischen Presse.

Obgleich die Franzosen nicht gewohnt sind, sich in Bezug auf innere
Fragen durch das Urtheil des Auslandes bestimmen zu lassen, dieses Urtheil
— dank der fortdauernden Strenge des Pariser Preßbureaus gegen die
fremden Zeitungen — auch nur ausnahmsweise zu ihnen dringt, hat es dieses
Mal den Anschein, als ob die mäßigenden Rathschläge aller Freunde der
Freiheit von den zurechnungsfähigen Führern der liberalen Partei nicht
ganz überhört worden sind. Als in der ersten Octoberwoche Graf
Kiratry (dessen Namen für die kaiserliche Regierung seit dem bekannten
Buch über die mexikanische Expedition einen ominösen Klang hat) mit
dem Vorschlag hervortrat, am 26. October vor den geschlossenen Thüren
des gesetzgebenden Körpers zu erscheinen, fand derselbe zunächst so leb¬
hafte Zustimmung, daß das Herannahen einer für die liberale Sache
höchst bedenklichen Katastrophe mit Sturmschritten vor sich zu gehen
schien. Nicht sowohl Keratry's nähere politische Freunde als die Radi-
calen, welche durch die letzten Wahlen wieder auf den Schauplatz gerufen
worden sind, nahmen den Gedanken einer effectvollen Demonstration in
den Straßen von Paris mit Begeisterung auf und bald waren alle großen
Tageblätter mit Erörterungen für und wider denselben bedeckt. Die
Hauptgefahr lag natürlich in einer Betheiligung der unruhigen Straßen¬
bevölkerung der Hauptstadt, welche der reactionären Partei ohne Zweifel
die gewünschte Gelegenheit zu einem Einschreiten geboten hätte, dessen
Folgen sich jeder Berechnung entzogen. Daß Keratry selbst von seinem
Vorhaben zurückgetreten ist und in Berücksichtigung der Bedenklichkeit desselben
seine Collegen von der Befolgung seines Vorschlages abgemahnt hat, will
in Frankreich mehr sagen, als in irgend einem anderen europäischen Staat.
Dem Beispiel der gemäßigten und besonnenen Leute sind wider Erwarten auch
die Radicalen gefolgt und selbst Raspail. der noch vor wenigen Tagen die Rath¬
schläge seiner Freunde hartnäckig zurückgewiesen und vollste Bereitwilligkeit
zu der Rolle eines ins Französische übersetzten Ha-inpäsn gezeigt hatte, —
Raspail ist nach den neuesten Depeschen am 26. October zu Hause geblieben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/200>, abgerufen am 22.07.2024.