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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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leimartiger Zähigkeit. Es fehlt nicht an Beispielen, welche lehren, wie all-
mälig und schrittweis Antonello erst völlige Abklärung seiner Bindemittel
und Fertigkeit der Behandlung erlangte; -- man vergleiche sein Ecce Homo
von 1470 in der Sammlung Zir zu Neapel, und die Madonna mit Heiligen
aus dem I, 1473 im Kloster S. Gregorio zu Messina. Vor 1475 bekundet
er nirgends die Herrschaft über die Feinheiten seiner Kunst, die das herrliche
Bild im Louvre so werthvoll macht, und auch dies ist bei aller Meisterschaft
immer noch etwas roth und eintönig in der Carnation.

Von selbst wirft sich die Frage auf: wo war Antonello, als er die Bil¬
der malte, welche die Jahrzahlen 1465 bis 1473 tragen? Möglicherweise
weilte er damals in Süditalien und hatte Venedig noch nicht besucht, denn
die Arbeiten aus jener Periode befinden sich in Sicilien oder Neapel und
ihrer Provenienz läßt sich unschwer nachkommen. Das Gemälde der Lon¬
doner Nationalgallerie hat auf der Rückseite das Siegel der Stsdt Neapel,
die Madonna von S. Gregorio in Sicilien und das Ecce Homo der Gallerte
Zir sind stets in neapolitanischen Privatsammlungen gewesen. -- Aber auch
abgesehen von diesen Beweisstücken des Alibi läßt sich erkennen, daß Anto¬
nello vor 1473 nicht in Venedig gewesen ist. Mit Einstimmigkeit berichten
die Kunstschriftsteller, daß das Beispiel unseres Meisters sofort umgestaltend
auf den Stil der venezianischen Maler wirkte. Wie ist aber der Stil der
Bellini und Vivarini beschaffen in den Jahren 1465, 1470 oder selbst 1475?
Es ist unmöglich, in Venedig ein einziges Tafelbild nachzuweisen, welches die
Anwendung des Oeles als Bindemittel vor 1473 constatirt. Die Gemälde
Gentile Bellini's an der Orgel in S. Marco sind 1464 und zwar in Tempera
gemalt, Giovanni Bellini's Pieta im Dogenpalaste vom I. 1742 in Tem¬
pera, Bartolommeo Vivarini malt zuerst 1473 in S.S. Giovanni e Paolo in
Oel, Gentile Bellini wird erst 1490 Meister in der neuen Technik, Gio¬
vanni 1487.

Wir wenden uns nun zu dem Berliner Bilde zurück. Es ist das Por¬
trait eines jungen Mannes mir leuchtenden Augen und klarer Hautfarbe;
die Umrisse sind vollendet rein, Helldunkel und Modellirung meisterhaft, die
Durchführung vollkommen. Wir haben die Leistung eines Künstlers vor uns,
der alle Vorstudien der Oeltechnik bis zur äußersten Fertigkeit durchgemacht,
über alle Schwierigkeiten des Handwerks sich erhoben, sein Bindemittel
bis zu absoluter Farblosigkeit geläutert hat. Dargestellt ist ein Venezianer
in venezianischen Costüm, zwar nach der Weise van Eyck's, aber mit der
Modifikation, welche die venezianische Kunst an die Hand gab. -- Kann das
Bild wirklich aus dem I. 1445 herrühren? Die Schwierigkeiten, welche der
Beantwortung dieser Frage entgegenstehen, sind ungewöhnlich. Zunächst
wußte Niemand zu sagen, woher das Bild eigentlich komme, und dann fand


leimartiger Zähigkeit. Es fehlt nicht an Beispielen, welche lehren, wie all-
mälig und schrittweis Antonello erst völlige Abklärung seiner Bindemittel
und Fertigkeit der Behandlung erlangte; — man vergleiche sein Ecce Homo
von 1470 in der Sammlung Zir zu Neapel, und die Madonna mit Heiligen
aus dem I, 1473 im Kloster S. Gregorio zu Messina. Vor 1475 bekundet
er nirgends die Herrschaft über die Feinheiten seiner Kunst, die das herrliche
Bild im Louvre so werthvoll macht, und auch dies ist bei aller Meisterschaft
immer noch etwas roth und eintönig in der Carnation.

Von selbst wirft sich die Frage auf: wo war Antonello, als er die Bil¬
der malte, welche die Jahrzahlen 1465 bis 1473 tragen? Möglicherweise
weilte er damals in Süditalien und hatte Venedig noch nicht besucht, denn
die Arbeiten aus jener Periode befinden sich in Sicilien oder Neapel und
ihrer Provenienz läßt sich unschwer nachkommen. Das Gemälde der Lon¬
doner Nationalgallerie hat auf der Rückseite das Siegel der Stsdt Neapel,
die Madonna von S. Gregorio in Sicilien und das Ecce Homo der Gallerte
Zir sind stets in neapolitanischen Privatsammlungen gewesen. — Aber auch
abgesehen von diesen Beweisstücken des Alibi läßt sich erkennen, daß Anto¬
nello vor 1473 nicht in Venedig gewesen ist. Mit Einstimmigkeit berichten
die Kunstschriftsteller, daß das Beispiel unseres Meisters sofort umgestaltend
auf den Stil der venezianischen Maler wirkte. Wie ist aber der Stil der
Bellini und Vivarini beschaffen in den Jahren 1465, 1470 oder selbst 1475?
Es ist unmöglich, in Venedig ein einziges Tafelbild nachzuweisen, welches die
Anwendung des Oeles als Bindemittel vor 1473 constatirt. Die Gemälde
Gentile Bellini's an der Orgel in S. Marco sind 1464 und zwar in Tempera
gemalt, Giovanni Bellini's Pieta im Dogenpalaste vom I. 1742 in Tem¬
pera, Bartolommeo Vivarini malt zuerst 1473 in S.S. Giovanni e Paolo in
Oel, Gentile Bellini wird erst 1490 Meister in der neuen Technik, Gio¬
vanni 1487.

Wir wenden uns nun zu dem Berliner Bilde zurück. Es ist das Por¬
trait eines jungen Mannes mir leuchtenden Augen und klarer Hautfarbe;
die Umrisse sind vollendet rein, Helldunkel und Modellirung meisterhaft, die
Durchführung vollkommen. Wir haben die Leistung eines Künstlers vor uns,
der alle Vorstudien der Oeltechnik bis zur äußersten Fertigkeit durchgemacht,
über alle Schwierigkeiten des Handwerks sich erhoben, sein Bindemittel
bis zu absoluter Farblosigkeit geläutert hat. Dargestellt ist ein Venezianer
in venezianischen Costüm, zwar nach der Weise van Eyck's, aber mit der
Modifikation, welche die venezianische Kunst an die Hand gab. — Kann das
Bild wirklich aus dem I. 1445 herrühren? Die Schwierigkeiten, welche der
Beantwortung dieser Frage entgegenstehen, sind ungewöhnlich. Zunächst
wußte Niemand zu sagen, woher das Bild eigentlich komme, und dann fand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/64>, abgerufen am 03.07.2024.