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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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sich gegen die mächtige Organisation der Hierarchie in Irland zu wehren;
solle sie aufhören, Staatsinstitut zu sein, so sei es doch ungerecht, ihr alles
Eigenthum zu nehmen. Dieser Vorwurf gegen die Gladstone'sche Bill war
unzweifelhaft berechtigt und die Minister im Oberhause, die Lords Granville,
Kimberley und Argyll standen mit ihrer Verneinung desselben ziemlich allein.
Dagegen erkannte die gesammte gemäßigt conservative Partei, durch deren
Hülse allein der Sieg erfochten ward, an, dahin dieser Beziehung Abhülfe nöthig
sei; namentlich müsse für die in den inneren Theilen des Landes zerstreuten
Protestanten gesorgt werden, da man dieselben sonst in die Alternative setze,
ihre Kinder ohne Erziehung zu lassen, sie katholisch zu erziehen oder aus¬
zuwandern. Aber, hoben jene Peers hervor, grade um derartige Abände¬
rungen der Bill zu bewirken, müsse man die zweite Lesung annehmen. Die
Frage sei jetzt eine ganz andere als voriges Jahr, wo Gladstone's Suspensory-
Bill dem Oberhause vorgelegen. Diese sei aus reinen Parteimotiven hervor¬
gegangen, ihre Annahme würde die irische Kirche desorganisirt haben, ehe eine
neue Organisation geschaffen worden, und das Haus für die Discussion einer
solchen in die ungünstigste Lage gesetzt haben. Inzwischen hätten die Wahlen
zum Unterhause unzweifelhaft entschieden, daß die Nation in ihrer großen
Majorität das Aufhören der Minoritäts-Staatskirche, das äiseztlrbliLNwsnt
wolle, und es sei eine eitle Hoffnung, zu glauben, daß dies Verbiet des
Volkes noch abzuändern sei. "Wenn", sagte Loro Grey, "eine Meinung sich
langsam, aber stetig im Volke gebildet hat, wenn die Flut wie in der gegen¬
wärtigen Frage zu Gunsten eines Wechsels zu steigen beginnt, wird sie so
wenig wieder zurücklaufen, als ein Fluß von der See weg; setzen Sie sich,
Mylords, nicht in Widerspruch mit der Nation. Sie können nicht hoffen,
diese Bill bei Seite zu schieben, Sie können nur einen kurzen Aufschub be¬
wirken, sie werden damit aber zugleich die größten Gefahren heraufbeschwören,
die Bill wird wiederkommen und dann unverändert angenommen werden
müssen. Hätte das Oberhaus die Reformbill von 1831 acceptirt, so wäre die
von 1832 unnöthig geworden, von der der Schrei erging, die Bill, die ganze
Bill, nichts als die Bill." Lord Salisbury setzte in seiner meisterhaften Rede
in gleichem Sinne die Bedeutung und Aufgabe des Oberhauses auseinander.
"Der Zweck eines zweiten Hauses ist, die Lücken zu ergänzen und die Fehler
zu verbessern, welche in den Berathungen des ersten Hauses vorkommen.
In neunundneunzig Fällen von hundert interessirt die Nation sich nicht für
unsere Politik und in allen diesen Fällen ist kein Unterschied zwischen Lords
und Gemeinen. Dann aber gibt es einzelne Fälle, wo die Nation zu Rathe
gezogen werden muß, um die Politik der Regierung zu entscheiden. Es kann
sein, daß das Unterhaus Unrecht hat; dann müssen die Lords darauf be¬
stehen, daß die Nation durch Neuwahlen befragt werde, aber wenn sie darauf


sich gegen die mächtige Organisation der Hierarchie in Irland zu wehren;
solle sie aufhören, Staatsinstitut zu sein, so sei es doch ungerecht, ihr alles
Eigenthum zu nehmen. Dieser Vorwurf gegen die Gladstone'sche Bill war
unzweifelhaft berechtigt und die Minister im Oberhause, die Lords Granville,
Kimberley und Argyll standen mit ihrer Verneinung desselben ziemlich allein.
Dagegen erkannte die gesammte gemäßigt conservative Partei, durch deren
Hülse allein der Sieg erfochten ward, an, dahin dieser Beziehung Abhülfe nöthig
sei; namentlich müsse für die in den inneren Theilen des Landes zerstreuten
Protestanten gesorgt werden, da man dieselben sonst in die Alternative setze,
ihre Kinder ohne Erziehung zu lassen, sie katholisch zu erziehen oder aus¬
zuwandern. Aber, hoben jene Peers hervor, grade um derartige Abände¬
rungen der Bill zu bewirken, müsse man die zweite Lesung annehmen. Die
Frage sei jetzt eine ganz andere als voriges Jahr, wo Gladstone's Suspensory-
Bill dem Oberhause vorgelegen. Diese sei aus reinen Parteimotiven hervor¬
gegangen, ihre Annahme würde die irische Kirche desorganisirt haben, ehe eine
neue Organisation geschaffen worden, und das Haus für die Discussion einer
solchen in die ungünstigste Lage gesetzt haben. Inzwischen hätten die Wahlen
zum Unterhause unzweifelhaft entschieden, daß die Nation in ihrer großen
Majorität das Aufhören der Minoritäts-Staatskirche, das äiseztlrbliLNwsnt
wolle, und es sei eine eitle Hoffnung, zu glauben, daß dies Verbiet des
Volkes noch abzuändern sei. „Wenn", sagte Loro Grey, „eine Meinung sich
langsam, aber stetig im Volke gebildet hat, wenn die Flut wie in der gegen¬
wärtigen Frage zu Gunsten eines Wechsels zu steigen beginnt, wird sie so
wenig wieder zurücklaufen, als ein Fluß von der See weg; setzen Sie sich,
Mylords, nicht in Widerspruch mit der Nation. Sie können nicht hoffen,
diese Bill bei Seite zu schieben, Sie können nur einen kurzen Aufschub be¬
wirken, sie werden damit aber zugleich die größten Gefahren heraufbeschwören,
die Bill wird wiederkommen und dann unverändert angenommen werden
müssen. Hätte das Oberhaus die Reformbill von 1831 acceptirt, so wäre die
von 1832 unnöthig geworden, von der der Schrei erging, die Bill, die ganze
Bill, nichts als die Bill." Lord Salisbury setzte in seiner meisterhaften Rede
in gleichem Sinne die Bedeutung und Aufgabe des Oberhauses auseinander.
„Der Zweck eines zweiten Hauses ist, die Lücken zu ergänzen und die Fehler
zu verbessern, welche in den Berathungen des ersten Hauses vorkommen.
In neunundneunzig Fällen von hundert interessirt die Nation sich nicht für
unsere Politik und in allen diesen Fällen ist kein Unterschied zwischen Lords
und Gemeinen. Dann aber gibt es einzelne Fälle, wo die Nation zu Rathe
gezogen werden muß, um die Politik der Regierung zu entscheiden. Es kann
sein, daß das Unterhaus Unrecht hat; dann müssen die Lords darauf be¬
stehen, daß die Nation durch Neuwahlen befragt werde, aber wenn sie darauf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/78>, abgerufen am 02.07.2024.