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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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gut thun, diese Frage recht nüchtern zu beantworten. Ist ein Buch auf
einen verhältntßmäßig kleinen Kreis von Lesern angelegt, welche verschiede¬
nen Nationalitäten angehören, z. B. wissenschaftliche Untersuchungen, so wird
die Benutzung lateinischer Lettern dem Autor und Verleger als vortheilhaft
erscheinen, bei allen Werken, welche vorzugsweise sür die Deutschen geschrieben
sind, vollends bei denen, welche ihre Leser auch in den kleinen Kreisen des
Volkes zu suchen haben, wäre ein Aufgeben der deutschen Druckschrift nicht
nur eine Thorheit, auch ein Unrecht.

Es ist aber auch gar kein Grund, principiell, durch Mahnung und Ein¬
wirkung auf Schule und Volk unsere Schrift zu beschränken. Im Gegen¬
theil, wir wollen diese Eigenthümlichkeit germanischen Lebens nicht über
ihren Werth schätzen, aber wir wollen sie als ein kleines vertrautes Erbstück
von unsern Ahnen her auch nicht wegwerfen, um den Fremden zu gefallen.
Zuerst kommen unsere Landsleute, dann erst die Fremden. Wenn der Fremde
unsere Geschichtsbücher. Erzählungen, Gedichte deshalb mit geringerem Be¬
hagen liest, weil er an am Buchstaben stößt, so ist das seine Sache. Uns
soll mehr daran gelegen sein, daß unsere Nächsten, d. h. unsere Landsleute,
die Lectüre behaglich finden. Und unsere Schriftsteller huben sich nur Mühe
zu geben, recht Vortreffliches zu schreiben, um die Fremden zur Bekanntschaft
mit den deutschen Buchstaben zu zwingen.

Auch die lateinische Schrift, die Antiqua, hat in Deutschland eine ge¬
schichtliche Entwickelung.

Im Lause des fünfzehnten Jahrhunderts wurden deutsche und lateinische
Werke mit derselben Schrift geschrieben und nach Erfindung der Buchdrucker¬
kunst auch mit derselben Schrift gedruckt. Der Bamberger Drucker Pf ist er
druckte z. B. seine lateinische 36zellige Bibel (1456--1460) genau mit den¬
selben Typen, mit denen er Boners Fabelbuch (1462) und die Vier Historien
(1462) herstellte. Bald fing man indeß an, die runde Schrift wieder in
Schrift und Druck anzuwenden, wofür damals die Veranlassung nahe lag.
Rudolph Lange (1439--1319). Rudolph Agricola (1443--1485), Alexander
Regius und andere waren in Italien gewesen, hatten dort italienische
Schreibweise kennen gelernt, und brachten den Eifer sür die Studien des
classischen Alterthums in ihre Heimat. Bald wurden Schulen nach dem
Muster der italienischen Lehranstalten eingerichtet und überhaupt eine Thätig¬
keit entfaltet, welche nur in dem Studium der Naturwissenschaften ihres
Gleichen hatte. Alles sehnte sich, möglichst viele Autoren des Alterthums
so rasch als thunlich kennen zu lernen, und griff, wo dieses immer geschehen
konnte, nach den inzwischen in Italien gedruckten Ausgaben, da Handschriften
sowie Drucke in Deutschland selten waren. Dadurch wurde aber die in
Italien nach handschriftlichen Vorlagen zum Druck angewendete und bereits


gut thun, diese Frage recht nüchtern zu beantworten. Ist ein Buch auf
einen verhältntßmäßig kleinen Kreis von Lesern angelegt, welche verschiede¬
nen Nationalitäten angehören, z. B. wissenschaftliche Untersuchungen, so wird
die Benutzung lateinischer Lettern dem Autor und Verleger als vortheilhaft
erscheinen, bei allen Werken, welche vorzugsweise sür die Deutschen geschrieben
sind, vollends bei denen, welche ihre Leser auch in den kleinen Kreisen des
Volkes zu suchen haben, wäre ein Aufgeben der deutschen Druckschrift nicht
nur eine Thorheit, auch ein Unrecht.

Es ist aber auch gar kein Grund, principiell, durch Mahnung und Ein¬
wirkung auf Schule und Volk unsere Schrift zu beschränken. Im Gegen¬
theil, wir wollen diese Eigenthümlichkeit germanischen Lebens nicht über
ihren Werth schätzen, aber wir wollen sie als ein kleines vertrautes Erbstück
von unsern Ahnen her auch nicht wegwerfen, um den Fremden zu gefallen.
Zuerst kommen unsere Landsleute, dann erst die Fremden. Wenn der Fremde
unsere Geschichtsbücher. Erzählungen, Gedichte deshalb mit geringerem Be¬
hagen liest, weil er an am Buchstaben stößt, so ist das seine Sache. Uns
soll mehr daran gelegen sein, daß unsere Nächsten, d. h. unsere Landsleute,
die Lectüre behaglich finden. Und unsere Schriftsteller huben sich nur Mühe
zu geben, recht Vortreffliches zu schreiben, um die Fremden zur Bekanntschaft
mit den deutschen Buchstaben zu zwingen.

Auch die lateinische Schrift, die Antiqua, hat in Deutschland eine ge¬
schichtliche Entwickelung.

Im Lause des fünfzehnten Jahrhunderts wurden deutsche und lateinische
Werke mit derselben Schrift geschrieben und nach Erfindung der Buchdrucker¬
kunst auch mit derselben Schrift gedruckt. Der Bamberger Drucker Pf ist er
druckte z. B. seine lateinische 36zellige Bibel (1456—1460) genau mit den¬
selben Typen, mit denen er Boners Fabelbuch (1462) und die Vier Historien
(1462) herstellte. Bald fing man indeß an, die runde Schrift wieder in
Schrift und Druck anzuwenden, wofür damals die Veranlassung nahe lag.
Rudolph Lange (1439—1319). Rudolph Agricola (1443—1485), Alexander
Regius und andere waren in Italien gewesen, hatten dort italienische
Schreibweise kennen gelernt, und brachten den Eifer sür die Studien des
classischen Alterthums in ihre Heimat. Bald wurden Schulen nach dem
Muster der italienischen Lehranstalten eingerichtet und überhaupt eine Thätig¬
keit entfaltet, welche nur in dem Studium der Naturwissenschaften ihres
Gleichen hatte. Alles sehnte sich, möglichst viele Autoren des Alterthums
so rasch als thunlich kennen zu lernen, und griff, wo dieses immer geschehen
konnte, nach den inzwischen in Italien gedruckten Ausgaben, da Handschriften
sowie Drucke in Deutschland selten waren. Dadurch wurde aber die in
Italien nach handschriftlichen Vorlagen zum Druck angewendete und bereits


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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/102>, abgerufen am 23.06.2024.