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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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schäftigt, läßt ihn eintreten, blickt aber, in seine Arbeit vertieft, nicht'sogleich
auf. Der Consul, über solche Mißachtung empört, geht aus den Schreibenden
zu, wirft seinen Hut auf dessen Schreibereien, sich selbst aber in ein Fauteuil
und streckt aus gut amerikanisch die Beine auf den fürstlichen Schreibtisch.
Stirbej zuckt über diese Impertinenz zusammen, erkennt aber sogleich, daß er
sich an der Etikette vergangen habe, und sucht mit Entschuldigungen sein
Versehen wieder gut zu machen. "Ah, das ist was Anderes", entgegnet der
Russe, erhebt sich auch seinerseits und die Visite hat nach diesem kleinen Inter¬
mezzo ihren normalen Verlauf. Unter Cusa's Regierung prügelte der Aga
(Polizeiminister) Marghellomcm seinen Kutscher mitten in der Stadt bei
Hellem Tage und auf der Gasse buchstäblich zu Tode. Der Getödtete war
russischer Unterthan. Als dieser letztere Umstand bekannt geworden, eilten
die Bojaren in eoivorö zum russischen Consul, um den Sturm, der daraus
folgen mußte, wenn die Sache weiter zur Sprache käme, zu beschwören.
Dieser Beamte bekam dadurch die erwünschte Gelegenheit, sich alles dessen,
was er gegen die Bojaren auf dem Herzen hatte, zu entledigen,
und er that es mit so harter Rede und so rücksichtslosen Aus¬
drücken, daß man in der That zweifelhaft sein mußte, ob man die
Zuhörer, die dies alles geduldig ertrugen, oder den Redner, der ihnen
alles das zu sagen den Muth hatte, mehr bewundern sollte. Es ist aber
auch in der That erfahrungsgemäß, daß man mit Bescheidenheit bei den
Bojaren nie etwas ausrichtet. -- Diese Bojaren, welche sich solche und ähn¬
liche Erniedrigungen gefallen ließen, forderten nichtsdestoweniger von dem
Bauernvolke eine abgöttische Verehrung, und behandelten es mit grausamer
Härte. Ich habe persönlich einer Audienz beigewohnt, die der vor Cusa
regierende Fürst Alexander Ghika einer zahlreichen Bauerudeputation im
Regierungsgebäude gab. Im Hofe waren aus allen Gegenden des Landes,
von Nah' und Fern', über 200 Bauern mit Bittschriften versammelt. Man
stellte sie in ein Spalier, das von der ersten Etage zu beiden Seiten der
Treppe bis herab in den Hof an den fürstlichen Wagen lief. Als sich oben
eine Bewegung kundgab, woraus auf das Erscheinen des Fürsten geschlossen
wurde, warfen sich alle Bauern auf die Kniee, und als der Fürst in der
geöffneten Thüre erschien, fielen alle vor ihm mit dem Angesicht zur Erde
und verharrten in dieser Stellung so lange, bis er ihre Reihen, ohne sie auch
nur eines Blickes, viel weniger eines Wortes zu würdigen, durchschritten
hatte und ihnen gemeldet ward, daß der Landesvater bereits in seinen
Wagen gestiegen und davon gefahren sei. Hieraus erhoben sie ihre Häupter
vom Boden, fürstliche Adjutanten nahmen ihnen ihre Bittschriften aus den
Händen, und die Audienz war aus; sie konnten 'wieder nach ihrer Heimath
wandern ohne ihren Landesvater gesprochen ja ohne ihn auch nur gesehen


schäftigt, läßt ihn eintreten, blickt aber, in seine Arbeit vertieft, nicht'sogleich
auf. Der Consul, über solche Mißachtung empört, geht aus den Schreibenden
zu, wirft seinen Hut auf dessen Schreibereien, sich selbst aber in ein Fauteuil
und streckt aus gut amerikanisch die Beine auf den fürstlichen Schreibtisch.
Stirbej zuckt über diese Impertinenz zusammen, erkennt aber sogleich, daß er
sich an der Etikette vergangen habe, und sucht mit Entschuldigungen sein
Versehen wieder gut zu machen. „Ah, das ist was Anderes", entgegnet der
Russe, erhebt sich auch seinerseits und die Visite hat nach diesem kleinen Inter¬
mezzo ihren normalen Verlauf. Unter Cusa's Regierung prügelte der Aga
(Polizeiminister) Marghellomcm seinen Kutscher mitten in der Stadt bei
Hellem Tage und auf der Gasse buchstäblich zu Tode. Der Getödtete war
russischer Unterthan. Als dieser letztere Umstand bekannt geworden, eilten
die Bojaren in eoivorö zum russischen Consul, um den Sturm, der daraus
folgen mußte, wenn die Sache weiter zur Sprache käme, zu beschwören.
Dieser Beamte bekam dadurch die erwünschte Gelegenheit, sich alles dessen,
was er gegen die Bojaren auf dem Herzen hatte, zu entledigen,
und er that es mit so harter Rede und so rücksichtslosen Aus¬
drücken, daß man in der That zweifelhaft sein mußte, ob man die
Zuhörer, die dies alles geduldig ertrugen, oder den Redner, der ihnen
alles das zu sagen den Muth hatte, mehr bewundern sollte. Es ist aber
auch in der That erfahrungsgemäß, daß man mit Bescheidenheit bei den
Bojaren nie etwas ausrichtet. — Diese Bojaren, welche sich solche und ähn¬
liche Erniedrigungen gefallen ließen, forderten nichtsdestoweniger von dem
Bauernvolke eine abgöttische Verehrung, und behandelten es mit grausamer
Härte. Ich habe persönlich einer Audienz beigewohnt, die der vor Cusa
regierende Fürst Alexander Ghika einer zahlreichen Bauerudeputation im
Regierungsgebäude gab. Im Hofe waren aus allen Gegenden des Landes,
von Nah' und Fern', über 200 Bauern mit Bittschriften versammelt. Man
stellte sie in ein Spalier, das von der ersten Etage zu beiden Seiten der
Treppe bis herab in den Hof an den fürstlichen Wagen lief. Als sich oben
eine Bewegung kundgab, woraus auf das Erscheinen des Fürsten geschlossen
wurde, warfen sich alle Bauern auf die Kniee, und als der Fürst in der
geöffneten Thüre erschien, fielen alle vor ihm mit dem Angesicht zur Erde
und verharrten in dieser Stellung so lange, bis er ihre Reihen, ohne sie auch
nur eines Blickes, viel weniger eines Wortes zu würdigen, durchschritten
hatte und ihnen gemeldet ward, daß der Landesvater bereits in seinen
Wagen gestiegen und davon gefahren sei. Hieraus erhoben sie ihre Häupter
vom Boden, fürstliche Adjutanten nahmen ihnen ihre Bittschriften aus den
Händen, und die Audienz war aus; sie konnten 'wieder nach ihrer Heimath
wandern ohne ihren Landesvater gesprochen ja ohne ihn auch nur gesehen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/512>, abgerufen am 23.07.2024.