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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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zu haben; sie fühlten seine Nähe, sie hörten seine Schritte, und sie waren
zufriedengestellt. Und Alexander Ghika war ein milder menschenfreundlicher
Fürst, von deutscher Bildung, aber dies war hergebrachter Usus, und
dagegen ließ sich nichts machen. -- Die Bojaren pflegen ja den Plebs --
und sie pflegten auch ihre einst verkaufbaren Sklaven, die Zigeuner mit
"trals ara^g." "theurer Bruder" anzureden; aber dieser theure Bruder wurde
bei jeder noch so kleinen Veranlassung, oft auch nur aus Laune gar rück¬
sichtslos malträtirt, mit Prügeln und Fußtritten behandelt. -- Unter dem
früheren Drucke war dem Adel diese Grausamkeit gleichsam eine nothwendige
Lebensbethätigung, er nahm zu derselben seine Zuflucht, um hiedurch zum Selbst¬
gefühl, zum Bewußtsein dessen, was er eigentlich vorstellt, zu kommen. Nach
Aenderung der Zustände blieb der Usus aufrecht, um sich dadurch des unbe¬
dingten Gehorsams der niederen Volksklassen zu vergewissern.

Die Arbeit eines Jahrhunderts hat aus diesen einst so stolzen unbändigen
Kriegern, die dem Türkenthume am längsten Widerstand zu leisten vermochten,
geschmeidige Diplomaten gemacht, die innerlich Barbaren geblieben sind.
Seit sie in die europäische Culturwelt eintraten, sind noch nicht vier Decennien
verflossen und darnach sind sie zu beurtheilen. Bei dieser Beurtheilung
darf das Eine nie außer Acht gelassen werden, daß wir hier an der Schwelle
des Orients -- des Asiatenthums stehen, und es nicht mit reinen Europäern
zu thun haben. Es sind nicht die modernen frivolen französischen Theorien
allein, die uns hier in deu Eingebornen entgegentreten, sondern auch die
asiatische Natur, welcher wesentliche Faktor bei Beurtheilung ihres Charakters
nie unberücksichtigt gelassen werden darf. Wer vor ein paar Decennien hier
gewesen ist. hatte den Beweis hiefür vor Augen, -- einige Decennien aber
können keine radicale Umgestaltung zu Wege bringen. Das, was wir hier
zu sehen bekommen, und was wir mit dem Namen Verderbniß, Auflösung --
bezeichnen, ist im Grunde nichts anderes als ein Prozeß, den West und Ost
mit einander eingegangen sind, und der hier nicht mit Worten, sondern mit
thatsächlichen Lebenserweisungen ausgetragen wird. An dem Ausgange dieses
Prozesses ist unsere nächste Zukunft betheiligt, und schon deshalb muß derselbe
sür uns von hohem Interesse sein. Es ist demnach nicht allein ein politisches,
nationalöconomisches und mercantiles, sondern hauptsächlich culturhistorisches
Interesse, welches diese Länder und Völker für uns haben, und es ist in der
That höchst auffallend, daß man sie bisher so wenig berücksichtigt hat. --
Nirgend läßt sich das Hereinbrechen der neuen Zeit so verfolgen und beob¬
achten, wie in Rumänien, nirgends sind aber auch die Verhältnisse dafür
so günstig, wie gerade hier. Hier gibt es keine verknöcherten Begriffe zu
bewältigen, keine ehernen Formen zu zerbrechen, keine angehäuften Trümmer
hinwegzuräumen. Hier braucht kein blutiger langer Kampf voranzugehen,


Grenzboten III. I8ö9. 64

zu haben; sie fühlten seine Nähe, sie hörten seine Schritte, und sie waren
zufriedengestellt. Und Alexander Ghika war ein milder menschenfreundlicher
Fürst, von deutscher Bildung, aber dies war hergebrachter Usus, und
dagegen ließ sich nichts machen. — Die Bojaren pflegen ja den Plebs —
und sie pflegten auch ihre einst verkaufbaren Sklaven, die Zigeuner mit
„trals ara^g." „theurer Bruder" anzureden; aber dieser theure Bruder wurde
bei jeder noch so kleinen Veranlassung, oft auch nur aus Laune gar rück¬
sichtslos malträtirt, mit Prügeln und Fußtritten behandelt. — Unter dem
früheren Drucke war dem Adel diese Grausamkeit gleichsam eine nothwendige
Lebensbethätigung, er nahm zu derselben seine Zuflucht, um hiedurch zum Selbst¬
gefühl, zum Bewußtsein dessen, was er eigentlich vorstellt, zu kommen. Nach
Aenderung der Zustände blieb der Usus aufrecht, um sich dadurch des unbe¬
dingten Gehorsams der niederen Volksklassen zu vergewissern.

Die Arbeit eines Jahrhunderts hat aus diesen einst so stolzen unbändigen
Kriegern, die dem Türkenthume am längsten Widerstand zu leisten vermochten,
geschmeidige Diplomaten gemacht, die innerlich Barbaren geblieben sind.
Seit sie in die europäische Culturwelt eintraten, sind noch nicht vier Decennien
verflossen und darnach sind sie zu beurtheilen. Bei dieser Beurtheilung
darf das Eine nie außer Acht gelassen werden, daß wir hier an der Schwelle
des Orients — des Asiatenthums stehen, und es nicht mit reinen Europäern
zu thun haben. Es sind nicht die modernen frivolen französischen Theorien
allein, die uns hier in deu Eingebornen entgegentreten, sondern auch die
asiatische Natur, welcher wesentliche Faktor bei Beurtheilung ihres Charakters
nie unberücksichtigt gelassen werden darf. Wer vor ein paar Decennien hier
gewesen ist. hatte den Beweis hiefür vor Augen, — einige Decennien aber
können keine radicale Umgestaltung zu Wege bringen. Das, was wir hier
zu sehen bekommen, und was wir mit dem Namen Verderbniß, Auflösung —
bezeichnen, ist im Grunde nichts anderes als ein Prozeß, den West und Ost
mit einander eingegangen sind, und der hier nicht mit Worten, sondern mit
thatsächlichen Lebenserweisungen ausgetragen wird. An dem Ausgange dieses
Prozesses ist unsere nächste Zukunft betheiligt, und schon deshalb muß derselbe
sür uns von hohem Interesse sein. Es ist demnach nicht allein ein politisches,
nationalöconomisches und mercantiles, sondern hauptsächlich culturhistorisches
Interesse, welches diese Länder und Völker für uns haben, und es ist in der
That höchst auffallend, daß man sie bisher so wenig berücksichtigt hat. —
Nirgend läßt sich das Hereinbrechen der neuen Zeit so verfolgen und beob¬
achten, wie in Rumänien, nirgends sind aber auch die Verhältnisse dafür
so günstig, wie gerade hier. Hier gibt es keine verknöcherten Begriffe zu
bewältigen, keine ehernen Formen zu zerbrechen, keine angehäuften Trümmer
hinwegzuräumen. Hier braucht kein blutiger langer Kampf voranzugehen,


Grenzboten III. I8ö9. 64
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/513>, abgerufen am 23.07.2024.