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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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richtet hatte. Lange kasernenartige Forts krönen jetzt einen Theil des Dünen¬
kammes und selbst vom Scheitel des Shakespeare sollten während meines
letzten Besuchs 11 Fuß abgetragen werden, um darauf eine Bastion zu er¬
richten. Die Bauten wurden begonnen, bald nachdem die erste Londoner
Weltausstellung die Philanthropen veranlaßt hatte, den Anfang -- ein Jr-
länder meinte, den "Ausbruch" -- des ewigen Friedens zu verkünden; und
von Zeit zu Zeit wird noch fortgebaut zum Aerger der Friedensfreunde und
zum Vergnügen des verewigten Herzogs (von Wellington), der halb vom
Dies- und halb vom Jenseits aus den "kostspieligen Unsinn" angestiftet hat.
Auf gewissen Punkten, wie in Portsmouth, Chatham und Liverpool -- das
gibt auch ein Quäker unter vier Augen zu -- kann ein recht dicker Wall
nicht schaden, damit "unsere lebhaften Nachbarn" sich nicht einmal den Spaß
machen, ein paar englische Spiegelscheiben einzuschmeißen, nämlich ein Arsenal
oder Bauwerft zu verbrennen. Aber Dover zu schützen scheint auf den ersten
Blick eben so unnöthig wie eine chinesische Mauer um die Insel zu ziehen.
Der kleine Hafen ist nur wenigen Postdampfern und leichten Fahrzeugen, im
Sturm auch diesen schwer zugänglich; überdies beherrschen die Geschütze des
Schlosses jede Wellenspitze darin. Trotzdem haben die neuen Forts wahr¬
scheinlich einen Zweck, den kein Verstand der verständigen Laien sieht. Ich
brachte das Gespräch auf den Gegenstand mit dem Bemerken, daß im nächsten
Kriege wohl Strandbatterien und Landtruppen eine größere Rolle spielen
würden als die Flotte. -- "Wohl möglich", erwiederte der Sergeant, "aber
haltet nur die Blaujacken in Ehren. Ich war in der Krimm" (auf seine Me¬
daillen zeigend), "doch, sehen Sie, ich bin zuerst Engländer und dann Soldat,
und als Engländer lieb ich die See und den Seemann. Invasion ist Hum¬
bug, denn das alte Lied sagt: Großbritannien braucht keine Festungen." Er
dachte ohne Zweifel an die volksthümlichen Zeilen von Dibdin:


"Lriwrmi-r noaüs ne> bulvvarlcs,
M tovsrs along tho stssx,
Her march is o'ör the> mountain >vavo,
Hör homo is on tlro äsox." *)

"Nun, wozu mögen diese Festungen bestimmt sein?" fragte ich. -- "Ich
glaube", entgsgnete er lächelnd, "gegen Wilhelm den Eroberer. Wenn dieser
Teufelskerl nochmals zur Welt kommt, landet er gewiß wieder in Hastings
und wird durch Sussex gegen London rücken; dann wird ihm die scharfe Ecke
von Kent ein Dorn in der Seite und ein Pfahl im Fleische sein. Guten
Morgen, Sir." -- "Inere ig symstnms in tlurt" (das ist nicht ganz ohne),



Kein Bollwerk braucht Britcmrna, keine Thürme längs dem Strand; ihr Marsch geht
über den Wogenberg, ihre Burg ist die hohe See.
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richtet hatte. Lange kasernenartige Forts krönen jetzt einen Theil des Dünen¬
kammes und selbst vom Scheitel des Shakespeare sollten während meines
letzten Besuchs 11 Fuß abgetragen werden, um darauf eine Bastion zu er¬
richten. Die Bauten wurden begonnen, bald nachdem die erste Londoner
Weltausstellung die Philanthropen veranlaßt hatte, den Anfang — ein Jr-
länder meinte, den „Ausbruch" — des ewigen Friedens zu verkünden; und
von Zeit zu Zeit wird noch fortgebaut zum Aerger der Friedensfreunde und
zum Vergnügen des verewigten Herzogs (von Wellington), der halb vom
Dies- und halb vom Jenseits aus den „kostspieligen Unsinn" angestiftet hat.
Auf gewissen Punkten, wie in Portsmouth, Chatham und Liverpool — das
gibt auch ein Quäker unter vier Augen zu — kann ein recht dicker Wall
nicht schaden, damit „unsere lebhaften Nachbarn" sich nicht einmal den Spaß
machen, ein paar englische Spiegelscheiben einzuschmeißen, nämlich ein Arsenal
oder Bauwerft zu verbrennen. Aber Dover zu schützen scheint auf den ersten
Blick eben so unnöthig wie eine chinesische Mauer um die Insel zu ziehen.
Der kleine Hafen ist nur wenigen Postdampfern und leichten Fahrzeugen, im
Sturm auch diesen schwer zugänglich; überdies beherrschen die Geschütze des
Schlosses jede Wellenspitze darin. Trotzdem haben die neuen Forts wahr¬
scheinlich einen Zweck, den kein Verstand der verständigen Laien sieht. Ich
brachte das Gespräch auf den Gegenstand mit dem Bemerken, daß im nächsten
Kriege wohl Strandbatterien und Landtruppen eine größere Rolle spielen
würden als die Flotte. — „Wohl möglich", erwiederte der Sergeant, „aber
haltet nur die Blaujacken in Ehren. Ich war in der Krimm" (auf seine Me¬
daillen zeigend), „doch, sehen Sie, ich bin zuerst Engländer und dann Soldat,
und als Engländer lieb ich die See und den Seemann. Invasion ist Hum¬
bug, denn das alte Lied sagt: Großbritannien braucht keine Festungen." Er
dachte ohne Zweifel an die volksthümlichen Zeilen von Dibdin:


„Lriwrmi-r noaüs ne> bulvvarlcs,
M tovsrs along tho stssx,
Her march is o'ör the> mountain >vavo,
Hör homo is on tlro äsox." *)

„Nun, wozu mögen diese Festungen bestimmt sein?" fragte ich. — „Ich
glaube", entgsgnete er lächelnd, „gegen Wilhelm den Eroberer. Wenn dieser
Teufelskerl nochmals zur Welt kommt, landet er gewiß wieder in Hastings
und wird durch Sussex gegen London rücken; dann wird ihm die scharfe Ecke
von Kent ein Dorn in der Seite und ein Pfahl im Fleische sein. Guten
Morgen, Sir." — „Inere ig symstnms in tlurt" (das ist nicht ganz ohne),



Kein Bollwerk braucht Britcmrna, keine Thürme längs dem Strand; ihr Marsch geht
über den Wogenberg, ihre Burg ist die hohe See.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/155>, abgerufen am 22.07.2024.