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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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klärende Vorträge. Namentlich suchte er den hier so stark in allen Schichten
eingewurzelten Aberglauben zu bekämpfen, so z. B. während der Erscheinung des
Cometen von 1858, den man bekanntlich mit dem Weltende in Zusammenhang
brachte und der hier eine allgemeine Bestürzung hervorrief, --um durch eine
Erklärung der Natur dieser Himmelskörper die Bevölkerung aufklärend zu be¬
ruhigen u. s. w. Diese Aerzte wirkten auch auf die Errichtung von Gewerbe-
und Handwerksschulen hin, in denen die Eingeborenen unentgeltlich in den
verschiedenen Fächern des Handwerks Unterricht erhielten und noch erhalten.
Das deutsche Element begann von dieser Seite aus seine heilsamsten Wir¬
kungen im Lande auszubreiten; bereits schickten die Bojaren ihre Söhne in
die deutschen Schulen und die Töchter in die Klöster nach Galizien oder
hielten deutsche Hauslehrer und eine deutsche Umgebung, um den Kindern
diese Sprache praktisch zu vermitteln. -- Mancher Fremde war nicht wenig
überrascht, selbst alte Bojaren in ihrer orientalischen Tracht in Kaftan
und mit dem langen Barte ganz gut deutsch sprechen zu hören --, in den
meisten Bojarenhäusern war diese Sprache heimisch. Man erkannte die Noth¬
wendigkeit, die Sprache jenes Volkes zu erlernen, zu dem man sich bei den
so oft vorkommenden Gefahren zu flüchten Pflegte und wo man immer gast¬
liche Aufnahme und sicheres Asyl gefunden -- dieses Volk nun sind die
siebenbürger Sachsen; seitdem ging die deutsche Sprache neben der allgemei¬
nen Landes- und Conversationssprache immer zur Seite her. Das Deutsch-
thum, das dieser durch Ungunst der Zeiten unter türkischem Drucke ver¬
kommenen Bevölkerung unter die Arme griff, ihr europäische Häuser und
Städte baute, sie europäisch wohnen, sich kleiden und sich nähren lehrte, das
ihr die ersten Elemente unseres Geisteslebens zuführte und allüberall den
Grund zu organisatorischer Entwickelung legte, gewann bei allen Mißgriffen
und Mängeln der Einwanderer doch eine breite Basis, und es schien anfangs
das hiesige Leben sich in dieser Richtung heraus gestalten zu wollen. Aber
der Charakter der rumänischen Bojaren wurde durch die öfteren und lang an¬
dauernden russischen Occupationen für eine normale langsame und gründ¬
liche Entwickelung der Dinge ein für allemal verdorben. Die' Russen mit
ihrer europäisirten Außenseite und inneren Ungeheuerlichkeiten verleideten den
Rumänen den ruhigen Ernst des Lebens, wozu das Deutschthum sie geneigt
zu machen begann; die Russen wendeten sie davon ab und verleiteten sie auf
die schlüpfrigen Bahnen des frivolen Pariserthums, auf denen sie selbst unser
Culturleben sich angeeignet zu haben glaubten. Es ist bekannt, wie weit die
hohe russische Aristokratie in ihrer Nachäffung dieses Franzosenthums ging,
wie es bei ihr z. B. zum guten Ton gehörte, sich nicht nur bis in die kleinsten
Details mit Pariser Mache zu umgeben, sondern selbst die Leibwäsche nicht zu
Hause waschen zu lassen, sondern zu diesem Behufe mittelst Couriren nach


klärende Vorträge. Namentlich suchte er den hier so stark in allen Schichten
eingewurzelten Aberglauben zu bekämpfen, so z. B. während der Erscheinung des
Cometen von 1858, den man bekanntlich mit dem Weltende in Zusammenhang
brachte und der hier eine allgemeine Bestürzung hervorrief, —um durch eine
Erklärung der Natur dieser Himmelskörper die Bevölkerung aufklärend zu be¬
ruhigen u. s. w. Diese Aerzte wirkten auch auf die Errichtung von Gewerbe-
und Handwerksschulen hin, in denen die Eingeborenen unentgeltlich in den
verschiedenen Fächern des Handwerks Unterricht erhielten und noch erhalten.
