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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Um für diese Finanzoperationen eine Kawmermehrheit zu erlangen, ver¬
suchte das Ministerium zunächst eine Operation im Parteiwesen der Kammer,
die, wiederholt versucht, immer an der UnVersöhnlichkeit der Gemüther ge-
scheitert war, jetzt aber angesichts der Finanznoth und angesichts der bedroh¬
lichen Stockung der parlamentarischen Arbeiten eine letzte Anstrengung her¬
ausforderte. Es handelte sich um nichts Geringeres als um die Versöhnung
der grollenden Piemontesen. Keine der frondirenden Parteien hatte mehr ge¬
schadet als diese; aus Groll über die Verlegung der Hauptstadt hatten die
von Hause aus conservativen Piemontesen, welche bis zum Herbst 1864 ein
Hauptbestandtheil der ministeriellen Partei gewesen waren, ein unnatürliches
und unmoralisches Bündniß mit der Linken abgeschlossen. Sie hatten nicht
nur aus Haß gegen die Hauptstadt Florenz in das unvernünftige Geschrei
Koma. Capitale eingestimmt, sondern außerdem auch in allen inneren Fragen
den seither gefolgten Ministern hartnäckige Opposition gemacht. Kein Appell
an den Patriotismus hatte die Verbitterung zu überwinden vermocht, welche
die Hauptschuld "n der unerquicklichen Zerklüftung der Parteien trug. Wenn
Cambray-Digny die Versöhnung der "Permanenten" gelang, so war dies
offenbar ein Erfolg von entscheidender Bedeutung, die Bedingung späterer
Erfolge. Schon als er sein neuestes Expose' der Kammer vorlegte, hatten
vertrauliche Verhandlungen mit den Führern der Permanenten begonnen,
selbstverständlich nicht ohne daß man ihnen einen Antheil an der Regierung
in Aussicht stellte. Wirklich kamen sie diesmal dem Wunsch einer Verständi¬
gung entgegen, sie schienen ihrer bisherigen Rolle überdrüssig, von der Mit¬
wirkung zur Herstellung einer geordneten Finanzverwaltung wollten sie sich
nicht länger ausschließen, vielleicht trug auch noch das in derselben Zeit ent¬
deckte mazzinistische Complot zu Mailand bei, ihnen über ihr Coquettiren
mit der Linken das Gewissen zu schärfen -- kurz, Ende April erfuhr man,
daß die Verhandlungen mit dem Turiner Advocaten Ferraris, dem parla¬
mentarischen Führer der Permanenten, zum Abschluß gediehen seien. Die
Aussöhnung wurde besiegelt durch die Neubildung des Ministeriums vom
13. Mai, dessen Zusammensetzung die Union aller Parteien der Rechten dar¬
stellen sollte. Denn auch die dritte Partei sollte jetzt für ihre Unterstützung
des Ministeriums Menabrea belohnt werden, und selbst für die seit dem
Septembervertrag von 1868 verschenken Männer der Consorterie schien die
Zeit gekommen, wieder an den Geschäften Theil zu nehmen. Es war wirklich
das sprechendste Symbol der wiedergefundenen Eintracht, wenn Ferraris,
das Haupt der Permanenten, in Einem Cabinet saß mit Minghetti, der jenen
Vertrag über die Verlegung der Hauptstadt abgeschlossen und damit den Aus¬
bruch des Turiner Municipalgeists veranlaßt hatte; Menabrea behielt das
Auswärtige, wie Cambray-Digny die Finanzen. Ferraris erhielt das Mi-


Um für diese Finanzoperationen eine Kawmermehrheit zu erlangen, ver¬
suchte das Ministerium zunächst eine Operation im Parteiwesen der Kammer,
die, wiederholt versucht, immer an der UnVersöhnlichkeit der Gemüther ge-
scheitert war, jetzt aber angesichts der Finanznoth und angesichts der bedroh¬
lichen Stockung der parlamentarischen Arbeiten eine letzte Anstrengung her¬
ausforderte. Es handelte sich um nichts Geringeres als um die Versöhnung
der grollenden Piemontesen. Keine der frondirenden Parteien hatte mehr ge¬
schadet als diese; aus Groll über die Verlegung der Hauptstadt hatten die
von Hause aus conservativen Piemontesen, welche bis zum Herbst 1864 ein
Hauptbestandtheil der ministeriellen Partei gewesen waren, ein unnatürliches
und unmoralisches Bündniß mit der Linken abgeschlossen. Sie hatten nicht
nur aus Haß gegen die Hauptstadt Florenz in das unvernünftige Geschrei
Koma. Capitale eingestimmt, sondern außerdem auch in allen inneren Fragen
den seither gefolgten Ministern hartnäckige Opposition gemacht. Kein Appell
an den Patriotismus hatte die Verbitterung zu überwinden vermocht, welche
die Hauptschuld «n der unerquicklichen Zerklüftung der Parteien trug. Wenn
Cambray-Digny die Versöhnung der „Permanenten" gelang, so war dies
offenbar ein Erfolg von entscheidender Bedeutung, die Bedingung späterer
Erfolge. Schon als er sein neuestes Expose' der Kammer vorlegte, hatten
vertrauliche Verhandlungen mit den Führern der Permanenten begonnen,
selbstverständlich nicht ohne daß man ihnen einen Antheil an der Regierung
in Aussicht stellte. Wirklich kamen sie diesmal dem Wunsch einer Verständi¬
gung entgegen, sie schienen ihrer bisherigen Rolle überdrüssig, von der Mit¬
wirkung zur Herstellung einer geordneten Finanzverwaltung wollten sie sich
nicht länger ausschließen, vielleicht trug auch noch das in derselben Zeit ent¬
deckte mazzinistische Complot zu Mailand bei, ihnen über ihr Coquettiren
mit der Linken das Gewissen zu schärfen — kurz, Ende April erfuhr man,
daß die Verhandlungen mit dem Turiner Advocaten Ferraris, dem parla¬
mentarischen Führer der Permanenten, zum Abschluß gediehen seien. Die
Aussöhnung wurde besiegelt durch die Neubildung des Ministeriums vom
13. Mai, dessen Zusammensetzung die Union aller Parteien der Rechten dar¬
stellen sollte. Denn auch die dritte Partei sollte jetzt für ihre Unterstützung
des Ministeriums Menabrea belohnt werden, und selbst für die seit dem
Septembervertrag von 1868 verschenken Männer der Consorterie schien die
Zeit gekommen, wieder an den Geschäften Theil zu nehmen. Es war wirklich
das sprechendste Symbol der wiedergefundenen Eintracht, wenn Ferraris,
das Haupt der Permanenten, in Einem Cabinet saß mit Minghetti, der jenen
Vertrag über die Verlegung der Hauptstadt abgeschlossen und damit den Aus¬
bruch des Turiner Municipalgeists veranlaßt hatte; Menabrea behielt das
Auswärtige, wie Cambray-Digny die Finanzen. Ferraris erhielt das Mi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/18>, abgerufen am 22.07.2024.