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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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sich keine schriftliche Notiz, daß ein solches Gemälde mit diesem Datum je
bekannt geworden sei. Wie war der Sachverhalt aufzuklären? Folgendes
wird uns allgemach wahrscheinlich: das Berliner Bild hat ursprünglich der
Sammlung Vidman angehört, ist aus dieser in den Besitz Bartolommeo
Vitturi's übergegangen und dann aus Venedig in die Hände eines englischen
Sammlers gekommen, der es wieder der Gallerie Solly abtrat. Dort ist es
endlich vor etwa 40 Jahren durch Dr. Waagen gegen ein anderes Gemälde
eingetauscht worden. Was wir von der Sammlung VidMan wissen, ist in
folgender Angabe Zanetti's erschöpft*): "In der Gallerie ausgewählter Ge-
mälde, welche der venezianische Patrizier Bartolommeo Vitturi aus Lieb¬
haberei zusammenstellte, befindet sich das Bildniß eines venezianischen Edel¬
manns, gemalt von Antonello, in welchem der beste Geschmack flämischer und
venezianischer Manier vereinigt ist. Es trägt den Namen des Malers und
die Jahreszahl 1478, gehörte zuerst der berühmten Gallerie der patrizi-
scren Grafen Vidman an und gelangte durch Erbgang in Besitz des Hauses
Vitturi als Schenkung des Grafen Lodovico Vidman an Signor Bar¬
tolommeo."

Was das Berliner Bild betrifft, so paßt es mit dem Datum 1478 vor-
trefflich in die Chronologie der Werke Antonello's, aber mit dem Jahre
1445 schlechterdings nicht. Immerhin ist es heilet, sich bei dieser Wahr¬
nehmung zufrieden zu geben. Thatbestand und Voraussetzung können nur durch
Annahme einer Fälschung verbunden werden. Deshalb richten wir das Augen¬
merk sachkundiger auf die Frage: "ist die Ziffer 1443, wie sie gegenwärtig
besteht, aus Veränderung einer ursprünglichen Zahl 1478 zu erklären?" An
dieser Substitution war übrigens ein doppeltes Interesse vorhanden. Einer
gewiss in Classe italienischer Kntiker konnte daran liegen, thatsächlich zu be¬
legen, daß Antonello schon vor van Eyck's Tode, der ihn im Alter unter¬
richtet haben sollte, in der Oeltechnik so bewandert war, daß lange Bekannt¬
schaft mit diesem Verfahren bei ihm vorausgesetzt werden müsse. Dabei ist
zu bemerken, daß in der Zeit, in welcher diese Fiction gäng und gäbe war,
als Todesjahr des Johann von Eyck das Jahr 1443 galt. Aus der andern
Seite hatte es sür einen Niederländer immerhin Werth, die Wahrscheinlichkeit,
daß Antonello durch Johann van Eyck in der Oelmalerei unterrichtet sei, durch
Nachweis einer Leistung wie dieses Berliner Bild erhärtet zu sehen. Hat
man sich doch vor 50 Jahren in Belgien lange und mit Bitterkeit darüber ge¬
stritten, ob die Signatur der Kreuzigung in Antwerpen 1445 oder 1475 sei, und
hat de Bast's Gewähr für hinreichend gehalten, um sich für ersteres Datum
zu entscheiden, nicht blos darum, weil das, was er zur Sache beibrachte, durch-



") ^. U. ?ittura Vene-iiÄQa Venedig 1771. S. 21.
Grenzbole" Ill. 1869.8

sich keine schriftliche Notiz, daß ein solches Gemälde mit diesem Datum je
bekannt geworden sei. Wie war der Sachverhalt aufzuklären? Folgendes
wird uns allgemach wahrscheinlich: das Berliner Bild hat ursprünglich der
Sammlung Vidman angehört, ist aus dieser in den Besitz Bartolommeo
Vitturi's übergegangen und dann aus Venedig in die Hände eines englischen
Sammlers gekommen, der es wieder der Gallerie Solly abtrat. Dort ist es
endlich vor etwa 40 Jahren durch Dr. Waagen gegen ein anderes Gemälde
eingetauscht worden. Was wir von der Sammlung VidMan wissen, ist in
folgender Angabe Zanetti's erschöpft*): „In der Gallerie ausgewählter Ge-
mälde, welche der venezianische Patrizier Bartolommeo Vitturi aus Lieb¬
haberei zusammenstellte, befindet sich das Bildniß eines venezianischen Edel¬
manns, gemalt von Antonello, in welchem der beste Geschmack flämischer und
venezianischer Manier vereinigt ist. Es trägt den Namen des Malers und
die Jahreszahl 1478, gehörte zuerst der berühmten Gallerie der patrizi-
scren Grafen Vidman an und gelangte durch Erbgang in Besitz des Hauses
Vitturi als Schenkung des Grafen Lodovico Vidman an Signor Bar¬
tolommeo."

Was das Berliner Bild betrifft, so paßt es mit dem Datum 1478 vor-
trefflich in die Chronologie der Werke Antonello's, aber mit dem Jahre
1445 schlechterdings nicht. Immerhin ist es heilet, sich bei dieser Wahr¬
nehmung zufrieden zu geben. Thatbestand und Voraussetzung können nur durch
Annahme einer Fälschung verbunden werden. Deshalb richten wir das Augen¬
merk sachkundiger auf die Frage: „ist die Ziffer 1443, wie sie gegenwärtig
besteht, aus Veränderung einer ursprünglichen Zahl 1478 zu erklären?" An
dieser Substitution war übrigens ein doppeltes Interesse vorhanden. Einer
gewiss in Classe italienischer Kntiker konnte daran liegen, thatsächlich zu be¬
legen, daß Antonello schon vor van Eyck's Tode, der ihn im Alter unter¬
richtet haben sollte, in der Oeltechnik so bewandert war, daß lange Bekannt¬
schaft mit diesem Verfahren bei ihm vorausgesetzt werden müsse. Dabei ist
zu bemerken, daß in der Zeit, in welcher diese Fiction gäng und gäbe war,
als Todesjahr des Johann von Eyck das Jahr 1443 galt. Aus der andern
Seite hatte es sür einen Niederländer immerhin Werth, die Wahrscheinlichkeit,
daß Antonello durch Johann van Eyck in der Oelmalerei unterrichtet sei, durch
Nachweis einer Leistung wie dieses Berliner Bild erhärtet zu sehen. Hat
man sich doch vor 50 Jahren in Belgien lange und mit Bitterkeit darüber ge¬
stritten, ob die Signatur der Kreuzigung in Antwerpen 1445 oder 1475 sei, und
hat de Bast's Gewähr für hinreichend gehalten, um sich für ersteres Datum
zu entscheiden, nicht blos darum, weil das, was er zur Sache beibrachte, durch-



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/65>, abgerufen am 02.10.2024.