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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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leidigend sein". zu welchen Belege die "Ungeheuer BPGI einem L ? -Ä 5
gegenübergestellt werden, mit der Bemerkung, daß hier überall die einfachen
Striche verschnörkelt, verknorzt erscheinen." -- Ob die einfache, einförmig
harte Verbindung von Kreissegmenten und geraden Strichen in der lateini¬
schen Schrift oder die geschnörkelte Brechung der Curven und geraden Linien
in der deutschen dem modernen Auge wohlgefälliger erscheinen müsse, soll
hier nicht ausgemacht werden. Das Schönheitsbedürfniß in Formen, welche
an sich gar nicht in -den Bereich schöner Kunst fallen, wird zu sehr bestimmt
durch Gewohnheit. Laune und Mode, am verständigsten noch durch die Rück¬
sicht auf Zweckmäßigkeit. Das Schönheitsgefühl, welches sich der moderne
Mensch durch seine Kunstanschauungen erworben, macht sich in diesen kleinen,
an sich unkünstlerischen Formen und Gegenständen zu unserer Zeit sehr un¬
sicher geltend. Dagegen ist sicher, daß die alten Handschristenschreiber in
Deutschland nicht nur durch die Beschaffenheit ihres Rohrs und ihrer Tinte
zu den Ecken und dem gebrochenen Schwunge der römischen Buchstaben
kamen, sondern daß sie in dem behaglichen Genuß ihres Schreibens auch ein
gewisses gemüthliches Bedürfniß fühlten, die kalte Einförmigkeit der lateini¬
schen Schriftzüge zu verschönern, indem sie Knöpfe und scharfe Kanten daran
bildeten, dem Geraden einen kleinen Schwung gaben, dem Bogen einen Haken
und eine Brechung zufügten. Und eben so sicher ist, daß Albrecht Dürer
bei seiner Aufstellung der Buchstabenproportionen und bei den Nuancen, die
er in den deutschen Ductus brachte, durch sein künstlerisches Stilgefühl Urtheil
und Sicherheit für seine Aenderungen erhielt. Freilich hat im Laufe des
siebenzehnten Jahrhunderts, in welchem leider überhaupt Geschmacklosigkeit in
das deutsche Leben und die deutsche Kunst einkehrte, auch die deutsche Fractur-
schrift Vieles von ihrer ursprünglichen Schönheit verloren; dieser Zustand hat
indeß nicht lange gedauert, und als sich der Kunstgeschmack wieder hob, hat
auch unsere Schrift sich gebessert, obwohl nicht geleugnet werden soll, daß in
der modernen Gliederung unserer Buchstaben der kräftige und sichere Schwung
der Typen Schöffer's und Dürer's nicht wiedergefunden ist und daß an
Stelle der verhältnißmäßig sicheren Stilempfindung, welche jenen Alten die
Gothik gab, bei denen, welche unsere Lettern schneiden. Unsicherheit und Will¬
kür nicht zu verkennen ist.

Der Vorwurf aber ist völlig unwahr, daß die lateinische Druckschrift sich
leichter liest als die länger gezogene deutsche; denn die runde lateinische Form
greift die Augen weit mehr an als die auf gleichem Kegel geschnittene
deutsche, an deren Ecken und vielfach gegliederten vom Felder ins Magere
streichenden Linien das Auge schneller das Charakteristische der Buchstaben
faßt. Darüber kann freilich nur urtheilen, wer gewöhnt ist, Fractur und
Antiqua in Büchern ähnlichen Inhalts gleich oft und gleich lange zu lesen.


leidigend sein". zu welchen Belege die „Ungeheuer BPGI einem L ? -Ä 5
gegenübergestellt werden, mit der Bemerkung, daß hier überall die einfachen
Striche verschnörkelt, verknorzt erscheinen." — Ob die einfache, einförmig
harte Verbindung von Kreissegmenten und geraden Strichen in der lateini¬
schen Schrift oder die geschnörkelte Brechung der Curven und geraden Linien
in der deutschen dem modernen Auge wohlgefälliger erscheinen müsse, soll
hier nicht ausgemacht werden. Das Schönheitsbedürfniß in Formen, welche
an sich gar nicht in -den Bereich schöner Kunst fallen, wird zu sehr bestimmt
durch Gewohnheit. Laune und Mode, am verständigsten noch durch die Rück¬
sicht auf Zweckmäßigkeit. Das Schönheitsgefühl, welches sich der moderne
Mensch durch seine Kunstanschauungen erworben, macht sich in diesen kleinen,
an sich unkünstlerischen Formen und Gegenständen zu unserer Zeit sehr un¬
sicher geltend. Dagegen ist sicher, daß die alten Handschristenschreiber in
Deutschland nicht nur durch die Beschaffenheit ihres Rohrs und ihrer Tinte
zu den Ecken und dem gebrochenen Schwunge der römischen Buchstaben
kamen, sondern daß sie in dem behaglichen Genuß ihres Schreibens auch ein
gewisses gemüthliches Bedürfniß fühlten, die kalte Einförmigkeit der lateini¬
schen Schriftzüge zu verschönern, indem sie Knöpfe und scharfe Kanten daran
bildeten, dem Geraden einen kleinen Schwung gaben, dem Bogen einen Haken
und eine Brechung zufügten. Und eben so sicher ist, daß Albrecht Dürer
bei seiner Aufstellung der Buchstabenproportionen und bei den Nuancen, die
er in den deutschen Ductus brachte, durch sein künstlerisches Stilgefühl Urtheil
und Sicherheit für seine Aenderungen erhielt. Freilich hat im Laufe des
siebenzehnten Jahrhunderts, in welchem leider überhaupt Geschmacklosigkeit in
das deutsche Leben und die deutsche Kunst einkehrte, auch die deutsche Fractur-
schrift Vieles von ihrer ursprünglichen Schönheit verloren; dieser Zustand hat
indeß nicht lange gedauert, und als sich der Kunstgeschmack wieder hob, hat
auch unsere Schrift sich gebessert, obwohl nicht geleugnet werden soll, daß in
der modernen Gliederung unserer Buchstaben der kräftige und sichere Schwung
der Typen Schöffer's und Dürer's nicht wiedergefunden ist und daß an
Stelle der verhältnißmäßig sicheren Stilempfindung, welche jenen Alten die
Gothik gab, bei denen, welche unsere Lettern schneiden. Unsicherheit und Will¬
kür nicht zu verkennen ist.

Der Vorwurf aber ist völlig unwahr, daß die lateinische Druckschrift sich
leichter liest als die länger gezogene deutsche; denn die runde lateinische Form
greift die Augen weit mehr an als die auf gleichem Kegel geschnittene
deutsche, an deren Ecken und vielfach gegliederten vom Felder ins Magere
streichenden Linien das Auge schneller das Charakteristische der Buchstaben
faßt. Darüber kann freilich nur urtheilen, wer gewöhnt ist, Fractur und
Antiqua in Büchern ähnlichen Inhalts gleich oft und gleich lange zu lesen.


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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/100>, abgerufen am 24.08.2024.