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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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glieder der Opposition enthielt, und am 18. Juni beantragte auch der Aus¬
schuß die Verwerfung der Conventionen. Zwei Tage darauf erfolgte die
Vertagung. Positive Gegenvorschläge waren, wie immer, von der Opposition
nicht gemacht worden. Offenbar war die schroffe Haltung wesentlich der Aus¬
fluß einer allgemeinen Abneigung gegen die Bankinstitute, deren wachsende
Bedeutung man fürchtete und deren Gewinn man mißgönnte, aber ohne daß
man Mittel und Wege wußte, wie der Staat bei seinen dringlichen Vor¬
schußgeschästen billigere Bedingungen erhalten könne.

Es war nicht blos die Verwerfung der ministeriellen Finanzplane, welche
die Vertagung der Kammer herbeiführte, sie wurde geradezu unaufschiebbar
durch die inneren Vorgänge, welche den Saal der Fünfhundert in den letzten
Wochen ausschließlich beschäftigt hatten. Die Beschuldigung gegen einige
Abgeordnete der Rechten, daß sie in der Tabaksregieangelegenheit ihr Votum
für den von der Regierung vorgelegten Vertrag verkauft und in unrecht¬
mäßiger Weise sich an dem Geschäft betheiligt hätten, eine Beschuldigung,
die zuerst in der radicalen Winkelpresse austauchte, und hier mit gerichtlicher
Verurtheilung beantwortet, dann aber mit Berufung auf gestohlene Privat¬
papiere von Abgeordneten in die Kammer selbst gebracht wurde, das geheim¬
nißvolle Attentat auf den Abgeordneten Major Lobbia, über das die gericht¬
liche Untersuchung erst noch die Wahrheit an den Tag bringen soll, die un¬
überlegte Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungscommission und
deren zweideutige Entscheidung, die abenteuerlichen Sensationserfindungen
der Presse und die politischen Zweikämpfe -- alle diese peinlichen Vorgänge,
die noch in frischer Erinnerung sind, legten klar vor Augen, wie weit es mit
einer Landesvertretung gekommen war, die sich, einer autoritätsvollen Lei¬
tung entbehrend, lieber in Scandalgeschichten privater Natur vertiefte, als mit
ernstem Willen an der Heilung der Schäden des Staatswesens betheiligte.
Auf der einen Seite hatte sich ein Fanatismus der Verfolgungssucht und
Verleumdung, auf der andern ein Mangel an moralischem Muth gezeigt,
welche im Interesse der Kammer selbst und der schwer geschädigten parla¬
mentarischen Einrichtungen die Schließung der traurigen Bühne verlangten.
Auf diese Vertagung folgte am 20. August der Schluß der unerquicklichen
fruchtlosen Session.

Und was nun? Noch ist über die Ergebnisse der zahlreichen, seither ge¬
haltenen Ministerberathungen nichts Zuverlässiges in die Oeffentlichkeit ge¬
langt. Noch bleibt abzuwarten, mit welchen Entwürfen und Vorlagen die
Regierung bei Eröffnung der neuen Session hervortreten wird. Darin stimmt
Alles überein, daß das dringendste Bedürfniß ist, das Ansehen der Regierung
und der Gesetze zu heben. Durch welche Mittel aber dies geschehen soll,
darüber scheint in dem wenig homogenen Ministerium schwer eine Einigung


glieder der Opposition enthielt, und am 18. Juni beantragte auch der Aus¬
schuß die Verwerfung der Conventionen. Zwei Tage darauf erfolgte die
Vertagung. Positive Gegenvorschläge waren, wie immer, von der Opposition
nicht gemacht worden. Offenbar war die schroffe Haltung wesentlich der Aus¬
fluß einer allgemeinen Abneigung gegen die Bankinstitute, deren wachsende
Bedeutung man fürchtete und deren Gewinn man mißgönnte, aber ohne daß
man Mittel und Wege wußte, wie der Staat bei seinen dringlichen Vor¬
schußgeschästen billigere Bedingungen erhalten könne.

Es war nicht blos die Verwerfung der ministeriellen Finanzplane, welche
die Vertagung der Kammer herbeiführte, sie wurde geradezu unaufschiebbar
durch die inneren Vorgänge, welche den Saal der Fünfhundert in den letzten
Wochen ausschließlich beschäftigt hatten. Die Beschuldigung gegen einige
Abgeordnete der Rechten, daß sie in der Tabaksregieangelegenheit ihr Votum
für den von der Regierung vorgelegten Vertrag verkauft und in unrecht¬
mäßiger Weise sich an dem Geschäft betheiligt hätten, eine Beschuldigung,
die zuerst in der radicalen Winkelpresse austauchte, und hier mit gerichtlicher
Verurtheilung beantwortet, dann aber mit Berufung auf gestohlene Privat¬
papiere von Abgeordneten in die Kammer selbst gebracht wurde, das geheim¬
nißvolle Attentat auf den Abgeordneten Major Lobbia, über das die gericht¬
liche Untersuchung erst noch die Wahrheit an den Tag bringen soll, die un¬
überlegte Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungscommission und
deren zweideutige Entscheidung, die abenteuerlichen Sensationserfindungen
der Presse und die politischen Zweikämpfe — alle diese peinlichen Vorgänge,
die noch in frischer Erinnerung sind, legten klar vor Augen, wie weit es mit
einer Landesvertretung gekommen war, die sich, einer autoritätsvollen Lei¬
tung entbehrend, lieber in Scandalgeschichten privater Natur vertiefte, als mit
ernstem Willen an der Heilung der Schäden des Staatswesens betheiligte.
Auf der einen Seite hatte sich ein Fanatismus der Verfolgungssucht und
Verleumdung, auf der andern ein Mangel an moralischem Muth gezeigt,
welche im Interesse der Kammer selbst und der schwer geschädigten parla¬
mentarischen Einrichtungen die Schließung der traurigen Bühne verlangten.
Auf diese Vertagung folgte am 20. August der Schluß der unerquicklichen
fruchtlosen Session.

Und was nun? Noch ist über die Ergebnisse der zahlreichen, seither ge¬
haltenen Ministerberathungen nichts Zuverlässiges in die Oeffentlichkeit ge¬
langt. Noch bleibt abzuwarten, mit welchen Entwürfen und Vorlagen die
Regierung bei Eröffnung der neuen Session hervortreten wird. Darin stimmt
Alles überein, daß das dringendste Bedürfniß ist, das Ansehen der Regierung
und der Gesetze zu heben. Durch welche Mittel aber dies geschehen soll,
darüber scheint in dem wenig homogenen Ministerium schwer eine Einigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/20>, abgerufen am 22.07.2024.