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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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rief ich dem freundlichen Begleiter nach. In der That erinnerte ich mich,
eine strategische Auslegung der Art schon früher gehört zu haben.

Nach drei Minuten war ich oben und schlug den sich bergauf und ab
schlängelnden Klippenpfad nach Westen ein. Im wehenden Dünengras stehen
in kurzen Zwischenräumen rothe runde Thürme, manchmal so niedrig wie
die Einfassung eines Ziehbrunnens, Man denkt unwillkürlich an Festungs¬
werke, aber es sind nur die Luftschachte, die aus den Tunnels der unten am
Strande und mehrmals durch die Felswand führenden Eisenbahn aufsteigen.
Von rechtswegen, fiel mir ein, sollte ich jetzt die Küste Frankreichs erblicken.
An jenen vollkommen klaren Tagen, die roth im Kalender angestrichen wer¬
den, erkennt nämlich ein gutes Auge von dieser Warte einen schmalen gelben
Streifen, der ig, dslle ?rsve<z vorstellt. Ja, die Lichter und Fenster von
Calais sieht man hier am Abend blitzen. Wer nun gar mit dem schottischen
zweiten Gesicht begabt ist, sah im Jahre 18S8 nach dem Attentat Orsini's,
wie die französischen Obersten drüben wüthend auf dem Sande umhertanzten
und gegen Albion die Faust ballten. Der einzelne Engländer besitzt einen
Ueberfluß an physischem Muth, in eorxorö werden die Engländer leicht von
einer panischen -- ich will nicht sagen Furcht, aber -- Aufregung ergriffen.
Nach den Decembertagen von 1851 war die Erwartung unerhörter Ereig¬
nisse allgemein. Der Urheber des französischen Staatsstreichs hatte einst
vor Gericht es für seine Bestimmung erklärt, Waterloo zu rächen, und Nie¬
mand zweifelte damals, daß L. Napoleon der Mann sei, Wort zu halten.
Das Gespenst einer androhenden Invasion Englands ging daher Tag und
Nacht um. Dem jüngeren Geschlecht verursachte der Lärm nur "me Art von
wollustvollem Grausen. England hatte dem gescnnmten, gegen die Freiheit
verschworenen Europa die Spitze zu bieten, und bald werden sich die Helden¬
thaten aus der Zeit der Armada wiederholen, -- in diesem Gedanken wurde
nach Noten geschwelgt. Gethan wurde von dieser Seite nichts, aber viel
gesprochen von Fernschuß und Kernschuß und von dem lustigen kleinen Krieg
hinter den lebendigen Hecken der südlichen Grafschaften, der den Feind all-
mälig und sicher aufreiben werde. Würdevolle Spießbürger vom alten
Schlage hatten eine Besorgniß eigener Art. "El", sagten sie, "wenn die
Franzosen wirklich landen, kommen sie ja halbtodt vor Seekrankheit auf den
Strand, wo jeder Bauer sie mit dem Knüttel wie die Seehunde niedermacht.
Haufenweise ergeben sie sich dann dem ersten besten Policeman, und Tausen¬
den bleibt nichts übrig, als sich naturalisiren zu lassen. Dann kriegen wir
viel fremdes Element ins Land und das verdirbt unsere Sitten und unsere
Frauenzimmer." -- Es fehlte aber auch nicht an ehrlicher Furcht. Lord
I. Russell hatte einst geäußert, daß der Dampf den Canal überbrückt habe;
ein Wort des Schreckens für ängstliche Familienväter. In den Zeitungen


rief ich dem freundlichen Begleiter nach. In der That erinnerte ich mich,
eine strategische Auslegung der Art schon früher gehört zu haben.

Nach drei Minuten war ich oben und schlug den sich bergauf und ab
schlängelnden Klippenpfad nach Westen ein. Im wehenden Dünengras stehen
in kurzen Zwischenräumen rothe runde Thürme, manchmal so niedrig wie
die Einfassung eines Ziehbrunnens, Man denkt unwillkürlich an Festungs¬
werke, aber es sind nur die Luftschachte, die aus den Tunnels der unten am
Strande und mehrmals durch die Felswand führenden Eisenbahn aufsteigen.
Von rechtswegen, fiel mir ein, sollte ich jetzt die Küste Frankreichs erblicken.
An jenen vollkommen klaren Tagen, die roth im Kalender angestrichen wer¬
den, erkennt nämlich ein gutes Auge von dieser Warte einen schmalen gelben
Streifen, der ig, dslle ?rsve<z vorstellt. Ja, die Lichter und Fenster von
Calais sieht man hier am Abend blitzen. Wer nun gar mit dem schottischen
zweiten Gesicht begabt ist, sah im Jahre 18S8 nach dem Attentat Orsini's,
wie die französischen Obersten drüben wüthend auf dem Sande umhertanzten
und gegen Albion die Faust ballten. Der einzelne Engländer besitzt einen
Ueberfluß an physischem Muth, in eorxorö werden die Engländer leicht von
einer panischen — ich will nicht sagen Furcht, aber — Aufregung ergriffen.
Nach den Decembertagen von 1851 war die Erwartung unerhörter Ereig¬
nisse allgemein. Der Urheber des französischen Staatsstreichs hatte einst
vor Gericht es für seine Bestimmung erklärt, Waterloo zu rächen, und Nie¬
mand zweifelte damals, daß L. Napoleon der Mann sei, Wort zu halten.
Das Gespenst einer androhenden Invasion Englands ging daher Tag und
Nacht um. Dem jüngeren Geschlecht verursachte der Lärm nur «me Art von
wollustvollem Grausen. England hatte dem gescnnmten, gegen die Freiheit
verschworenen Europa die Spitze zu bieten, und bald werden sich die Helden¬
thaten aus der Zeit der Armada wiederholen, — in diesem Gedanken wurde
nach Noten geschwelgt. Gethan wurde von dieser Seite nichts, aber viel
gesprochen von Fernschuß und Kernschuß und von dem lustigen kleinen Krieg
hinter den lebendigen Hecken der südlichen Grafschaften, der den Feind all-
mälig und sicher aufreiben werde. Würdevolle Spießbürger vom alten
Schlage hatten eine Besorgniß eigener Art. „El", sagten sie, „wenn die
Franzosen wirklich landen, kommen sie ja halbtodt vor Seekrankheit auf den
Strand, wo jeder Bauer sie mit dem Knüttel wie die Seehunde niedermacht.
Haufenweise ergeben sie sich dann dem ersten besten Policeman, und Tausen¬
den bleibt nichts übrig, als sich naturalisiren zu lassen. Dann kriegen wir
viel fremdes Element ins Land und das verdirbt unsere Sitten und unsere
Frauenzimmer." — Es fehlte aber auch nicht an ehrlicher Furcht. Lord
I. Russell hatte einst geäußert, daß der Dampf den Canal überbrückt habe;
ein Wort des Schreckens für ängstliche Familienväter. In den Zeitungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/156>, abgerufen am 22.07.2024.