Das deutsche Element begann von dieser Seite aus seine heilsamsten Wir¬
kungen im Lande auszubreiten; bereits schickten die Bojaren ihre Söhne in
die deutschen Schulen und die Töchter in die Klöster nach Galizien oder
hielten deutsche Hauslehrer und eine deutsche Umgebung, um den Kindern
diese Sprache praktisch zu vermitteln. — Mancher Fremde war nicht wenig
überrascht, selbst alte Bojaren in ihrer orientalischen Tracht in Kaftan
und mit dem langen Barte ganz gut deutsch sprechen zu hören —, in den
meisten Bojarenhäusern war diese Sprache heimisch. Man erkannte die Noth¬
wendigkeit, die Sprache jenes Volkes zu erlernen, zu dem man sich bei den
so oft vorkommenden Gefahren zu flüchten Pflegte und wo man immer gast¬
liche Aufnahme und sicheres Asyl gefunden — dieses Volk nun sind die
siebenbürger Sachsen; seitdem ging die deutsche Sprache neben der allgemei¬
nen Landes- und Conversationssprache immer zur Seite her. Das Deutsch-
thum, das dieser durch Ungunst der Zeiten unter türkischem Drucke ver¬
kommenen Bevölkerung unter die Arme griff, ihr europäische Häuser und
Städte baute, sie europäisch wohnen, sich kleiden und sich nähren lehrte, das
ihr die ersten Elemente unseres Geisteslebens zuführte und allüberall den
Grund zu organisatorischer Entwickelung legte, gewann bei allen Mißgriffen
und Mängeln der Einwanderer doch eine breite Basis, und es schien anfangs
das hiesige Leben sich in dieser Richtung heraus gestalten zu wollen. Aber
der Charakter der rumänischen Bojaren wurde durch die öfteren und lang an¬
dauernden russischen Occupationen für eine normale langsame und gründ¬
liche Entwickelung der Dinge ein für allemal verdorben. Die' Russen mit
ihrer europäisirten Außenseite und inneren Ungeheuerlichkeiten verleideten den
Rumänen den ruhigen Ernst des Lebens, wozu das Deutschthum sie geneigt
zu machen begann; die Russen wendeten sie davon ab und verleiteten sie auf
die schlüpfrigen Bahnen des frivolen Pariserthums, auf denen sie selbst unser
Culturleben sich angeeignet zu haben glaubten. Es ist bekannt, wie weit die
hohe russische Aristokratie in ihrer Nachäffung dieses Franzosenthums ging,
wie es bei ihr z. B. zum guten Ton gehörte, sich nicht nur bis in die kleinsten
Details mit Pariser Mache zu umgeben, sondern selbst die Leibwäsche nicht zu
Hause waschen zu lassen, sondern zu diesem Behufe mittelst Couriren nach


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[0504] klärende Vorträge. Namentlich suchte er den hier so stark in allen Schichten eingewurzelten Aberglauben zu bekämpfen, so z. B. während der Erscheinung des Cometen von 1858, den man bekanntlich mit dem Weltende in Zusammenhang brachte und der hier eine allgemeine Bestürzung hervorrief, —um durch eine Erklärung der Natur dieser Himmelskörper die Bevölkerung aufklärend zu be¬ ruhigen u. s. w. Diese Aerzte wirkten auch auf die Errichtung von Gewerbe- und Handwerksschulen hin, in denen die Eingeborenen unentgeltlich in den verschiedenen Fächern des Handwerks Unterricht erhielten und noch erhalten. Das deutsche Element begann von dieser Seite aus seine heilsamsten Wir¬ kungen im Lande auszubreiten; bereits schickten die Bojaren ihre Söhne in die deutschen Schulen und die Töchter in die Klöster nach Galizien oder hielten deutsche Hauslehrer und eine deutsche Umgebung, um den Kindern diese Sprache praktisch zu vermitteln. — Mancher Fremde war nicht wenig überrascht, selbst alte Bojaren in ihrer orientalischen Tracht in Kaftan und mit dem langen Barte ganz gut deutsch sprechen zu hören —, in den meisten Bojarenhäusern war diese Sprache heimisch. Man erkannte die Noth¬ wendigkeit, die Sprache jenes Volkes zu erlernen, zu dem man sich bei den so oft vorkommenden Gefahren zu flüchten Pflegte und wo man immer gast¬ liche Aufnahme und sicheres Asyl gefunden — dieses Volk nun sind die siebenbürger Sachsen; seitdem ging die deutsche Sprache neben der allgemei¬ nen Landes- und Conversationssprache immer zur Seite her. Das Deutsch- thum, das dieser durch Ungunst der Zeiten unter türkischem Drucke ver¬ kommenen Bevölkerung unter die Arme griff, ihr europäische Häuser und Städte baute, sie europäisch wohnen, sich kleiden und sich nähren lehrte, das ihr die ersten Elemente unseres Geisteslebens zuführte und allüberall den Grund zu organisatorischer Entwickelung legte, gewann bei allen Mißgriffen und Mängeln der Einwanderer doch eine breite Basis, und es schien anfangs das hiesige Leben sich in dieser Richtung heraus gestalten zu wollen. Aber der Charakter der rumänischen Bojaren wurde durch die öfteren und lang an¬ dauernden russischen Occupationen für eine normale langsame und gründ¬ liche Entwickelung der Dinge ein für allemal verdorben. Die' Russen mit ihrer europäisirten Außenseite und inneren Ungeheuerlichkeiten verleideten den Rumänen den ruhigen Ernst des Lebens, wozu das Deutschthum sie geneigt zu machen begann; die Russen wendeten sie davon ab und verleiteten sie auf die schlüpfrigen Bahnen des frivolen Pariserthums, auf denen sie selbst unser Culturleben sich angeeignet zu haben glaubten. Es ist bekannt, wie weit die hohe russische Aristokratie in ihrer Nachäffung dieses Franzosenthums ging, wie es bei ihr z. B. zum guten Ton gehörte, sich nicht nur bis in die kleinsten Details mit Pariser Mache zu umgeben, sondern selbst die Leibwäsche nicht zu Hause waschen zu lassen, sondern zu diesem Behufe mittelst Couriren nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/504>, abgerufen am 22.07.2024.