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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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um der Zukunft Wege zu bahnen. Hier treibt und gedeiht alles, was
hineingelegt und hineingesäet wird, und sprießt- schnell und üppig empor, hier
kennt man überhaupt die Mühen und Arbeiten, des Lebens nicht, denn hier
gilt das strenge Wort: "Im Schweiße deines Angesichtes" u. s. w. nicht.
Fremde Völker haben es förmlich über sich genommen, diesem Volke in Allem
dienend an die Hand zu gehen, ihm alle Anstrengungen zu ersparen. So
günstige Verhältnisse können überhaupt nur in einem Staate stattfinden, der
eigentlich noch kein Staat, sondern eine von einem Staate getragene Gesell¬
schaft, gleichsam eine sich herausgestaltende Frucht im Mutterschooße ist. --
Dieser Staat der doch kein Staat ist, hat Alles, was sonst einen Staat aus¬
macht, aber alle diese Elemente sind so zu sagen erst im Werden, in der Aus¬
bildung begriffen, wie die Theile, wie die Organe des neugebornen Kindes schon
die Gestalt dessen, was sie einst vorstellen sollen, haben, aber noch zu schwach,
zu ohnmächtig, zu unzeitig sind, um ihre Functionen selbst zu verrichten.
Rumänien hat eine Verwaltung beweglich, schwankend und ohne alle Festig¬
keit, eine Militärmacht, selbst zur bloßen Vertheidigung zu schwach, Schulen,
die nur den Grund zur Ausbildung legen, welche im Auslande weiter gesucht
werden muß, eine Justiz so voller Launen,, so feil und so ohne alle Würde,
daß die Richter öffentlich von den Parteien mit Schlägen behandelt werden,
und daß man auf seine Widersacher in den Gerichtssälen schießt, und sich am
liebsten auf eigene Selbsthilfe verläßt, -- eine Familie, die nur noch der
äußeren Form nach eine solche ist.




Polnischer Monatsbericht.

X

Die letzten Wochen haben einen neuen Nagel in den Sarg des zweiten
Kaiserthums getrieben. Die Krankheit des Staatsoberhaupts hat den Freunden
und Feinden des napoleonischen Frankreich den Beweis geliefert, daß die
Regierung, welche sich rühmte, das unruhigste Volk der Erde für immer
gebändigt zu haben, in der That nur auf zwei Augen steht. Gerade in dem
Zeitpunkt, wo ein neues Kapitel der französischen Kaisergeschichte beginnen,
der schwierige Versuch gemacht werden sollte, das persönliche Regiment mit
dem Parlamentarismus zu versöhnen, als der Kaiser seinen veränderten Planen
durch ein neues Kabinet Ausdruck gegeben hatte, versagte die Kraft des


um der Zukunft Wege zu bahnen. Hier treibt und gedeiht alles, was
hineingelegt und hineingesäet wird, und sprießt- schnell und üppig empor, hier
kennt man überhaupt die Mühen und Arbeiten, des Lebens nicht, denn hier
gilt das strenge Wort: „Im Schweiße deines Angesichtes" u. s. w. nicht.
Fremde Völker haben es förmlich über sich genommen, diesem Volke in Allem
dienend an die Hand zu gehen, ihm alle Anstrengungen zu ersparen. So
günstige Verhältnisse können überhaupt nur in einem Staate stattfinden, der
eigentlich noch kein Staat, sondern eine von einem Staate getragene Gesell¬
schaft, gleichsam eine sich herausgestaltende Frucht im Mutterschooße ist. —
Dieser Staat der doch kein Staat ist, hat Alles, was sonst einen Staat aus¬
macht, aber alle diese Elemente sind so zu sagen erst im Werden, in der Aus¬
bildung begriffen, wie die Theile, wie die Organe des neugebornen Kindes schon
die Gestalt dessen, was sie einst vorstellen sollen, haben, aber noch zu schwach,
zu ohnmächtig, zu unzeitig sind, um ihre Functionen selbst zu verrichten.
Rumänien hat eine Verwaltung beweglich, schwankend und ohne alle Festig¬
keit, eine Militärmacht, selbst zur bloßen Vertheidigung zu schwach, Schulen,
die nur den Grund zur Ausbildung legen, welche im Auslande weiter gesucht
werden muß, eine Justiz so voller Launen,, so feil und so ohne alle Würde,
daß die Richter öffentlich von den Parteien mit Schlägen behandelt werden,
und daß man auf seine Widersacher in den Gerichtssälen schießt, und sich am
liebsten auf eigene Selbsthilfe verläßt, — eine Familie, die nur noch der
äußeren Form nach eine solche ist.




Polnischer Monatsbericht.

X

Die letzten Wochen haben einen neuen Nagel in den Sarg des zweiten
Kaiserthums getrieben. Die Krankheit des Staatsoberhaupts hat den Freunden
und Feinden des napoleonischen Frankreich den Beweis geliefert, daß die
Regierung, welche sich rühmte, das unruhigste Volk der Erde für immer
gebändigt zu haben, in der That nur auf zwei Augen steht. Gerade in dem
Zeitpunkt, wo ein neues Kapitel der französischen Kaisergeschichte beginnen,
der schwierige Versuch gemacht werden sollte, das persönliche Regiment mit
dem Parlamentarismus zu versöhnen, als der Kaiser seinen veränderten Planen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/514>, abgerufen am 23.07.2024.