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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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sterium des Innern. Von der dritten Partei traten ein Bargoni und Mor¬
dini, jener für den Unterricht, dieser für den Handel. Minghetti übernahm
das Ministerium des Ackerbaus und der öffentlichen Arbeiten. So schien die
alte Mehrheit zunächst in den Führern wiederhergestellt und man durfte auch
in der Kammer auf eine compacte Regierungspartei gegenüber der eigent¬
lichen Linken und damit auf eine rasche Förderung der gesetzgeberischen Ar¬
beiten rechnen.

Diese Hoffnung wurde rasch zertrümmert. Die Zersetzung der Parteien
war doch tiefer, als daß ein Compromiß von Führern mit einemmal den
schlimmen Nachwirkungen hätte Einhalt thun können. Zunächst zeigte es
sich, daß nicht alle Piemontesen ihren Führer bei seiner Schwenkung beglei¬
teten. Einige blieben unversöhnlich, wie es im Ganzen die Turiner Muni-
-cipalpresse blieb; Lanza stellte sich ironisch bei Seite und spottete, die schein¬
bare Versöhnung sei nur eine neue Zweideutigkeit. Aber auch auf der Rechten
war die Freude über den Eintritt der Permanenten in das Ministerium ge¬
mischter Natur. Man begriff nicht, wodurch die bisher Grollenden solches
verdient hätten. Die Persönlichkeit von Ferraris flößte wenig Vertrauen
ein; zumal ein so wichtiges Ministerium wie das des Innern, sah man un¬
gern in den Händen eines Mannes, dessen Ministerrede weder über die bis¬
herige noch über die künftige Haltung der Piemontesen genügende Aufklärungen
gab. War man einverstanden mit der Aussöhnung, so war man es nicht
ebenso mit der Art und Weise, wie sie ins Werk gesetzt wurde, ohne ein klar defi-
nirtes Program und durch die Zusammensetzung eines ungleichartigen Kabinets.
Die ausgeschiedenen Minister waren mißvergnügt und besaßen ihren Anhang;
die Consortorie ihrerseits war unzufrieden, daß Minghetti, dem sie als einem
alten Mitarbeiter Cavour's das Auswärtige zugedacht hatte, sich mit einem
verhältnißmäßig untergeordneten Portefeuille begnügen mußte. Kurz, der
offizielle Jubel verstummte bald. Eine kleinliche Personenfrage -- dies war
doch schließlich die praktische Pointe des großen Versöhnungsfestes gewesen.
War es auch den neuen Ministern unzweifelhaft Ernst mit ihrer gemein¬
samen Aufgabe, so fehlte es ihnen doch an der nöthigen Autorität über die
Kammer, in welcher in der That nichts verändert war. Cambray-Digny
sollte darüber in Bälde belehrt werden.

Am 24. Mai legte er der Kammer seine vielgenannten drei Conventio¬
nen vor: 1) wegen der Uebertragung des Schatzdienstes an die Nationalbank
und die Bank von Toscana; 2) wegen Verschmelzung dieser beiden Banken;
3) den Vertrag mit der Staatsgütergesellschaft zur Uebernahme des Kirchen-
gütergeschästs. Die Stimmung der Kammer war sofort die feindseligste.
Am 1. Juni wies das Privatcomite' nach eintägiger Sitzung die Vorschläge
Cambray-Digny's zurück, es wurde ein Ausschuß gewählt, der fast nur Mit-


sterium des Innern. Von der dritten Partei traten ein Bargoni und Mor¬
dini, jener für den Unterricht, dieser für den Handel. Minghetti übernahm
das Ministerium des Ackerbaus und der öffentlichen Arbeiten. So schien die
alte Mehrheit zunächst in den Führern wiederhergestellt und man durfte auch
in der Kammer auf eine compacte Regierungspartei gegenüber der eigent¬
lichen Linken und damit auf eine rasche Förderung der gesetzgeberischen Ar¬
beiten rechnen.

Diese Hoffnung wurde rasch zertrümmert. Die Zersetzung der Parteien
war doch tiefer, als daß ein Compromiß von Führern mit einemmal den
schlimmen Nachwirkungen hätte Einhalt thun können. Zunächst zeigte es
sich, daß nicht alle Piemontesen ihren Führer bei seiner Schwenkung beglei¬
teten. Einige blieben unversöhnlich, wie es im Ganzen die Turiner Muni-
-cipalpresse blieb; Lanza stellte sich ironisch bei Seite und spottete, die schein¬
bare Versöhnung sei nur eine neue Zweideutigkeit. Aber auch auf der Rechten
war die Freude über den Eintritt der Permanenten in das Ministerium ge¬
mischter Natur. Man begriff nicht, wodurch die bisher Grollenden solches
verdient hätten. Die Persönlichkeit von Ferraris flößte wenig Vertrauen
ein; zumal ein so wichtiges Ministerium wie das des Innern, sah man un¬
gern in den Händen eines Mannes, dessen Ministerrede weder über die bis¬
herige noch über die künftige Haltung der Piemontesen genügende Aufklärungen
gab. War man einverstanden mit der Aussöhnung, so war man es nicht
ebenso mit der Art und Weise, wie sie ins Werk gesetzt wurde, ohne ein klar defi-
nirtes Program und durch die Zusammensetzung eines ungleichartigen Kabinets.
Die ausgeschiedenen Minister waren mißvergnügt und besaßen ihren Anhang;
die Consortorie ihrerseits war unzufrieden, daß Minghetti, dem sie als einem
alten Mitarbeiter Cavour's das Auswärtige zugedacht hatte, sich mit einem
verhältnißmäßig untergeordneten Portefeuille begnügen mußte. Kurz, der
offizielle Jubel verstummte bald. Eine kleinliche Personenfrage — dies war
doch schließlich die praktische Pointe des großen Versöhnungsfestes gewesen.
War es auch den neuen Ministern unzweifelhaft Ernst mit ihrer gemein¬
samen Aufgabe, so fehlte es ihnen doch an der nöthigen Autorität über die
Kammer, in welcher in der That nichts verändert war. Cambray-Digny
sollte darüber in Bälde belehrt werden.

Am 24. Mai legte er der Kammer seine vielgenannten drei Conventio¬
nen vor: 1) wegen der Uebertragung des Schatzdienstes an die Nationalbank
und die Bank von Toscana; 2) wegen Verschmelzung dieser beiden Banken;
3) den Vertrag mit der Staatsgütergesellschaft zur Uebernahme des Kirchen-
gütergeschästs. Die Stimmung der Kammer war sofort die feindseligste.
Am 1. Juni wies das Privatcomite' nach eintägiger Sitzung die Vorschläge
Cambray-Digny's zurück, es wurde ein Ausschuß gewählt, der fast nur Mit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/19>, abgerufen am 22.07.2024.