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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Daß der runde, breite und fettstrichige Schnitt der lateinischen Lettern für
die zahlreichen ziemlich harten Consonantenverbindungen der deutschen Sprache
weniger paßt als deutsche Schrift, ist unleugbar, denn die vollen, festgeschlos¬
senen lateinischen Buchstaben setzen sich im Druck sehr von einander ab, -- was
beim Federzuge der Handschriften allerdings die Deutlichkeit vermehrt -- die
schmäleren und längeren deutschen Lettern weisen mit ihren Spitzen und Ecken
das Auge unablässig vorwärts.

Endlich wird ein Tadel gegen die deutsche Fracturschrift auch daraus
abgeleitet, "daß sie alle Drucker zwinge, sich mit dem zweifachen Vorrath
lateinischer und deutscher Typen auszurüsten, während in Italien, Fransreich :c.
Latein und Vulgär mit denselben Lettern gesetzt wird." -- Wie aber darf man
den Besitz eines selbständigen Schrifttypus nach dem so ganz und gar äußeren
Umstand messen, daß die Druckereien, -- welche, nebenbei bemerkt, heut zu Tage
selbst mit Zierschriften aller Art überladen sind, -- einen größeren Schrift¬
vorrath nöthig haben? Während Franzosen und Engländer in Erfindung
neuer Schriftarten unerschöpflich sind, während die Franzosen in neuester Zeit
wieder nach dem Muster der einstmals aus Deutschland eingedrungenen
Typen sogenannte Nenaissaneetypen gießen, sollen wir -- um die Druckereien
nicht zu belästigen, unsere mit der Sprache ziemlich fest zusammenhängende
Schrift aufgeben? Das ist ein Tadel, dem sich nur der vergleicht, "daß die
deutsche Schrift nöthige, in der Schule die Zahl der Alphabete zu verdop¬
peln. Jedes Kind müsse für ein Zeichen acht lernen, wo die Hälfte aus¬
reichte." -- Zunächst sind die Formen so verwandt, daß eine zur anderen
überführt. Und uns scheint, daß auch das Auseinanderfallen der zahlreichen
verwandten Anschauungen und die Aufmerksamkeit auf die kleinen Verschie¬
denheiten unseren Schülern nicht unnütz ist.

Eine ganz andere Frage ist, ob wir zweckmäßig handeln, wenn wir
unsere nationale Druckschrift, die einen verhältnißmäßig kleinen Verbreitungs¬
bezirk auf der Erde hat, in einer Zeit beibehalten wollen, wo man jede
Erleichterung des internationalen Verkehrs begünstigt, und in Münze, Maß,
Gewicht die altheimische Ueberlieferung aufgegeben hat. In Wahrheit hat die
Frage, ob Fractur, ob Antiqua für uns einige Aehnltchkeit mit der Frage,
ob Silber-, ob Goldwährung. Es ist kein Zweifel, daß unsere Druckschrift
die Verbreitung deutscher Bücher nicht begünstigt, und wir haben uns von
Jacob Grimm sagen lassen, daß sie allen Fremden widerlich ist. Es ist kein
Zweifel, daß dem gebildeten Engländer und Franzosen, selbst wenn seine
Sprachkenntniß ihn befähigt ein deutsches Buch zu lesen, die deutsche Druck¬
schrift fast immer so ungemüthlich bleibt, wie dem großen deutschen Lese-
publicum die lateinische, z. B. in der Zwickauer Uebersetzung von Walter
Scott, welche zu ihrer Zeit allen Leihbibliothekaren verhaßt war. Man wird


Daß der runde, breite und fettstrichige Schnitt der lateinischen Lettern für
die zahlreichen ziemlich harten Consonantenverbindungen der deutschen Sprache
weniger paßt als deutsche Schrift, ist unleugbar, denn die vollen, festgeschlos¬
senen lateinischen Buchstaben setzen sich im Druck sehr von einander ab, — was
beim Federzuge der Handschriften allerdings die Deutlichkeit vermehrt — die
schmäleren und längeren deutschen Lettern weisen mit ihren Spitzen und Ecken
das Auge unablässig vorwärts.

Endlich wird ein Tadel gegen die deutsche Fracturschrift auch daraus
abgeleitet, „daß sie alle Drucker zwinge, sich mit dem zweifachen Vorrath
lateinischer und deutscher Typen auszurüsten, während in Italien, Fransreich :c.
Latein und Vulgär mit denselben Lettern gesetzt wird." — Wie aber darf man
den Besitz eines selbständigen Schrifttypus nach dem so ganz und gar äußeren
Umstand messen, daß die Druckereien, — welche, nebenbei bemerkt, heut zu Tage
selbst mit Zierschriften aller Art überladen sind, — einen größeren Schrift¬
vorrath nöthig haben? Während Franzosen und Engländer in Erfindung
neuer Schriftarten unerschöpflich sind, während die Franzosen in neuester Zeit
wieder nach dem Muster der einstmals aus Deutschland eingedrungenen
Typen sogenannte Nenaissaneetypen gießen, sollen wir — um die Druckereien
nicht zu belästigen, unsere mit der Sprache ziemlich fest zusammenhängende
Schrift aufgeben? Das ist ein Tadel, dem sich nur der vergleicht, „daß die
deutsche Schrift nöthige, in der Schule die Zahl der Alphabete zu verdop¬
peln. Jedes Kind müsse für ein Zeichen acht lernen, wo die Hälfte aus¬
reichte." — Zunächst sind die Formen so verwandt, daß eine zur anderen
überführt. Und uns scheint, daß auch das Auseinanderfallen der zahlreichen
verwandten Anschauungen und die Aufmerksamkeit auf die kleinen Verschie¬
denheiten unseren Schülern nicht unnütz ist.

Eine ganz andere Frage ist, ob wir zweckmäßig handeln, wenn wir
unsere nationale Druckschrift, die einen verhältnißmäßig kleinen Verbreitungs¬
bezirk auf der Erde hat, in einer Zeit beibehalten wollen, wo man jede
Erleichterung des internationalen Verkehrs begünstigt, und in Münze, Maß,
Gewicht die altheimische Ueberlieferung aufgegeben hat. In Wahrheit hat die
Frage, ob Fractur, ob Antiqua für uns einige Aehnltchkeit mit der Frage,
ob Silber-, ob Goldwährung. Es ist kein Zweifel, daß unsere Druckschrift
die Verbreitung deutscher Bücher nicht begünstigt, und wir haben uns von
Jacob Grimm sagen lassen, daß sie allen Fremden widerlich ist. Es ist kein
Zweifel, daß dem gebildeten Engländer und Franzosen, selbst wenn seine
Sprachkenntniß ihn befähigt ein deutsches Buch zu lesen, die deutsche Druck¬
schrift fast immer so ungemüthlich bleibt, wie dem großen deutschen Lese-
publicum die lateinische, z. B. in der Zwickauer Uebersetzung von Walter
Scott, welche zu ihrer Zeit allen Leihbibliothekaren verhaßt war. Man wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/101>, abgerufen am 24.08.2024.